Über den Fund des Toten informierten die Behörden am Sonntagnachmittag an einer Medienkonferenz in Roveredo GR, an der auch der Tessiner Bundesrat Ignazio Cassis anwesend war. «Es ist ein trauriger Tag», sagte dieser. Ein trauriger Tag für die betroffenen Gemeinden, die Kantone Graubünden und Tessin und für die ganze Schweiz.

Auch die beiden Regierungspräsidenten der Kantone Graubünden und Tessin drückten vor den Medien ihre Betroffenheit aus. «Die Situation vor Ort stimmt mich traurig und mein Mitgefühl gilt den Betroffenen», sagte der Bündner Regierungsrat Jon Domenic Parolini. Der Tessiner Regierungsrat Christian Vitta sprach von «schwierigen Momenten», er richte «sehr starke Gedanken» an die betroffenen Menschen.

Insbesondere galt das den Angehörigen des Mannes, der unter der Geröllmasse, die am Freitagabend in Sorte GR, einem Ortsteil der Gemeinde Lostallo GR, ums Leben kam. Er und zwei weitere Personen galten seit dem Unwetter als vermisst, eine Frau konnte am Samstagmorgen lebend gerettet werden.

Leiche in der Moesa

Die Suche nach den Vermissten wurde am Samstagabend eingestellt und am Sonntagmorgen gegen 9 Uhr wieder aufgenommen. Gegen 11 Uhr fanden die Einsatzkräfte der Alpinen Rettung schliesslich den leblosen Mann im Fluss Moesa, wie William Kloter, Einsatzleiter der Bündner Kantonspolizei, gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte.

Der Fluss fliesst einige Meter unter den drei verschütteten Häuser durch, die Geröllmasse reichte bis hinunter ans Wasser. Vor Ort präsentierte sich ein Bild der Zerstörung. Das Gestein türmt sich auf mehren Metern auf.

Die Suche nach den beiden anderen Vermissten blieb bis am frühen Sonntagabend erfolglos. Die Chancen, diese lebend zu finden, seien minimal, sagte Kloter an der Medienkonferenz. Im Einsatz standen Einsatzkräfte mit Rettungshunden und Drohnen sowie Helikopter mit Wärmebildkameras. Auch die Armee unterstützte die Kantonspolizei bei der Suche nach den Vermissten.

Kloter selber wohnt vis-à-vis der Moesa und war zum Zeitpunkt des Ereignisses bei der Einweihung des neuen Feuerwehrgebäudes in Roveredo, wie er gegenüber Keystone-SDA sagte. Da habe er auch erfahren, dass sich zwei Polizisten in grosse Gefahr gebracht hätten, als sie nach Menschen oder Tieren Ausschau hielten, die in Gefahr sein könnten. Die Polizisten konnten sich in letzter Minute aus dem Dienstfahrzeug retten und nur noch zuschauen, wie dieses von den Fluten mitgerissen wurde.

Gerettete Frau aus der Intensivstation

Die am Samstag lebend gerettete Frau Mitte 70 wohnte im mittleren der drei mitgerissenen Häuser. Laut Kloter war sie unter den Steinmassen begraben und konnte auf ihrem Mobiltelefon die Rega-App aktivieren.

Die verletzte Frau wurde mit dem Helikopter ins Spital nach Lugano geflogen. In Zwischenzeit habe sie die Intensivstation verlassen können, sagte Kloter. Körperlich gehe es ihr den Umständen entsprechend gut.

Problematische Verkehrssituation auf Nord-Süd-Achse

Problematisch bleibt seit dem Unwetter die Verkehrssituation im Misox-Tal und somit auch auf der Nord-Süd-Achse. Insbesondere gilt das in Hinblick auf die bevorstehenden Sommerferien und den Reiseverkehr sowie die oft überlastete Gotthard-Autobahn.

Denn die Autobahn A13, die San-Bernardino-Route und normalerweise die Alternativroute zum Weg durch den Gotthard, wurde rund 7,5 Kilometer nördlich von Sorte beim Unwetter zerstört. Die Moesa trat über die Ufer und in der Folge stürzte die Autobahn A13 auf einer Länge von rund 200 Metern ein.

Falls es die Umstände zuliessen, werde am Montag mit den Reparaturarbeiten begonnen, sagte ein Sprecher des Bundesamts für Strassen auf Anfrage von Keystone-SDA. Klar ist aber: Die San-Bernardino-Route wird über längere Zeit gesperrt sein. Am Samstag und Sonntag bildete sich bereits Staus über 10 Kilometer Länge vor dem Nord- und Südportal des Gotthardtunnels.

Kantonsstrasse für Regionalverkehr

Die Kantonsstrasse soll vor allem für den lokalen und regionalen Verkehr genutzt werden, betonte der Bündner Regierungspräsident an der Medienkonferenz. «Wenn am Schluss auch der internationale Verkehr über die Kantonsstrasse läuft, dann ist der Kollaps mehr als programmiert», sagte er. Die Kantonsstrasse dürfe keine Alternative sein.

Bundesrat Cassis sagte an der Medienkonferenz, dass das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) am Montag das Notwendige tun werde, um die Verkehrsprobleme zu lösen. Er habe sich bereits am Sonntag mit dessen Chef Albert Rösti ausgetauscht.

Das Aussendepartement werde die Nachbarländer in adäquater Weise über die Weisungen des Uvek informieren, sagte Cassis. Es werde sich zeigen, was möglich sei.

Im Anschluss an die Medienkonferenz fuhr Bundesrat Ignazio Cassis mit den Regierungsräten und dem Einsatzleiter nach Sorte, um sich ein Bild vom Erdrutschgebiet zumachen. Er zeigte sich sichtlich betroffen und bedankte sich vor seiner Rückreise beim Einsatzleiter für die immense Arbeit, die geleistet werde. Es sei wichtig gewesen, dass er herkommen konnte, sagte der Bundesrat. Und: «Weiterhin viel Kraft.» Dann machte er sich durch die mit Dreck und Schutt überdeckte Kantonsstrasse zurück zum polierten Dienstwagen.

(AWP)