"Wir erleben zur Zeit die erste weltweite Energiekrise", sagte der Direktor des Bundesamtes für Energie, Benoît Revaz, am Mittwoch vor den Medien in Bern. Durch den Krieg in der Ukraine sei Europa besonders von der Energiekrise betroffen und damit auch die Schweiz.
Der Bund und die Branche arbeiteten seit einigen Monaten daran, Lösungen für die Versorgungssicherheit für den kommenden Winter zu finden. Es gibt aber Unsicherheiten. Eine ist, ob und in welchem Umfang Russland Gas nach Europa liefert. Eine zweite ist, ob die Schweizer Speicherseen im Herbst und Winter noch genug voll sind.
Pläne für Strom- und Gasmangel
Komme es zu einer Strommangellage, wären die Aufgaben klar verteilt: "Der Bund beschliesst, die Strombranche, Wirtschaft und Bevölkerung setzen um", sagte Michael Frank, Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Stufe um Stufe würden immer strengere Massnahmen in Kraft treten.
Diese reichten von Sparappellen über Verbrauchseinschränkungen wie zum Beispiel von Schaufensterbeleuchtungen oder Heizgeräten bis zu einer Rationierung oder Kontingentierung des Stromverbrauchs von rund 30'000 Grossverbrauchern. Durch diese drei Massnahmen könnten schätzungsweise rund 25 bis 30 Prozent eingespart werden.
Die Massnahmen wären hart, räumte Frank ein. Sie könnten aber nötig sein, um nicht noch einschneidendere Massnahmen beschliessen zu müssen. Denn als Ultima Ratio käme es zu einer Netzabschaltung in gewissen Gebieten über einen Zeitraum von jeweils vier bis acht Stunden. Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein solches Szenario eintritt, lässt sich laut Frank derzeit nicht abschätzen.
Einen ähnlichen vierstufigen Plan gibt es fürs Gas: Von Sparappellen wird laut Bastian Schwark, Leiter des Fachbereichs Energie bei der wirtschaftlichen Landesversorgung (WL), ein Rückgang des Verbrauchs um fünf Prozent erwartet.
Speicherseen normal gefüllt
Fruchten Sparaufrufe zu wenig, sollen als nächste Stufe mit Öl und Gas betreibbare Zweistoffanlagen auf Ölbetrieb umgestellt werden. Swissoil Schweiz rechnet deshalb mit einer steigenden Nachfrage nach Heizöl und rief in einer Mitteilung vom Mittwoch dazu auf, den Ölkauf vorausschauend zu planen.
Die ersten zwei Schritte des Plans könnten den Verbrauch um etwa einen Fünftel senken. Bei Bedarf könnten ausserdem etwa verbindliche Vorgaben zu Temperaturen in öffentlichen Gebäuden oder Büros gemacht werden.
Eine Kontingentierung - die vierte Stufe des Plans - ist nur vorgesehen, wenn die anderen Massnahmen ausgeschöpft sind. Schwark äusserte sich vorsichtig optimistisch, dass Russland nach den Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1 wieder Gas durch diese liefert. Die Preisentwicklung an den Märkten in den letzten Tagen zeige, dass die Marktakteure von diesem Szenario ausgingen.
Im Moment ist die Energieversorgung der Schweiz gesichert. Die Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 tangieren die Schweiz nicht und die Speicherseen für die Stromproduktion sind normal gefüllt, wie das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) schreibt. Die AKW laufen bis auf das wegen der Hitze teilweise gedrosselte Beznau mit Volllast.
Das mit Flusswasser gekühlte AKW abzuschalten wäre laut Meister nötig, wenn die Aare-Temperatur drei Tage über 25 Grad liegt. Eine Voll-Abschaltung müssten die Elcom, die Atomaufsicht Ensi und der Netzbetreiber Swissgrid bewilligen.
Sichere Versorgung im Vordergrund
Die Elcom gäbe grünes Licht, wenn die Abschaltung die sichere Versorgung nicht gefährde, auch mit Blick auf den Winter, sagte Meister. Denn müsste bei einer Abschaltung auf Importstrom aus Gas zurückgegriffen werden, könne dies die Versorgung in Europa und in der Schweiz beeinflussen.
Die Elcom arbeite zurzeit an der Verordnung zur Wasserkraftreserve für Notlagen im kommenden Winter. Die Reserve - rund 500 Gigawattstunden - sei für unvorhersehbare Notlagen vorgesehen, aber zur Überbrückung eines generellen Mangels ungeeignet.
Die Kosten für die Reserve müssen - über die Stromrechnung - die Konsumentinnen und Konsumenten bezahlen. Bezifferbar sind diese Kosten noch nicht, die Rede ist derzeit von einem Betrag im "tiefen dreistelligen Millionenbereich".
(AWP)