Eduard Baitinger, Head of Asset Allocation der Feri-Gruppe, spricht von einer anhaltenden Verkaufswelle. Seine Prognose führt er auf verschiedene Gründe zurück: Zum einen gingen Anleiheinvestoren dazu über, ihre Verluste durch Notverkäufe zu begrenzen. Zum anderen zwinge der starke US-Dollar viele Schwellenländer dazu, ihre Dollarbestände, die häufig in Form von Anleihen gehalten werden, zu verkaufen, um die Lokalwährung zu stützen.
"Gleichzeitig fehlen wichtige Akteure auf der Nachfrageseite", fährt Baitinger fort: Die Notenbanken der Industrieländer sind auf einen Kurs der monetären Straffung umgeschwenkt und ziehen sich von den Anleihemärkten zurück. Auch die führenden institutionellen Anleger warteten mit Käufen derzeit ab. Grossinvestoren rechneten damit, dass die Emissionsvolumen in naher Zukunft noch einmal steigen würden, weil sich die Staaten, vor allem in Europa, massiv neu verschulden würden, um die Energiekrise abzufedern.
Markt aus der Balance geraten
"Angebot und Nachfrage befinden sich damit in einem extremen Missverhältnis. Folglich ist die Liquidität an den Anleihemärkten derzeit so gering wie zuletzt vor zwei Jahren beim Corona-Crash", konstatiert der Feri-Experte, der beim deutschen Asset Manager auch zahlreiche Forschungsprojekte steuert und koordiniert.
Diese Illiquidität erschwert in seinen Augen eine rationale Informationsverarbeitung an den Anleihemärkten. Ungewöhnlich sei etwa, dass die Zinsen erneut steigen, obwohl der Höhepunkt der Inflation vielfach kurz bevorstehe oder, wie in den USA, sogar schon erreicht sei und die globale Konjunktur schwächelt.
Turbulenzen strahlen auf Aktienmarkt ab
Die Turbulenzen an den Anleihemärkten verhinderten zudem, dass sich die Aktienkurse nachhaltig stabilisieren können: "Das generelle Zinsniveau ist eine wichtige Determinante für die Bewertungen an den Aktienmärkten. Wenn die Zinsen weiter spürbar steigen, drohen dort neue starke Abverkäufe", so Baitinger.
Es werde entscheidend darauf ankommen, wie sich die globalen Notenbanken positionieren. Sollten sie ausserplanmässig von ihrem Straffungspfad abweichen, weil sie weitere Verwerfungen an den Aktienmärkten als unkalkulierbares Risiko für das Finanzsystem einstufen, "wäre definitiv die Zeit gekommen, um in größerem Umfang in Aktien zu investieren."
Anleger sollten in den kommenden Monaten deshalb die Geldpolitik genau im Blick behalten, rät der Anlagestratege.