Teil einer Waffenruhe-Vereinbarung zwischen Israel und der islamistischen Hamas ist auch die Entlassung palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen. 66 von ihnen kamen am Abend per Bus in Ramallah im Westjordanland an.

Insgesamt sollten 110 palästinensischen Häftlinge freikommen. Die Freilassung verzögerte sich jedoch nach den chaotischen Szenen in Chan Junis. Israel bestand zunächst auf einer Zusicherung der Vermittler, dass künftige Freilassungen sicher ablaufen würden.

Bedrohliche Szenen bei Geiselfreilassung

Die Ex-Geiseln kamen nach ihrer Freilassung zunächst zu einem israelischen Militärlager im Süden Israels. Die Deutsch-Israelis trafen dort auch ihre Familien, die Thailänder sollten von thailändischen Regierungsbeamten empfangen werden, wie Israels Armee mitteilte. Anschliessend wurde sie per Helikopter in eine Klinik geflogen.

Nach der Rückkehr der israelischen Geiseln gab es tränenreiche Wiedersehen mit ihren Angehörigen. Israels Regierung veröffentliche Aufnahmen, die die drei in den Armen ihrer Angehörigen zeigten.

Am Morgen war in Dschabalija im Norden des Gazastreifens zunächst die 20-jährige israelische Soldatin Agam Berger Vertretern des Roten Kreuzes übergeben worden. Sie musste auf einer Bühne einer Menge zuwinken. Ihre Familie in Israel verfolgte die Zeremonie im Fernsehen und reagierte mit Tränen und begeistertem Jubel auf den Anblick der jungen Frau.

Die Aufnahmen von Al-Dschasira aus Chan Junis einige Stunden später zeigten, wie die Deutsch-Israelis Arbel Yehud (29) und Gadi Moses (80) langsam durch eine grosse, dicht gedrängte und laut schreiende Menschenmenge laufen mussten. Viele Palästinenser versuchten, die Frau mit ihren Handys zu fotografieren. Vermummte und bewaffnete Islamisten begleiteten und beschützten sie. Ein Kämpfer hielt die Hand der verängstigt wirkenden Frau. Israelische Fernsehkommentatoren sprachen in Anlehnung an den Kreuzweg Jesu von einer «Via Dolorosa».

Die «Zeremonie» fand neben dem zerstörten Haus des im Oktober getöteten Hamas-Chefs Jihia al-Sinwar statt. Eine riesige jubelnde Menschenmenge drängte sich zwischen den Trümmern der Stadt um die bewaffneten und vermummten Islamisten und die Fahrzeuge mit den Geiseln.

«Dies ist ein weiterer Beweis für die unvorstellbare Grausamkeit der Terrororganisation Hamas», sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach Angaben seines Büros angesichts der «schockierenden Szenen» bei der Geiselübergabe.

Netanjahu rief demnach die Staaten, die das Waffenruhe-Abkommen zwischen Israel und der Hamas vermittelt haben, dazu auf, dafür zu sorgen, dass sich derartige Szenen nicht wiederholen würden.

Der israelische Präsident Izchak Herzog sprach von «Szenen der Misshandlung und des Terrors». Dennoch rühre die Rückkehr der Geiseln aus der Gefangenschaft zu Tränen, so Herzog.

Deutsche Spitzenpolitiker reagierten erleichtert auf die Freilassung. «Arbel Yehoud und Gadi Moses sind frei, beide deutsch-israelische Staatsangehörige», schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Plattform X. «Wir sind erleichtert und freuen uns mit allen Geiseln, die heute zurückgekehrt sind.» Ähnlich äusserten sich auch die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock sowie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Neue Vereinbarungen nach Verzögerung bei der Freilassung von Deutsch-Israelin

Yehud wurde am 7. Oktober 2023 gemeinsam mit ihrem Freund aus ihrem Haus im Kibbuz Nir Oz verschleppt. Der Bruder der Frau, der ebenfalls in dem Ort in der Nähe des Gazastreifens wohnte, wurde während des Terrorangriffs getötet.

