Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank:
«Das war nicht der letzte Schritt nach unten. Inzwischen haben die Konjunkturpessimisten im EZB-Rat ein grosses Gewicht. Die Leitzinsen werden sich im kommenden Jahr mindestens auf ein neutrales Niveau von 2 Prozent abwärts bewegen. In den langfristigen Finanzierungskonditionen für Immobilien- oder Konsumkrediten ist das aber bereits heute enthalten, hier ist das Senkungspotenzial nicht mehr hoch. Der stetige und behutsame Kurs bei der Lockerung ist richtig. Abgesehen von den verbliebenen Unsicherheiten bei der Preisentwicklung wäre die Gefahr gross gewesen, dass angesichts der Querelen um den französischen Staatshaushalt eine kräftige Zinssenkung als Geschenk an die Finanzpolitik interpretiert werden könnte.»
Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust:
«Den Ausschlag zur Zinssenkung dürfte die anhaltende Konjunkturschwäche im Euroraum gegeben haben, insbesondere die enttäuschenden Frühindikatoren für die Schwergewichte Deutschland und Frankreich. (...) Die Entscheidung ist vertretbar, könnte aber angesichts des stockenden Inflationsrückgangs in den kommenden Monaten zu einer Zinspause führen.»
Florian Heider, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung Safe:
«Die heutige Entscheidung zeigt, dass die EZB diese kleine Zinssenkung nutzt, um den vielen vorherrschenden Unsicherheiten, insbesondere von geopolitischer Natur, zu begegnen und die Finanzmarktstabilität zu sichern. Die leicht gestiegene Inflation und die Entscheidung die Zinsen zu senken, sind von den Märkten bereits eingepreist worden, was diese Entscheidung rechtfertigt. Die Märkte erwarten, dass die EZB die Zinsen weiter senken wird, um ein niedrigeres, so genanntes neutrales Niveau zu erreichen, das nur schwer genau zu bestimmen ist. Ob das gelingt, hängt davon ab, ob die Inflation weiter zurückgeht, was nicht sicher ist, und wie sich die wirtschaftlichen Aussichten für den Euroraum entwickeln.»
Lena Dräger, Direktorin der Forschungsgruppe Monetäre Makroökonomie am IfW Kiel:
«Mit Blick auf die sich stabilisierende Inflationsrate und die negativen Konjunkturaussichten ist die jüngste Zinssenkung der EZB als Versuch zu interpretieren, der schwächelnden Wirtschaft im Euroraum auf die Sprünge zu helfen. Weitere Zinssenkungen sind daher in den kommenden Monaten zu erwarten. Die EZB hofft, mit niedrigeren Zinsen bei stabilen Inflationsraten nahe des Zielwertes von 2 Prozent Investitionen und Konsum anzuregen und so zu höherem Wirtschaftswachstum beizutragen.
Ob dies gelingt, hängt allerdings von verschiedenen Faktoren ab: Erstens, wie entwickelt sich die Krise im Maschinenbau und im Automobilsektor, insbesondere in Deutschland, der grössten Volkswirtschaft im Euroraum? Zweitens, welchen Effekt werden die von Trump angekündigten Zölle auf die europäische Wirtschaft haben? Drittens, wie wirken die Regierungskrisen in Deutschland und Frankreich auf die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone? Die EZB hat keinen direkten Einfluss auf die Strukturkrise in der Industrie, die Wirtschaftspolitik der Trump-Administration oder nationale Regierungskrisen. Alle diese Faktoren deuten aber auf eine weitere Verschlechterung der Konjunktur im kommenden Jahr hin und wirken tendenziell deflationär.»
Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes:
«Auch wenn es zunächst danach aussieht, dass die EZB ruhigeres Fahrwasser erreicht: Die weitere Entwicklung der Inflation im kommenden Jahr bleibt unsicher.» Zwar deuteten die schwächelnde Konjunktur und gesunkene Energiepreise auf einen weiteren Rückgang der Inflation hin. Weiterhin überdurchschnittlich steigende Löhne und ein schwächerer Euro könnten die Inflation aber über dem EZB-Ziel halten. «Und völlig offen sind die Preiseffekte, die von der Handelspolitik der künftigen US-Regierung ausgehen.»
Ulrich Wortberg, Landesbank Helaba
«Das Statement der Zinsentscheidung habe nur insofern geändert, »als dass der Passus gestrichen wurde, wonach die Leitzinsen so lange wie erforderlich auf einem ausreichend restriktiven Niveau gehalten werden sollen. Nun heisst es lediglich, dass die Festlegung des geldpolitischen Kurses von der Datenlage abhängt und von Sitzung zu Sitzung erfolgen soll. Die Geldpolitik wird vonseiten der EZB noch als restriktiv bezeichnet.« Zudem wolle sich der EZB-Rat sich nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad festlegen.»
Mark Wall, Chefvolkswirt Europa der Deutschen Bank:
«Der Lockerungszyklus der EZB ist noch nicht abgeschlossen.» Wichtig sei, dass die Tür für weitere Zinssenkungen deutlich geöffnet wurde. «Die EZB bezeichnete die derzeitigen Finanzierungsbedingungen weiterhin als angespannt, liess aber den Hinweis fallen, dass die Politik so lange wie nötig ausreichend restriktiv bleiben müsse. Diese Kombination signalisiert eine Tendenz zur Lockerung.»
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank:
«Die EZB hält Kurs. Dabei sahen sich die Währungshüter zuletzt sogar mit einem neuerlichen Anstieg der Inflationsraten konfrontiert. Allerdings ist dies keine Überraschung. Dass es zum Jahresende zu Basiseffekten bei den Energiepreisen kommen wird, stand schon zu Jahresbeginn fest. Auch die EZB-Projektionen zur weiteren Inflationsentwicklung trugen dem bereits seit längerem Rechnung. Die europäischen Währungshüter blicken deshalb gelassen auf den kurzfristig wieder etwas höheren Preisdruck. Entscheidend ist, dass sich am mittelfristigen Inflationsausblick nichts ändert. Im kommenden Jahr wird die Geschwindigkeit des Preisanstiegs - auch nach Ansicht der EZB - wieder geringer sein.» Zudem fühle sich die EZB angesichts der wirtschaftlichen Risiken für die Eurozone unter Zugzwang./mis/jsl/nas
(AWP)