WAS WAR DIE AUSGANGSLAGE?
Die Schweiz ist ein Land der Mietenden. Ende 2022 befanden sich über sechzig Prozent der Haushalte in einer Mietwohnung. Insbesondere in den grossen Städten wohnen die meisten Einwohnerinnen und Einwohner zur Miete.
Das bürgerlich dominierte Parlament wollte strengere Regeln für die Untermiete und die vereinfachte Geltendmachung von Eigenbedarf durchsetzen. Der Mieterinnen- und Mieterverband ergriff dagegen das Referendum. Trotz weniger zur Verfügung stehender finanzieller Mittel in der Abstimmungskampagne konnte er zusammen mit den linken Parteien eine Mehrheit von seinen Argumenten überzeugen.
WIE SEHEN DIE ENDERGEBNISSE AUS?
53,8 Prozent sagten Nein zu neuen Regeln betreffend Eigenbedarf, 51,6 Prozent lehnten eine Revision der Bestimmungen zur Untermiete ab. Augenfällig sind der Rösti- und auch der Stadt-Land-Graben: Die Westschweizer Kantone sowie die grossen Städte - auch in der Deutschschweiz - lehnten neue Mietregeln ab. In den ländlich geprägten Kantonen gab es mehrheitlich ein Ja.
Das Nein an der Urne kam nicht ganz überraschend. Die beiden Mietrechtsvorlage wurden im Laufe des Abstimmungskampfs immer kritischer beäugt, was für Behördenvorlagen dem Ausnahmefall in der Meinungsbildung entspricht.
WAS BRACHTE DIE VORLAGEN ZU FALL?
Laut dem Forschungsinstitut gfs.bern haben die Schweizer Städte den Ausschlag gegeben. Dort habe die Nein-Kampagne überdurchschnittlich stark mobilisieren können. Der Blick auf die Abstimmungskarte zeigt eine überdurchschnittliche Stimmbeteiligung in urbanen Gemeinden. Das Stimmverhalten der dort lebenden Bevölkerung sei denn auch ausschlaggebend gewesen für den Erfolg der beiden Referenden.
Beispielsweise stimmten rund drei Viertel der Stimmenden in der Stadt Genf gegen die beiden Präzisierungen, in der Stadt Basel waren es rund zwei Drittel. Insgesamt betrachtet fiel der Ja-Anteil bei der Vorlage zur Untermiete in den Städten 18 Prozentpunkte tiefer aus als auf dem Land. Bei der Präzisierung zum Eigenbedarf betrug die Differenz sogar 20 Prozentpunkte.
Neben der erhöhten städtischen Mobilisierung profitierten laut gfs.bern die beiden Referenden von einer grundsätzlich eher behördenkritischen Stimmung im Land. Gleichzeitig habe es wohl auch eine Rolle gespielt, dass sich der Bundesrat während der Kampagnenphase nicht stark für die beiden Anpassungen des Mietrechts eingesetzt habe.
WAS BEDEUTEN DIE BEIDEN NEIN?
Bei den Regeln zur Kündigung wegen Eigenbedarf von Mietobjekten sowie zu den Untermieten bleibt alles beim Alten. Nach dem Kauf einer Immobilie kann der neue Besitzer einen vom Vorbesitzer übernommenen Mietvertrag mit längerer Kündigungsfrist vorzeitig kündigen, wenn er dringenden Eigenbedarf geltend machen kann. Bei einem Rechtsstreit mit Vermietenden sind Mietende während des Verfahrens und eine gewisse Zeit danach vor sogenannten Rachekündigungen geschützt.
Auch Missbräuche von Untermieten müssen mit den geltenden Regeln bekämpft werden. Vermietende müssen über Untervermietungen informiert werden und können ihr Veto einlegen, wenn Hauptmietende Räume zu teuer weitervermieten, die Vermietenden Nachteile in Kauf nehmen müssen - etwa Lärm oder Überbelegung der Räume - oder wenn der Hauptmietende den Vermietenden nicht über die Bedingungen der Untermiete informiert.
Für Vermietungen über Onlineplattformen muss die Zustimmung des Vermietenden weiterhin eingeholt werden. Zudem gelten je nach Kanton und Wohngemeinde Einschränkungen für Vermietungen über Plattformen.
WIE REAGIEREN DIE GEWINNER?
Der Mieterverband wertet das Ergebnis als «schallende Klatsche für die Immobilien-Lobby». Das Resultat sei eine klare Absage an zwei Vorstösse, die vor der parlamentarischen Beratung stünden und «Tür und Tor für überhöhte, missbräuchliche Mieten öffnen würden». Das doppelte Nein sei auch eine gute Nachricht für die vielen KMU, die sich Raum und Mietkosten mit anderen Geschäftsmietenden teilten.
Die geplanten Gesetzesrevisionen hätten auch zu einem weiteren Anstieg der Mietpreise und damit einer weiteren Schwächung der Kaufkraft der Arbeitnehmenden geführt, teilte der Arbeitnehmenden-Dachverband Travail Suisse mit. Die SP forderte ein sofortiges Mietzinsmoratorium, eine Pflicht zur regelmässigen Überprüfung der Renditen für grössere Vermieter und die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus.
WIE REAGIEREN DIE VERLIERER?
Für den Hauseigentümerverband löst das Abstimmungsresultat die Probleme mit den Missbräuchen nicht. Die FDP befürchtet steigende Mietzinsen. Die beiden Nein bedeuteten einen Schlag gegen die Zukunft des Landes, schrieben die Freisinnigen.
WAS SAGT DER BUNDESRAT ZUR ABLEHNUNG?
Die Vorlagen hätten aus Sicht der Mehrheit das Ungleichgewicht zwischen Mietenden und Vermietenden verstärkt, sagte Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Zudem sei vielen nicht klar gewesen, weshalb es die neuen Regeln brauche. Bevor neue Projekte behandelt werden, müssten die Interessen der Mieter- und Vermieterschaft sondiert werden, sagte Parmelin. Es brauche Kompromisse.
WIE GEHT ES NUN WEITER?
Bundesrat Guy Parmelin warnte davor, das Mietrecht nun so zu belassen wie heute. In einigen Punkten müssten die Gesetze modernisiert und aktualisiert werden. Dazu brauche es einen transparenten, konstruktiven Dialog aller Betroffener. Auf der einen Seite brauche es einen wirksamen Mieterschutz, auf der anderen Seite auch unternehmerische Freiheiten für Investoren.
Parmelin will bald neue Gespräche mit den Spitzen der Mietenden- und Vermietendenverbände führen, wie er ankündigte. Er betonte, dass der Bundesrat beim Thema Mietrecht «kaum Handlungsspielraum» habe, sondern insbesondere die Kantone und Gemeinden in der Pflicht stünden.
Weitere Debatten zum Mietrecht sind bald zu erwarten. Die zuständige Nationalratskommission hat kürzlich zwei Vorlagen verabschiedet, die für Mietende die Hürden erhöhen, sich gegen Anfangsmietzinse zu wehren. Über die Vorlagen dürfte im Frühjahr der Nationalrat entscheiden.
(AWP)