Zuerst werde nun mit Priorität an der Inbetriebnahme der unbeschädigten Oströhre gearbeitet, sagte SBB-Chef Vincent Ducrot vor den Medien in Bern. Dann erst werde die beschädigte Weströhre in Angriff genommen.

Die Verantwortlichen rechnen damit, dass erst Anfang 2024 beide Tunnelröhren wieder ohne Einschränkungen befahren werden können. Die Arbeiten dauern nicht zuletzt wegen der extremen Bedingungen im Tunnel so lange - Laut SBB-Infrastrukturleiter Rudolf Büchi gibt es keinen Strom, und die Arbeiter sind Dunkelheit und Temperaturen bis 40 Grad ausgesetzt.

Nach wie vor stehen 16 entgleiste und zum Teil schwer beschädigte Güterwagen im Tunnel. "Solche Bilder möchte man nicht sehen", sagte Ducrot, "als Bahnchef trifft mich das sehr".

Die Schäden an der Infrastruktur erstrecken sich auf acht Kilometer. Auf dieser Strecke müssen Gleise und rund 20'000 Betonschwellen ersetzt werden. Die Gleise sind im Tunnel nicht in ein Schotterbett eingebaut, sondern in Beton. Der Unfallort gleiche einem Trümmerfeld, sagte Büchi. Deshalb werde auch Medienschaffenden kein Zugang gewährt.

Kein Gefahrengut in den Waggons

Der verunfallte Güterzug setzte sich aus 30 Wagen aus fünf verschiedenen Destinationen in Italien zusammen, sagte Isabelle Betschart Kühne, die Produktionsleiterin von SBB Cargo. Sie seien bei der Ankunft in Chiasso kontrolliert worden. Bei zwei Kontrollen hätten sich keine Auffälligkeiten gezeigt.

Die Wagen hätten von Italien nach Deutschland fahren sollen. Für den Abschnitt von Chiasso nach Basel war SBB Cargo verantwortlich. Wem die entgleisten Waggons gehören, sei nach wie vor unklar. In den havarierten Wagen habe sich kein Gefahrengut befunden. Diejenigen Zisternen, die für gefährliche Güter eingesetzt werden, seien leer gewesen.

Zur Unfallursache konnten die SBB-Verantwortlichen am Mittwoch noch keine Angaben machen. Man warte auf die Untersuchungsergebnisse der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust). Diese hatte bereits am Wochenende bekannt gegeben, dass die Radscheibe eines Güterwagens im Tunnel gebrochen sei.

Kulant mit Reisenden

Derzeit kann SBB Cargo einen wesentlichen Teil des inländischen Güterverkehrs über die Panoramastrecke führen. Dazu zählen die Expresszüge im Wagenladungsverkehr in der Nacht sowie ein grosser Teil der Verbindungen tagsüber. SBB Cargo International hingegen weicht für den kombinierten Transitverkehr momentan auf die Ausweichstrecke über den Lötschberg aus - dies betrifft etwa 30 Prozent ihres Gütervolumens.

Während die Güterzüge ab dem 23. August wieder durch den Tunnel rollen sollen, fahren die Reisezüge bis auf Weiteres über die Panoramastrecke. Die Fahrt dauert somit eine Stunde länger, für internationale Verbindungen sind es bis zu zwei Stunden. Ermässigungen für betroffene Kundinnen und Kunden gibt es laut Reto Liechti, SBB-Bahnproduktionsleiter, nicht. Man sei aber kulant, wenn jemand eine internationale Reise annullieren wolle.

Auch Verkehrsminister Albert Rösti hat sich am Mittwoch zum Unfall geäussert. Er sei sehr beunruhigt, was die Nord-Süd-Verbindung anbelange, sagte er vor den Medien. Diese sei für den Personen- und Güterverkehr "von zentralster Bedeutung". Das Wirtschaftsdepartement habe beim zuständigen Bundesamt abklären lassen, ob ein Problem in Bezug auf Güterlieferungen entstehen könnte. "Das sollte Stand heute nicht der Fall sein", sagte Rösti.