Was genau umfasst eine aktienmarkt- und zinsneutrale Strategie?
Unsere marktneutralen Strategien nutzen Kursanomalien, die von passiven Fonds geschaffen wurden, und ihre Renditen sollen nicht mit den breiteren Märkten korrelieren. Eine solche Strategie haben wir mit dem Candriam Absolute Return Equity Market Neutral-Fonds geschaffen. Der Fonds geht weltweit Long- und Short-Positionen in Aktien ein, um dann von kurz- bis mittelfristigen Preisineffizienzen zu profitieren. Die Strategie kombiniert technische Disziplin, eine umfassende Analyse der Einzeltitel und mathematische und statistische, also quantitative Auswertungen, um Chancen zu erkennen und Positionen aufzubauen.
Wieso gerade im aktuellen Umfeld eine solche Strategie?
Das «Goldlöckchen»-Umfeld, bei dem solides Wachstum, mässige Inflation und niedrige Zinsen ein günstiges Umfeld für Investoren schaffen, hat sich verflüchtigt. Stattdessen sehen sich Investoren mit einer Reihe von Unsicherheiten konfrontiert. Diversifizierung und Liquidität werden immer wichtiger. Die Märkte des 21. Jahrhunderts haben jedoch gezeigt: In Zeiten, wenn die Märkte unter Druck sind, kann beides illusorisch sein: Anleger erhöhen ihre Cash-Positionen und verknappen damit die Liquidität am Markt, während Anlageklassen, die sich in normalen Märkten unabhängig voneinander verhalten, sich zunehmend in dieselbe Richtung bewegen. Das macht die Diversifizierung gerade dann zunichte, wenn sie am dringendsten benötigt wird. Das haben wir gesehen, als der US-Markt für Geldmarktpapiere im Jahr 2008 eingefroren ist.
Was zeichnet aktienmarktneutrale Strategien aus? Was sind ihre Vorteile?
Equity Market Neutral-Strategien sind für jede Art von Markt geeignet, sie sind sozusagen eine Allwetter-Anlage. In Kombination mit anderen Anlageklassen wie Aktien, Anleihen, Immobilien und Rohstoffen können sie die Gesamtperformance eines Portfolios stabilisieren. Sie sind in ihrer Performance von den meisten traditionellen Anlageklassen abgekoppelt und können dazu beitragen, die Volatilität und die Risiken eines Portfolios zu verringern. So sind sie ein wirksames Diversifizierungs- und Stabilisierungsinstrument und verbessern das Risiko-Rendite-Profil des Anlegers erheblich.
Die Investmenterträge bei aktienmarktneutralen Strategien entstehen ausschliesslich durch die Kompetenz des Investmentmanagers, also durch Alpha. Nun schlagen ja viele aktive Manager die Benchmark nicht. Wie behaupten Sie sich gegenüber passiven Strategien?
Wir verwalten diese Art von Strategie seit mehr als fünfzehn Jahren – mit demselben leitenden Manager und mit der gleichen Erfahrung und Kontinuität, die die Entwicklung des einzigartigen Ansatzes von Candriam möglich gemacht haben. Unser Anlageprozess kombiniert einen fundamentalen mit einem datenbasierten Ansatz, mit dem wir Chancen erkennen und unsere Positionen seit 2003 managen. Anders ausgedrückt: Wir vereinen in unserem Portfolio zwei Alpha-Quellen: Index-Arbitrage, die vom enormen Wachstum des passiven Managements profitiert, und die Chancen von Relative-Value-Strategien.
Gibt es Schnittmengen zwischen marktneutralen Strategien und passiven Strategien, von denen Sie für das Alpha profitieren können?
In den letzten zehn Jahren haben wir einen unaufhaltsamen Trend zu passiven Aktienanlagen gesehen. Dieser wird sich wahrscheinlich fortsetzen und bietet einem qualifizierten aktiven Manager zwei potenzielle Quellen für Alpha: Erstens macht sich unsere Index-Rebalancing-Strategie die Preisdiskrepanzen zunutze, die durch Bewegungen bei passiven Anlagen entstehen. Denn: Die Verwalter von passiven und indexierten Instrumenten sind verpflichtet, ihre Positionen bei Änderungen in ihren Referenzindizes neu zu gewichten, etwa wenn ein Titel aufgenommen oder entfernt wird. Dies führt häufig zu vorübergehenden Unstimmigkeiten bei den Kursen und Bewertungen am Aktienmarkt, da viele passive Fonds innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums grosse Mengen an Aktien kaufen oder verkaufen. Diese Unstimmigkeiten nutzen wir aus, indem wir gegenläufige Positionen aufbauen. Unsere zweite Alpha-Quelle besteht darin, diese Ineffizienzen zu identifizieren. Einigen Profis und Marktkommentatoren zufolge könnten solche Ineffizienzen immer häufiger auftreten, da die Zahl der passiven Investments steigt – und damit wächst für uns auch die Auswahl an Anlagemöglichkeiten. Ein Beispiel sind Aktienpaare, deren Kurse sich normalerweise im Gleichschritt bewegen. Wenn die meisten Anleger passiv investieren, werden bei solchen «Paaren» mehr Ineffizienzen auftreten – ihre Kurse werden sich voneinander entfernen, ohne dass sich die zugrundeliegenden Unternehmensdaten ändern. Von diesen Ineffizienzen profitiert die Relative-Value-Strategie mithilfe von «Paarhandel» zwischen solchen zwei Wertpapieren oder Wertpapierkörben.
