Nein, Zauderei kann man Donald Trump wahrlich nicht vorwerfen. Seit rund einem Monat als 47. US-Präsident im Amt, machte sich der Republikaner an die Umsetzung seiner Wahlkampfankündigungen. Und diese umfassen auch das Hochziehen der Zollmauern. Generelle Importzölle auf Stahl und Aluminium sowie zusätzliche Zölle gegen Kolumbien, Mexiko, Kanada oder China – der US-Präsident liess buchstäblich nichts anbrennen.
Auch wenn Trump die 25%-Zölle auf mexikanische und kanadische Importe mittlerweile für einen Monat sistierte, sollte sich die restliche Welt davor hüten, altbekannte Fehler im Umgang mit Trump und seiner Administration wieder und wieder zu begehen.
Das «Prinzip Hoffnung» taugt nicht
Erstens darf – wie wir schon vor einem Monat an gleicher Stelle betonten – nicht davon ausgegangen werden, dass Trump seine Zolldrohungen nicht wahr machen wird, weil dies für die USA zum wirtschaftlichen Bumerang würde. Diese Auffassung ist erstaunlich weit verbreitet, obschon sie an das sprichwörtliche Pfeifen im Wald erinnert. Zwar ist es richtig, dass ein umfassendes Zollregime auf lange Sicht das amerikanische Wirtschaftswachstum durchaus etwas abbremsen könnte. Dies wäre der Fall, wenn die Zölle über Jahre immer schrittweise angehoben würden, und so die US-Inflation nicht nur einmalig steigen würde. Aber selbst dann würden die USA wohl noch mit Wachstumsraten aufwarten, von denen gerade die Eurozone nur träumen kann.
Zumal es höchst zweifelhaft ist, ob die Strafzölle für die USA überhaupt negative Auswirkungen entfalten. Denn der oft herbeigezogene Vergleich zu den 1930er Jahren als die im Zuge des «Smoot-Hawley-Tariff-Act» erhobenen US-Zölle auf 20 000 Einfuhrprodukte zu einer Beeinträchtigung von Konsum und Industrie führten, taugt bestenfalls bedingt. Damals exportierten die USA mehr als sie konsumierten und importierten, wohingegen heute die amerikanische Aussenhandelsbilanz seit Jahren negativ ausfällt. Die heimische Produktion ist nur zu einem relativ geringen Grad durch die ausländische Nachfrage ausgelastet und kann somit die Binnennachfrage entsprechend absorbieren. Zusammen mit Trumps Fiskalpolitik, der Deregulierung und der erwarteten globalen Produktionsverlagerung in die USA, dürften die Zölle vorerst nicht zum Bremsklotz für die US-Wirtschaft werden, sondern deren Wachstum eher beschleunigen.
Ohnmächtige WTO
Zweitens muss Europa endlich lernen, die Wahrheiten als solche zu akzeptieren und diese nicht zu ignorieren oder schön zu reden. Und zu diesen Wahrheiten gehört nun mal, dass Donald Trump und seine Handelspolitik kein schnell vorüberziehendes Unwetter ist. Weder ist in vier Jahren die Welt rosarot, noch ist der unverhohlene Protektionismus ein Problem, das erst mit Trump die heutige Brisanz annahm. So gelingt der WTO als Hüterin des Freihandelns seit rund 30 Jahren keinen Fortschritt beim Abbau von Handelshemmnissen mehr. Spätestens die nach siebenjähriger Verhandlung 2008 endgültig gescheiterte Doha-Runde stürzte die WTO in eine Sinnkrise, von der sie sich bis heute nicht erholt hat. Beim nun aufgezogenen Zoll-Powerplay der USA ist sie zur bedeutungslosen Zuschauerin geworden.
