*

Bund und Länder ringen um weiteres Vorgehen

*

"Mehr war eben nicht drin"

*

Lösung ohne EU und Drittstaaten kaum möglich

- von Alexander Ratz

Berlin, 11. Mai (Reuters) - Nichts weniger als eine "Zeitenwende" sollte der Migrationsgipfel bringen - heraus kamen einmalig eine Milliarde Euro und eine Arbeitsgruppe. "Unser Land steht vor einer großen Herausforderung", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz nach den Beratungen mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten im Kanzleramt am Mittwochabend. Doch der vermeintliche Migrationsgipfel vertagte letztlich nach rund sieben Stunden Beratungen weitreichende Beschlüsse auf November. Das Problem: Alleine kann die Bundesregierung die schwelende Migrationskrise nicht lösen. Es braucht die Europäische Union dafür und eine Kooperation von Drittstaaten.

"Mehr war eben nicht drin", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst nach den Beratungen ernüchtert. "Drin" war zumindest, dass Finanzminister Christian Lindner trotz Haushaltsnöten eine weitere Milliarde Euro als quasi Einmalzahlung an die Länder für dieses Jahr locker macht - zusätzlich zu den 15 Milliarden Euro, die der Bund für die Versorgung der Flüchtlinge ohnehin schon leistet. Damit sollen vor allem bei der Digitalisierung der Ausländerbehörden Fortschritte gemacht werden. Bis November soll nun eine "Bund-Länder-Arbeitsgruppe" Entscheidungen vorbereiten. Das von den Ländern geforderte "atmende System" wird es vorerst aber nicht geben - also dass sich die Finanzhilfen jeweils an der Zahl der ankommenden Menschen orientiert.

Und das sind in diesem Jahr schon sehr viel mehr: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat in den ersten vier Monaten 110.516 Asylerstanträge registriert hat. Das sind gut 78 Prozent mehr als im Vorjahr. Und darin sind die Menschen aus der Ukraine nicht enthalten. Die meisten Antragsteller kommen demnach aus Syrien und Afghanistan, zwei Länder, bei denen wegen der politischen Lage vor Ort an Rückführungen derzeit nicht zu denken ist. Als sichere Herkunftsländer will die Bundesregierung dem Beschluss vom Mittwochabend zufolge nun auch Georgien und Moldau führen - was allenfalls als Tropfen auf den heißen Stein gewertet werden kann.

"Aus meiner Sicht können da noch weitere Staaten dazukommen", sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Donnerstagmorgen in der Sendung "ntv Frühstart" mit Blick auf die sicheren Herkunftsländer. Anfang der Woche nannte er als Beispiel etwa die Maghreb-Staaten in Nordafrika. Generell hatte der FDP-Generalsekretär bei der Erwartung an das Treffen die Latte sehr hoch gelegt: "Aus unserer Sicht ist es notwendig, dass dieses Treffen eine Zeitenwende in der Migrationspolitik einleitet", sagte Djir-Sarai nach den Gremiensitzungen der FDP am Montag.

"ER ARBEITET"

Und Parteichef Christian Lindner legte in TV-Interviews nach: "Kurz gesagt, wir haben es zu lange den Menschen schwer gemacht, nach Deutschland zu kommen, die wir brauchen als kluge Köpfe und fleißige Hände", sagte der Bundesfinanzminister etwa im ZDF. "Und zu lange schon machen wir den Menschen es leicht zu bleiben, die eigentlich verpflichtet sind, auszureisen, weil sie irregulär nach Deutschland eingereist sind." Das müsse sich ändern: "leichtere qualifizierte Einwanderung und Verhinderung irregulärer Migration".

Ein Schlüssel dafür sind so genannte Migrationsabkommen, die der Bund mit Herkunfts- und Transitländern abschließen will. Kanzler Scholz bezeichnete diesen Aspekt am Mittwochabend als "wichtigsten Teil" des weiteren Vorgehens. Eigens dafür hat die Bundesregierung einen Sonderbevollmächtigten eingesetzt. Ende Januar nahm der Auserwählte, der FDP-Politiker und ehemalige nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp, seine Arbeit auf. Viel gehört hat man seitdem allerdings nicht von ihm.

Stamp ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser direkt unterstellt. "Er arbeitet", sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums am Mittwoch auf die Frage nach den Aktivitäten Stamps. "Ganz allgemein kann ich Ihnen sagen, dass er auch an weiteren Migrationsabkommen arbeitet, selbstverständlich auch innerhalb der Bundesregierung abgestimmt." Mit welchen Ländern Stamp in Kontakt ist, wollte die Sprecherin nicht sagen. Ziel ist, dass sich Herkunfts- und Transitländer wie etwa in Nordafrika dazu verpflichten, in Deutschland abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen, woran diese nicht immer ein Interesse haben.

"MIT SO VIEL NACHDRUCK"

Aber nicht nur bei den Drittstaaten hakt es. Auch in der Europäischen Union ist kein geeintes Vorgehen beim Umgang mit Flüchtlingen erkennbar - weshalb es in Deutschland trotz des eigentlich grenzenlosen Schengen-Raums wieder mehr Kontrollen gibt. "Die verstärkten Grenzkontrollen sind notwendig, weil der Schutz der EU-Außengrenzen noch nicht hinreichend funktioniert", erklärte Innenministerin Faeser am Mittwochabend. "Auch deshalb führe ich mit so viel Nachdruck die Verhandlungen über das gemeinsame europäische Asylsystem."

Es gehe um "eine verlässliche Identifizierung, Registrierung und Überprüfung von Menschen bereits an den EU-Außengrenzen", betonte die SPD-Politikerin. Seit Jahren hadert die EU mit einer geordneten Flüchtlingspolitik. Aber auch die Krise 2015/2016 hat dafür wenig Impulse gebracht. "Seit 1999 arbeitet die EU an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS)", heißt es beim zuständigen Bundesamt Bamf. Die nächste Runde ist am 08. Juni in Luxemburg, wenn die EU-Innenminister zu ihrem nächsten turnusgemäßen Treffen zusammenkommen. (Redigiert von Hans Seidenstücker Bei Rückfragen wenden Sie sich an berlin.newsroom@tr.com)