Mit der rasanten Entwicklung der Index-Tracking-Branche ist auch das Volumen von Index Arbitrage in den letzten zwölf Jahren stark angestiegen. Wir stellen den Indexmanagern Liquidität zur Verfügung, wenn sie die Anpassungen im ihrem Referenzindex nachbilden müssen, indem sie aufzunehmende Wertpapiere kaufen und ausscheidende Titel verkaufen. Diese Transaktionen erzeugen ein erhebliches zusätzliches Volumen in den betroffenen Wertpapieren und sorgen so für Preisineffizienzen. Die Aufnahme eines Titels in den S&P500 kann beispielsweise Investitionsströme in Höhe von etwa 10 Milliarden US-Dollar bzw. etwa 1 Milliarde Euro für den Euro Stoxx 50 auslösen. Entsprechend ist dies ein sehr umfassendes Universum.
Wie gestalten Sie den Investmentprozess beim Candriam Absolute Return Equity Market Neutral Fund?
Wenn Positionen in passiven oder indexierten Instrumenten neu gewichtet werden, weil die Indizes, die sie nachbilden, sich ändern, entstehen Preisanomalien und Ineffizienzen. Diese nutzt der Candriam Absolute Return Equity Market Neutral mithilfe eines Ansatzes aus, der als Index-Rebalancing-Arbitrage bezeichnet wird und den wir als einer der ersten Anbieter auf dem Markt eingeführt haben, als wir den Fonds vor etwa 20 Jahren auflegten. Mittels ausgefeilter Instrumente für die quantitative Auswertung und unserer statistischen Analysen erkennen die Fondsmanager potenzielle Ineffizienzen bei der Preisbildung von 5’000 europäischen und nordamerikanischen Aktien.
Technische Disziplin, eine individuelle Betrachtung von Wertpapieren und quantitative Modelle kommen zum Tragen, um die Risiken unserer Portfolios zu reduzieren, Chancen zu erkennen und Positionen einzugehen. Das erste Element ist die Verknüpfung eines fundamentalen mit einem quantitativen Ansatz. Darüber hinaus kombinieren wir im Portfolio zwei Alpha-Quellen: einerseits das Index-Rebalancing, das sich die Ineffizienzen zunutze macht, die das enorme Wachstum des passiven Managements am Markt hervorbringt. Zweitens ergreifen wir die Chancen, die sich aus Relative-Value-Strategien ergeben. Während die erste Strategie historisch zwischen 40 und 80 Prozent des Portfolios ausmacht, kann die zweite zwischen 20 und 60 Prozent liegen. Dass in unserem Anlageprozess zwei unabhängige Portfoliostrategien für unterschiedliche Marktbedingungen zum Einsatz kommen, ist nicht nur ein Wettbewerbsvorteil. Es ist auch eine Möglichkeit, die Art und Weise zu diversifizieren, wie wir Alpha generieren.
Welchen Stellenwert hat das Risikomanagement und wie setzen Sie dieses um?
Für jede Long- oder Short-Position, die wir eingehen, finden wir eine zuverlässige Absicherung. So schützen wir uns vor unerwünschten Risiken. Wenn die Positionen angemessen abgesichert sind, sollte das Aktienmarktrisiko auf ein Minimum reduziert werden können.
Zwar sind beide Komponenten unserer Strategie «für alle Jahreszeiten» geeignet. Dennoch nutzt die Index-Rebalancing-Strategie eher kurzfristige Ineffizienzen aus, während die Relative-Value-Strategie von mittelfristigen Ineffizienzen Gebrauch macht – und damit Risiken reduziert und Erträge stabilisiert. Risikomanagement ist der Schlüssel, und wir vermeiden sorgfältig ungewolltes Exposure in Bezug auf Branche, Geografie und Stil. Wo nötig, vermeiden wir es auch bewusst, eine Marktposition einzunehmen, wenn sich darin unserer Ansicht nach zu viele andere Teilnehmer engagieren.
Der Candriam Absolute Return Equity Market Neutral Fund hat zu Beginn der Corona-Krise einen deutlich geringeren Rückschlag erlitten als der MSCI EU. Worauf führen Sie das zurück?
Unsere Strategien sind auf die Schaffung von Alpha ausgerichtet und sollen nicht mit den Marktbewegungen korrelieren. Dieser Ansatz hat auch jetzt seine Früchte getragen. 2020 ist und bleibt ein erfolgreiches Jahr für den Fonds. Sowohl die Relative-Value-Komponente als auch die Index-Rebalancing-Komponente haben trotz der Turbulenzen an den Märkten und in der Gesamtwirtschaft in diesem Jahr positive Beiträge geliefert. Unser Ansatz, der quantitative und qualitative Faktoren kombiniert, und unser strenger Anlageprozess haben dem Fonds eine sehr gute Performance ermöglicht.
Welche Faktoren waren für die Performance des Fonds im Jahr 2022 ausschlaggebend und wie schätzen Sie die mittelfristige wirtschaftliche Entwicklung (Inflation, Zinssätze usw.) und damit die Chancen für eine Outperformance des Candriam Absolute Return Equity Market Neutral Fund ein?
Wir blicken trotz eines besonders turbulenten Marktumfelds weiterhin sehr positiv in die Zukunft. Die Long/Short-Branche wurde im Januar dieses Jahres von heftigen Short-Squeezes erschüttert und im März von den enormen Verlusten des Archegos-Fonds, die insbesondere den Technologiesektor in Aufruhr versetzten. Dann wurden die Aktienmärkte durch die Sorgen um China und insbesondere Evergrande erschüttert. Die Märkte bleiben extrem volatil. Angesichts dessen behalten wir natürlich unseren marktneutralen Ansatz bei und bleiben in unseren beiden Segmenten aktiv.