Dies wird sie auch nach 2029 bleiben. Die Hoffnung, der Welthandel werde nach Trumps Amtszeit wieder in einen regelbasierten WTO-Modus zurückfinden, halten wir für nicht angezeigt. Denn die amerikanische Abwendung von den WTO- (bzw. GATT-) Regeln hat schon lange vor Trumps erster Präsidentschaft eingesetzt. Mit dem Beitritt des rasant wachsenden Chinas zur WTO im Jahre 2001 büssten die USA zu-nehmend an Bedeutung innerhalb der Welthandelsorganisation ein, und sie begannen das Regelwerk als gängelnd anzusehen. Dies kulminierte 2007 darin, als der damalige US-Präsident George W. Bush die Neubesetzung der Richterstellen am WTO-Berufungsgericht zu blockieren begann und diese Blockadehaltung auch von Barack Obama und den nachfolgenden Präsidenten aufrechterhalten worden ist.
Das Resultat: Die WTO-Berufungsinstanz ist seit mittlerweile sechs Jahren nicht arbeitsfähig, weil die Mindestanzahl Richter nicht mehr erreicht wird. Zölle, Gegenzölle – Importabgaben verletzen schon lange rund um den Globus WTO-Regeln. Bloss fehlt die Möglichkeit, den Regelbruch überhaupt feststellen zu lassen, geschweige denn zu sanktionieren. Die schon seit langer Zeit unter Zahnschwund leidende WTO ist vollends zum zahnlosen Tiger geworden.
Ohne Trump wird nicht alles besser
Das heisst, dass das internationale Handelsumfeld auch nach Donald Trump ein raues Pflaster bleiben wird. Der Ton mag dann wieder konzilianter sein, der Pausenplatz-Charakter mit dem unschönen Recht-des-Stärkeren-Prinzip wird aber wohl Tatsache bleiben.
Umso mehr müsste Europa aus der Unmündigkeit aufwachen und die wirtschaftsstrukturellen, haushälterischen und sicherheitspolitischen Hausaufgaben erledigen. Es ist nicht zielführend, für eine ferne Zukunft immer neue Luftschlösser hinsichtlich Energiewende, Migration und Verschuldung zu bauen, wenn man nicht einmal auf dem Schulhof bestehen kann.
Wir sind skeptisch, dass sich Europa bald selbstkritisch diesen Realitäten stellen wird. Viel bequemer ist es, einem zweifelsohne fragwürdigen US-Präsidenten und seiner Politik die Schuld in die Schuhe zu schieben. Von nicht erreichten Klimazielen, über Energieversorgungsprobleme, nicht mehr konkurrenzfähige Branchen – es ist einfacher, vor dem Weissen Haus als vor der eigenen Haustür zu kehren. Bloss: Eine Wende zum Besseren gelingt so nicht. Schon gar, wenn die USA europäische Produkte mit Importzöllen belegen. Wir erwarten für Europa daher vorerst ein Andauern des konjunkturellen Kriechgangs bei spürbar erhöhten Abwärtsrisiken.
Es bleibt ungemütlich
Von dieser trüben Wirtschaftssituation wird auch die Schweiz in Mitleidenschaft gezogen. Das zeigt sich insbesondere in der Industrie, wo sich Lage mehr und mehr verdüstert. Mit der anhaltenden Krise in Deutschland schwindet die Nachfrage aus unserem nördlichen Nachbarn wie Schnee in der Sonne. Kein Wunder kletterte die Anzahl von Kurzarbeit betroffener Betriebe aus der Maschinenbau-, Elektro- und Metallindustrie auf den höchsten Stand seit zehn Jahren.
Entsprechend sind aus dem Verarbeiten-dem Gewerbe und dem Aussenhandel für die Schweizer Wirtschaft weiterhin keine belebenden Impulse zu erwarten. Das Wachstum bleibt weiter deutlich unter Potenzial und wird im Falle von US-Zöllen mit noch stärkerem Gegenwind zu kämpfen haben. Und es wäre überraschend, wenn die Schweiz von Strafzöllen verschont bliebe. Schliesslich weist sie gegenüber den USA einen deutlichen Exportüberschuss aus, was in Trumps Worten klarer Ausdruck eines «unfairen» Handelsverhältnisses ist.