Chinas Wirtschaftswachstum ist im Frühjahr eingebrochen und schürt damit Sorgen vor einer globalen Konjunkturabkühlung. Vor allem wegen harter Corona-Lockdowns legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) binnen Jahresfrist nur um magere 0,4 Prozent zu, wie offizielle Daten am Freitag zeigten. Klammert man den Schock vom Ausbruch der Virus-Pandemie Anfang 2020 aus, war dies das geringste Wachstum der nach den USA weltweit zweitgrössten Volkswirtschaft seit Beginn der Datenerhebung 1992. Ökonomen gehen deshalb davon aus, dass die Pekinger Behörden nun verstärkt versuchen werden, die Konjunktur anzukurbeln. "Das von der Regierung ausgegebene Ziel für 2022 von 5,5 Prozent Wachstum erscheint utopisch", sagte NordLB-Experte Bernd Krampen.
Von Reuters befragte Ökonomen hatten für das zweite Quartal auf Jahressicht einen BIP-Anstieg von 1,0 Prozent erwartet, nach plus 4,8 Prozent Anfang 2022. "Nun kam es sogar noch gravierender", sagte Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank. Die Lockdowns in Shanghai und Shenzhen seien eine grosse Belastung für den privaten Konsum gewesen. "Doch die Mobilitätseinschränkungen waren auch für die Industrie und für die Logistikbranche eine schwere Bürde." Vom ersten zum zweiten Quartal schrumpfte die chinesische Wirtschaft sogar um 2,6 Prozent. Die inzwischen eingeleiteten Lockerungen dürften im Sommer wiederum das Wachstum anschieben, sagte Gitzel.
Daten von Industrie und Einzelhandel im Juni signalisierten etwas Besserung. VW-China-Chef Stephan Wöllenstein rechnet damit, dass Volkswagen die Verkäufe in seinem wichtigsten Auslandsmarkt im zweiten Halbjahr deutlich steigert.
China-Schwäche trifft deutsche Wirtschaft - «Düstere Monate»
Die deutsche Wirtschaft bekommt allerdings zunächst noch die Nachwirkungen der Lockdowns zu spüren. Wenn Chinas Wirtschaft schwächelt, trifft dies auch die Exportnation mit Waren "Made in Germany". Denn die Volksrepublik ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner Deutschlands mit einem Warenaustausch von zuletzt 245 Milliarden Euro 2021.
"Die deutliche Abkühlung der chinesischen Konjunktur ist ein Alarmsignal für die deutsche Wirtschaft", warnte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Gestörte Lieferketten, enorme Preissteigerungen bei Energie und Rohstoffen sowie die Unsicherheit über die Energieversorgung seien bereits grosse Herausforderungen für die Firmen. "Die schwache wirtschaftliche Entwicklung in China - Deutschlands wichtigstem Handelspartner und bisher Zugpferd der Weltwirtschaft – lässt die Sorgenfalten noch tiefer werden", sagte DIHK-Aussenwirtschaftschef Volker Treier der Nachrichtenagentur Reuters. China sei ein wichtiger Absatzmarkt für deutsche Firmen, vor allem für Maschinen- und Autobauer. "Ausserdem beziehen wir zahlreiche Vorprodukte und Rohstoffe aus dem Land - die kommenden Monate sehen düster aus."
Auch der Exporteursverband BGA warnte vor einem Dämpfer. Aber die Gross- und Aussenhändler seien nicht alleine vom chinesischen Markt abhängig. "Die Stärke des Handels mit den USA und vor allem auch mit den europäischen Partnern hilft derzeit, Schwankungen zu kompensieren", sagte BGA-Präsident Dirk Jandura zu Reuters. Jetzt müssten so schnell wie möglich Handelshemmnisse mit anderen Staaten und Regionen abgebaut werden. "Das Fehlen von Freihandelsabkommen ist ein massiver Standortnachteil für Deutschland und Europa."
Die hohe Inflation in USA und Europa dürfte das Wirtschaftswachstum in China bremsen. Denn Konsumenten verzichteten gerade auf Waren, die vor allem aus dem asiatischen Land kommen, sagte VP-Experte Gitzel. "Der neue Fernseher wird nicht gekauft, wenn es der alte noch tut - das wird China zu spüren bekommen." Zudem bleibt Fachleuten zufolge der schwächelnde chinesische Immobiliensektor ein Sorgenkind.
Shanghais Wirtschaft schrumpft massiv wegen Lockdown
China hat in den vergangenen Monaten etwa die Finanzmetropole Shanghai mit ihren mehr als 25 Millionen Einwohnern in einen harten Lockdown geschickt, was zu geschlossenen Fabriken und Geschäften sowie Staus in den Häfen führte. In Shanghai brach die Wirtschaft im zweiten Quartal um 13,7 Prozent binnen Jahresfrist ein, in Peking um 2,9 Prozent.
Ökonomen zufolge dürfte die Regierung es deshalb schwer haben, ihr Wachstumsziel für 2022 zu erreichen. Im ersten Halbjahr lag das BIP 2,5 Prozent über dem Vorjahreszeitraum. Die Commerzbank rechnet für das Gesamtjahr mit plus 3,5 Prozent. "Angesichts des schwachen Wachstums wird die chinesische Regierung wahrscheinlich von nun an Konjunkturmassnahmen vornehmen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln", sagte Toru Nishihama, Chefökonom des Dai-ichi Life Research Institute in Tokio. "Insbesondere im Vorfeld der im Herbst stattfindenden bereits beschlossenen Wiederwahl des Präsidenten müssen nun alle Register gezogen werden", schätzt NordLB-Fachmann Krampen. Die Fiskalpolitik habe bereits Massnahmen angekündigt und die Zentralbank Leitzinsen und den sogenannten Mindestreservesatz gesenkt. "Aber ob das reicht?", betonte Krampen. "In jedem Fall steht die Regierung sicher wieder mal bereit einzugreifen."
(Reuters)