Die neue Börsenwoche dürfte zeigen, ob die abweichenden Erwartungen für den Zinskurs der Notenbanken dies- und jenseits des Atlantiks gerechtfertigt sind. Die Investoren haben die Hoffnung auf eine erste Zinssenkung der US-Notenbank Fed bei ihrer Sitzung im Juni mittlerweile mehr oder weniger begraben. Auslöser war der US-Inflationsbericht am vergangenen Mittwoch, der einen überraschend starken Anstieg der Teuerungsrate im März zeigte.
Die Inflation in der Euro-Zone näherte sich dagegen immer mehr dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent. «Liegen Amerika und Europa auf unterschiedlichen Planeten?», schrieben die Experten der Helaba. In Zeiten einer globalisierten Wirtschaft sei es zwar bereits gelegentlich zu abweichenden Entwicklungen zwischen beiden Kontinenten gekommen. «Aber derzeit scheinen die Unterscheide um einiges grösser zu sein.»
Auch die schwächelnde Konjunktur in der Euro-Zone schürte Hoffnungen auf eine baldige geldpolitische Lockerung der Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde. Die Notenbanker versuchen, mit erhöhten Zinsen die Inflation zu bekämpfen, ohne der Konjunktur allzu sehr zuzusetzen.
Die US-Wirtschaft zeigt sich indes nach wie vor widerstandsfähig. An den Terminmärkten wird die Wahrscheinlichkeit einer geldpolitischen Lockerung der Fed bei ihren Sitzungen im Juni und Juli daher auf nur noch rund 25 beziehungsweise 55 Prozent geschätzt. Bei der EZB sind es knapp 80 und 90 Prozent.
Die Erwartung zunächst hoch bleibender Zinsen in den USA hat den Börsen in den vergangenen Tagen stark zugesetzt. Der SMI lag am Freitag mit 11'379 Punkten 1,2 Prozent unter dem Vorwochenschluss.
US-Einzelhandel und europäische Inflation im Blick
Weitere Konjunkturdaten in der neuen Woche dürften das Bild der Wirtschaft in Europa und den USA im ersten Quartal abrunden, sagte Commerzbank-Ökonom Christoph Balz. Wichtig seien dabei insbesondere die am Montag anstehenden US-Einzelhandelsumsätze im März, die Experten zufolge leicht gestiegen sein dürften. «Dies würde unser Bild bestätigen, dass der private Konsum nur noch mit moderatem Tempo expandiert», kommentierte Balz.
Am Dienstag legt das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) die Umfrage zur Konjunktureinschätzung der Investoren im April vor. Dann wird sich zeigen, ob der Optimismus der Anleger weiter zunimmt oder nicht. Angesichts der absehbaren EZB-Zinswende beurteilten Börsenprofis die Konjunkturaussichten in Deutschland im März deutlich besser als zuvor.
Ebenfalls am Dienstag steht das chinesische Bruttoinlandsprodukt für das erste Quartal an. Die Experten erwarten im Schnitt, dass sich das Wachstum von Deutschlands wichtigstem Handelspartner gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 4,6 von 5,2 Prozent im Schlussquartal 2023 abgeschwächt hat.
Zur Wochenmitte präsentiert das EU-Statistikamt die endgültigen Daten zu den Verbraucherpreisen in der Euro-Zone im März. Nach vorläufigen Daten hat sich die Teuerungsrate mit 2,4 Prozent dem Ziel der Europäischen Zentralbank angenähert.
Zum Wochenschluss veröffentlicht das Statistische Bundesamt die deutschen Erzeugerpreise für März. Diese Daten lassen frühe Rückschlüsse auf die Entwicklung der Verbraucherpreise zu. Die Erzeugerpreise waren im Februar auch wegen günstigerer Nahrungsmittel deutlich gefallen und sorgten damit für abnehmenden Inflationsdruck.
Bilanzsaison nimmt Fahrt auf
Nach den ersten Bilanzen der US-Grossbanken für das Auftaktquartal stehen in der neuen Woche weitere Konzernergebnisse an. Im Fokus in den USA sind weitere Berichte wichtiger Geldhäuser wie Goldman Sachs, Bank of America, Bank of New York Mellon und Morgan Stanley.
Auch in der Schweiz stehen die ersten Quartalsberichte an. "Diese dürfte angesichts der für 2024 klar positiven Gewinnschätzungen der Analysten zu einem Realitäts-Check für die Finanzmärkte werden", heisst es in einem Marktkommentar von Raiffeisen.
In der vergangenen Woche sorgten der Aromen- und Duftstoffhersteller Givaudan und der Schokoladenkonzern Barry Callebaut für positive Überraschungen. Die Erwartungen verfehlt hat dagegen der Vakuumventil-Hersteller VAT.
Die deutschen Investoren warten unterdessen auf die Ergebnisse des Hamburger Konsumgüterkonzerns Beiersdorf am Dienstag und des Göttinger Laborausrüsters Sartorius am Donnerstag.
(cash/AWP/Reuters)