cash.ch: Die Anzahl der Neuansteckungen durch das Coronavirus geht in China zurück, die Lage scheint sich zu normalisieren. Ist China in der Bekämpfung des Coronavirus effizienter als Europa oder die USA?
Christa Janjic-Marti: China machte 2003 wichtige Erfahrungen mit dem Sars-Virus. Einerseits damit, wie schnell sich so ein Virus verbreitet. Andererseits, wie man ein solches Virus eindämmt. Es gab damals wie heute keine Impfung und kein Medikament gegen das Virus. Die chinesische Regierung versuchte einzig, die Ausbreitung zu verhindern. Die chinesische Regierung kann daher zur Bekämpfung des Coronavirus auf einen Plan in der Schublade zurückgreifen.
Ist das chinesische Wachstumsziel von 6 Prozent für 2020 trotz Corona-Krise überhaupt noch realistisch?
Wir erwarten für das erste Quartal ein Negativwachstum von 12 Prozent. Die Frage ist, wie es danach weiter geht. Für China und alle Entwicklungsländer haben wir momentan einen "Perfekten Sturm".
Was meinen Sie damit?
Die Entwicklungsländer kämpfen im ersten Quartal nicht nur mit einer schwachen Nachfrage aus China. Jetzt kommt noch die globale Nachfrage, die in sich zusammenbricht. Der globale Nachfrageeinbruch wird sicherlich in das zweite Quartal hinein nachwirken. Dies wird auch für China einen entsprechenden Effekt haben.
Gibt es noch andere Faktoren, die auf den Entwicklungsländern lasten?
Der Zusammenbruch der Rohstoffpreise trifft alle Entwicklungsländer ausser China. Das betrifft Länder wie Südafrika oder Russland stark. Seit einigen Tagen kommt jetzt noch ein sehr starker Dollar dazu. Ein starker Dollar ist schlecht für die Währungen der Entwicklungsländer. Sie sind gegenüber dem Dollar massiv unter Druck. Und wenn die Länder als Folge davon schwache Währungen haben, bricht auch der einheimische Aktienmarkt zusammen. Einzig China ist von den Folgen des starken Dollars nicht betroffen.
Warum?
Erstens ist China eine Ausnahme, da die Währung kontrolliert ist. Sie wird einem Währungswechselkorb angepasst. Daher ist die chinesische Währung Renminbi in den letzten Wochen gegenüber dem Dollar fast stabil. Zweitens ist China wegen der Kapitalverkehrskontrollen von den globalen Kapitalflüssen viel mehr geschützt. Viel weniger Geld kann schnell aus dem chinesischen Markt abfliessen und viel weniger internationale Investoren sind im chinesischen Aktien- oder Obligationenmarkt investiert. Man ist immunisiert gegenüber den globalen Panik-Kapitalflüssen.
Ist dies der Grund, warum der chinesische Leitindex Shanghai Composite seit Anfang Jahr «nur» 10 Prozent verliert?
Ja. Die Korrelation zwischen Wechselkurs und Aktienmarkt ist in den Schwellenländern immer positiv. Der zweite Grund ist, dass sich die Startpositionen unterscheiden. Die chinesischen Aktien gehören aufgrund der Bewertung des Kurs-Gewinn-Verhältnis zu den günstigsten Aktien weltweit. Der dritte Grund ist vermutlich, dass in den letzten Tagen und Wochen Pensionsfonds und Versicherungsfonds in China dazu angehalten wurden, Aktien zu kaufen. Ich kann mir gut vorstellen, dass staatliche Institutionen in die Pflicht genommen wurden, den Markt zu stützen.
Ist die Bodenbildung an den chinesischen Aktienmärkten schon erfolgt?
Es ist immer schwierig, den Tiefpunkt vorauszusagen. Wir sind der Meinung, dass der chinesische Aktienmarkt jetzt den Zusammenbruch der inländischen Nachfrage eingepreist hat. Jetzt stehen die Aktienmärkte vor dem Beginn des Rückgangs der Weltnachfrage. Dies hat ein grosses Potenzial, die Märkte nochmals tief zu verunsichern.
Die Unsicherheit nimmt noch mehr zu?
Es gibt jetzt eine globale Infizierung mit dem Coronavirus. Die Globalwirtschaft wird Schwächen zeigen. Wir wissen nicht, welche systemischen Risiken dies bewirken wird. Die Unsicherheiten über das wirtschaftliche Ausmass der Krise und deren strukturellen Probleme werden in den nächsten Wochen und Monaten auch auf den chinesischen Aktienmärkten lasten. Wir empfehlen momentan eine defensive Ausrichtung bei Aktien.
Mit den strukturellen Problemen sprechen Sie wohl den Zustand des globalen Bankensystems an.
Das globale Bankensystem steht vor grossen Herausforderungen. Das sehen wir bei den Obligationenmärkten weltweit. Der Primärmarkt für Unternehmensanleihen stockt. Es gab in den letzten Tagen nur ganz wenige neue Emissionen sowohl in Europa als auch in den USA. Das zwingt noch mehr Unternehmen, sich kurzfristig über das Bankensystem zu finanzieren. Wir sehen dies auch in der Schweiz. Die Schweizer Banken müssen die Nachfrage von kleinen und mittleren Unternehmen befriedigen. Die Frage stellt sich, wie die Banken mit der Krise umgehen werden und diese wegstecken können. Wir wissen heute noch nicht, wie die Auswirkungen sein werden.
Ist die chinesische Geldpolitik effizienter als im Westen?
Ja, in China wird die Geldpolitik auch effizient über das Bankensystem ausgeführt. Dies gelingt, da die Banken in staatlicher Hand sind.
Der Handelskonflikt zwischen China und der USA ist momentan auf Eis gelegt. Ist zumindest dieses Problem vom Tisch?
Die Krise zeigt, dass sich gewisse Probleme in Luft auflösen. Doch der Handelskonflikt ist kein einfaches Problem, sondern ein bestehendes tiefgehendes Problem zwischen China und den USA. Durch das erste Abkommen wurde ein «Pflaster» über das Problem gelegt. Doch wir wissen es alle und der Finanzmarkt hat dies auch so eingeschätzt: Der Konflikt kann jederzeit, unabhängig von der Corona-Krise, wieder aufbrechen. Dieser Konflikt ist keineswegs gelöst.
Ist China im Handelskonflikt immer noch in der schwächeren Position gegenüber der USA?
Diese Einschätzung ändert ständig. Zu Beginn des Konflikts hatte man das Gefühl, China sei in einer schwachen Position, da der chinesische Aktienmarkt mehr unter Druck kam als der amerikanische. Nach dem Absturz des amerikanischen Aktienmarkts seit Mitte Februar hat man das Gefühl, China sei wieder in einer besseren Position. Zudem hat China die Binnenwirtschaft wegen ihrer rigorosen Bekämpfung des Coronavirus unter Kontrolle. Und im Bezug der Bekämpfung des Coronavirus ist China den USA Meilen voraus. Doch schlussendlich gibt es bei einem solchen Konflikt nur Verlierer.
Christa Janjic-Marti ist Head of Investment Services bei Wellershoff & Partners. Sie hat Volkswirtschaft an den Universitäten Lausanne und Cambridge studiert und mit einem Master in Ökonomie abgeschlossen. Janjic-Marti war über zwölf Jahre als Ökonomin für Schwellenländer bei der UBS Investment Bank in Zürich, Singapur und London tätig.