«Wir werden sie nicht wegkriegen. Wir wollen sie auch gar nicht wegkriegen. Aber wir wollen, dass sie besser handhabbar ist», sagte der SPD-Politiker am Freitag auf einer Veranstaltung von sozialdemokratischen Kommunalpolitikern in Berlin. Zugleich brachte Mecklenburg-Vorpommern einen Antrag im Bundesrat für eine Reform ein. Finanzminister Jörg Kukies (SPD) dämpfte Erwartungen, dass eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse grosse neue Spielräume im Bundeshaushalt schaffen könnte.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte die Debatte vor wenigen Tagen mit der Bemerkung angeheizt, dass man die Schuldenbremse, die die Kreditaufnahme von Bund und Ländern eng begrenzt, «natürlich» ändern könne. Es komme darauf an, zu welchem Zweck dies passiere. Bisher haben die FDP in der Ampel sowie die CDU/CSU-Bundestagsfraktionen eine Reform verhindert. SPD, Grüne, Industrieverbänden, Gewerkschaften sowie etliche CDU-Ministerpräsidenten wollen dagegen Öffnungsklauseln für Investitionen und die Korrektur des völligen Verschuldungsverbots der Bundesländer. Der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Dennis Radtke, sprach sich gegenüber Reuters-TV ebenfalls für eine Reform aus, äusserte aber Zweifel, ob eine Reform angesichts der nötigen Grundgesetzänderung noch vor dem Wahltermin am 23. Februar gelinge.
Ein Argument für Eile ist die Befürchtung, dass AfD und BSW nach der Bundestagswahl eine Sperrminorität im Bundestag erreichen könnte. Sowohl für eine Änderung der Schuldenbremse als auch eine Einrichtung neuer Kreditlinien, die für spezielle Nutzungen im Grundgesetz verankert werden müssten, ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig.
Scholz verwies auf den hohen Finanzbedarf, da der Verteidigungsetat 2028 auf rund 80 Milliarden Euro steigen müsse, weil man das Zwei-Prozent-Ziel der Nato auch künftig einhalten wolle. «Aber es kommen dann so ab dieser Zeit auch noch ganz viele andere Dinge auf uns zu», warnte der Kanzler und verwies auf die nötige Rückzahlung der Schulden aus der Bekämpfung der Corona-Krise, der hohen Energiepreise nach dem russischen Krieg gegen die Ukraine und dem Gaslieferstopp sowie aus dem Sondervermögen Bundeswehr.
«Die Frage ist doch, geht das auf Kosten von all dem, was wir an Zukunft und Zusammenhalt in Deutschland haben wollen?», fragte Scholz. Der Kanzler verwies darauf, dass sich die Entwicklung von Deutschland beim Schuldenstand immer weiter von denen der anderen grossen Volkswirtschaften entferne. Deutschland gehe auf eine Gesamtverschuldung von 60 Prozent herunter, während die anderen G7-Staaten USA, Japan, Frankreich, Italien oder Grossbritannien weit darüber lägen. Man dürfe deshalb die Verteidigungsausgaben nicht auf Kosten von Investitionen oder schlechteren Leistungen für Rentner «oder sonst was» finanzieren. «Und deshalb sage ich, ja, wir brauchen eine moderate Reform der Schuldenbremse.»
Der Entschliessungsantrag Mecklenburg-Vorpommerns wurde in die Ausschüsse des Bundesrates überwiesen, setzt das Thema nun aber auf die Tagesordnung der Länderkammer. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, die Schuldenbremse so zu reformieren, «dass nicht nur der Bund, sondern auch die Länder in die Lage versetzt werden, Investitionen unter Rückgriff auf Kredite zu finanzieren». Zudem soll neben dem sogenannten Sondervermögen Bundeswehr ein weiteres Sondervermögen Infrastruktur geschaffen werden, das von Bund und Ländern gemeinsam genutzt werden kann.
In dem Antrag wird damit argumentiert, dass der Industrieverband BDI den öffentlichen Investitionsbedarf in den kommenden zehn Jahren auf 400 Milliarden Euro schätzt. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätze ihn sogar auf 600 Milliarden Euro. Zudem wird auf die Notwendigkeit verwiesen, verstärkt in die nationale Sicherheit zu investieren. «Es ist unrealistisch und volkswirtschaftlich schädlich, die dringend und drängend notwendigen Investitionen ohne die Aufnahme von Krediten umsetzen zu wollen», heisst es. Finanzminister Kukies warnte im «Handelsblatt» vor zu grossen Erwartungen an eine «moderate, zielgerichtete Reform». Denn die Kreditaufnahme im Bundeshaushalt werde auch durch EU-Vorgaben begrenzt. «Selbst wenn wir keine Schuldenbremse hätten, wären wir immer noch den europäischen Schuldenregeln unterworfen», sagte Kukies. «Auch die erfordern eine Priorisierung, weil sie den Anstieg der staatlichen Ausgaben begrenzen und eine solide Haushaltspolitik verlangen.» Aufgrund der Neuwahlen will der neue Finanzminister in Brüssel dafür werben, dass Deutschland mehr Zeit bekomme bei der Einreichung seiner Ausgabenpläne im Rahmen der neuen EU-Schuldenregeln.
Der AfD-Bundestagsabgeordnete Leif Holm kritisierte den Vorstoss vor allem von Mecklenburg-Vorpommern. «Die Schuldenbremse besteht aus gutem Grund und wurde zu Recht im vergangenen Jahr vom Bundesverfassungsgericht gestärkt», sagte er. Er kritisierte besonders Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) dafür, dass sie den Antrag in den Bundesrat eingebracht hatte. Scholz kündigte zudem an, dass er sich noch einmal das in der Zeit des entlassenen Finanzministers Christian Lindner (FDP) ungelösten Altschuldenproblem von Kommunen vornehmen werde. «Ich werde noch dafür Sorge tragen, dass es einen Antrag der Bundesregierung im Deutschen Bundestag gibt, um sicherzustellen, dass die Vorschläge, die auf dem Tisch liegen für eine Lösung der Altschuldenproblematik dort verhandelt werden können», sagte er. «Es muss aufhören, dass immer alle sagen, sie sind dafür, und dann machen sie nichts.»
(Reuters)