Die 29-jährige Deutsch-Israelin sollte nach israelischen Angaben ursprünglich bereits am vergangenen Samstag freigelassen werden. Die Waffenruhe-Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas sieht vor, dass zuerst Zivilisten freikommen sollten. Stattdessen liess die Hamas vier Soldatinnen im Austausch gegen 200 palästinensische Häftlinge frei.

Israel hatte die vereinbarte Rückkehr von Vertriebenen in den Norden des Gazastreifens deshalb zunächst blockiert, nach einer neuen Vereinbarung über die Freilassung der Deutsch-Israelin und zweier weiterer Geiseln jedoch erlaubt.

Yehud befand sich in der Gewalt der Terrororganisation Palästinensischer Islamischer Dschihad.

Palästinensische Häftlinge aus Gefängnissen entlassen

Von den 110 palästinensischen Häftlingen, die für die drei israelischen Geiseln ausgetauscht wurden, waren mehr als 30 zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden. Israelischen Medienberichten zufolge ist darunter auch Sakaria Subeidi, der während des zweiten Palästinenseraufstands Intifada Befehlshaber des militärischen Arms der Fatah-Bewegung in Dschenin im nördlichen Westjordanland war. Dabei wurden zwischen 2000 und 2005 rund 3.500 Palästinenser getötet, mehr als 1.000 Israelis kamen bei Anschlägen von Palästinensern ums Leben.

Freikommen sollte Medien zufolge zudem Mahmud Atallah, der eine lebenslange Haftstrafe plus 15 Jahre für die Ermordung einer Palästinenserin verbüsst, die der Kollaboration mit Israel beschuldigt wurde.

Für die fünf thailändischen Geiseln wurden keine palästinensischen Häftlinge entlassen. Israelische Medien meldeten, sie seien im Rahmen einer Vereinbarung zwischen der Hamas und Thailand freigekommen.

Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen hatten bei ihrem Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 Israelis als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Der Überfall war der Auslöser des Krieges in dem abgeriegelten Küstengebiet, wo seither laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 47.400 Menschen getötet wurden. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern.

Waffenruhe und Austausch von Geiseln und Häftlingen

Nach der Übergabe der acht Entführten werden noch rund 80 Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Das am 19. Januar in Kraft getretenes Abkommen über eine Waffenruhe sieht vor, dass in einer ersten Phase innerhalb von sechs Wochen 33 Geiseln im Austausch für 1.904 palästinensische Häftlinge freigelassen werden - sieben Geiseln kamen bereits an den vergangenen beiden Wochenenden frei. Die Hamas teilte zuletzt mit, dass acht der 33 Geiseln tot seien. Um welche Geiseln es sich genau handelt, liess die Terrororganisation jedoch offen.

Ungewiss ist auch weiterhin das Schicksal einer Mutter und ihrer zwei kleinen Kinder, die auch in den Gazastreifen verschleppt worden waren und die in der ersten Phase freikommen sollten.

Drei weitere Geiseln sollen an diesem Samstag freikommen.

Hamas bestätigt erstmals Tod ihres Militärchefs

Rund sechs Monate nach einem israelischen Luftangriff auf den damaligen Hamas-Militärchef, Mohammed Deif, bestätigte die islamistische Terrororganisation dessen Tod erstmals offiziell. Zudem erklärte Hamas-Sprecher Abu Obeida nun auch erstmals, dass der dritthöchste Hamas-Führer im Gazastreifen, Marwan Issa, tot sei.

Israels Militär hatte Deif im vergangenen Juli bei Chan Junis im Süden des Küstengebiets angegriffen und nach eigenen Angaben getötet. Dutzende Menschen kamen bei dem Angriff ums Leben. Bereits im März 2024 hatte Israels Armee die Tötung von Deifs Stellvertreter Marwan Issa bei einem Luftschlag verkündet./le/DP/he

(AWP)