Mit 129 Ja- bei 59 Nein-Stimmen nahm die grosse Kammer am Donnerstag die Vorlage in der Gesamtabstimmung an. Ein Antrag auf Nichteintreten der SVP scheiterte zuvor. Grundsätzlich war sich die Mehrheit einig, dass es die Vorlage braucht.
«Betreuung zuhause ist heute ein wichtiges gesellschaftspolitisches Anliegen. Das verlangt aber Rahmenbedingungen, gerade bei Menschen, die finanziell nicht gut gestellt oder von Invalidität betroffen sind», sagte Christian Lohr (Mitte/TG).
Die Schweiz stehe wegen des demografischen Wandels in den kommenden Jahrzehnten vor massiven Herausforderungen, sagte Samira Marti (SP/BS). Bis 2040 würden in der Schweiz 1000 zusätzliche Pflegeheime benötigt. Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) bräuchten aber rund ein Drittel der gegenwärtig in einem Heim lebenden Personen nur rund eine Stunde Pflege pro Tag.
«Menschen mit einer Behinderung sollen so selbstbestimmt leben wie sie möchten», sagte Cyril Aellen (FDP/GE). Das betreute Wohnen entspreche den Bedürfnissen der Menschen mit tiefem Pflegebedarf viel eher. Die Finanzierung der Ergänzungsleistungen müsste daher ausgebaut werden. Der Ausbau müsse aber finanziell tragbar sein.
Die SVP stemmte sich gegen die Vorlage: «Es soll nun praktisch alles entschädigt werden, was der autonomen Lebensweise hilft. Damit wird die Sozialindustrie befeuert», sagte Rémy Wyssmann (SVP/SO). Die Ausgleichskassen arbeiteten heute schon am Anschlag. Dies sei auf die ständigen Revisionen der Ergänzungsleistungen zurückzuführen.
Hilfen im psychosozialen Bereich einbezogen
Mehrheitlich folgte der Nationalrat den Vorschlägen der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-N). Zu reden gaben insbesondere die zu vergütenden Leistungen. Unterstützt werden mit Ergänzungsleistungen sollen je nach Bedarf unter anderem Hilfe im Haushalt und zusätzliche Beiträge für einen Nachtassistenzdienst, ein Mahlzeitendienst, Fahrdienste und Begleitung sowie ein Notrufsystem.
Einen rot-grünen Minderheitsantrag für eine Erweiterung der Ergänzungsleistungen auf die Förderung und Begleitung in der Alltagsgestaltung, einen Besuchsdienst sowie Beratung und Koordination lehnte der Rat ab.
Ergänzend und gegen den Willen der SVP bewilligte der Rat Hilfen im psychosozialen Bereich. Dies umfasst die Unterstützung der Erhaltung der Selbstbestimmung und Selbstständigkeit im Alltag, soziale und gesellschaftliche Teilhabe und die Vorbeugung von sozialer Isolation sowie der Immobilität und psychischer Krisen.
Pauschalen nicht erhöht
Entgegen der Kommissionsmehrheit nahm der Rat auch einen Antrag von Benjamin Roduit (Mitte/VS) an, Personen, die ein Zimmer für einen nächtlichen Assistenzdienst zur Verfügung stellen müssen, mehr Geld zuzusprechen.
Gestrichen wurde indes die Erhöhung des Freibetrags auf Erwerbseinkünfte. Die Kommission wollte diesen von pro Person 1000 Franken auf neu 2000 Franken erhöhen. Die bürgerliche Mehrheit befand, dass eine solche Erhöhung Mehrkosten in der Höhe von rund 33 Millionen Franken verursachen würde, die nicht tragbar seien.
Auch von Rot-Grün geforderte höhere kantonale Mindestpauschalen fanden keine Mehrheit. Für die Vergütung der Leistungen legt der Kanton jeweils eine Pauschale fest. Die Summe Letzterer darf den Mindestbetrag von 11'160 Franken pro Person und Jahr nicht unterschreiten - so schlägt es der Bundesrat vor. Die beiden Minderheiten beantragten einen Mindestbetrag von 15'000 Franken sowie von 24'000 Franken.
Neue Leistungen sind «Mindestkatalog»
«Bei den neuen Leistungen handelt es sich um einen Mindestkatalog», sagte Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Der Bundesrat geht laut seiner Botschaft davon aus, dass rund 31'900 Personen im Rentenalter Leistungen in Anspruch nehmen dürften. Hinzu kommen könnten rund 30'000 Menschen, die wegen Invalidität Leistungen beziehen könnten.
Die zusätzlichen Kosten für die Kantone werden für 2030 auf rund 340 bis 730 Millionen Franken geschätzt. Demgegenüber könnten die Kantone rund 280 Millionen sparen, weil weniger Menschen in ein Heim müssten.
Als Nächstes muss der Ständerat über die Vorlage befinden.
(AWP)