Er ist einer der weltweit einflussreichsten Menschen, wenns um neue Technologien geht: Vitalik Buterin, das Mastermind und Mitgründer von Ethereum - entstanden vor zehn Jahren in Zug. Gefeiert wurde mit 1500 Gästen beim CV-Summit in Zug. Buterin war der grosse Abwesende beim rauschenden Fest.
Was ist Ethereum genau? Eine dezentrale Blockchain-Plattform, die es Entwicklern ermöglicht, Smart Contracts und dezentrale Anwendungen (Apps) zu erstellen und auszuführen. Sie unterscheidet sich von Bitcoin durch ihre programmierbare Funktionalität. Während Bitcoin primär als digitales Zahlungsmittel dient, bietet Ethereum eine Plattform, auf der komplexe Programme autonom ausgeführt werden können, ohne dass eine zentrale Autorität benötigt wird. Ethereum verwendet eine eigene Kryptowährung namens Ether (ETH), die als Treibstoff für Transaktionen und Programme auf der Plattform dient. Mit einem Upgrade im Jahr 2022 ist Ethereum energieeffizienter und sicherer geworden.
Interviews gibt der 30-jährige Buterin, ein Kanadier mit russischen Wurzeln, sehr selten. Blick und cash.ch trafen Buterin in einem exklusiven Videocall und blickten mit ihm zurück auf die Anfangszeiten in der Schweiz.
Blick und Cash: Grüezi!
Vitalik Buterin: Gruezi. (lacht) Wie geht es Euch?
Gut, danke. Sie feiern in diesen Tagen das zehnjährige Bestehen von Ethereum. Welches sind die wichtigsten Meilensteine im Zusammenhang mit der Schweiz?
In der Schweiz wurde das Ethereum-Projekt ins Leben gerufen. Wir haben im März 2014 erstmals ein Haus an der Grienbachstrasse in Zug gemietet. Das war der Ort, an dem ein Grossteil der Entwicklung und Forschung stattfand. Dort wurde die Ethereum-Foundation gegründet. Und direkt danach fand der Verkauf der Ether-Token statt. Auch das Ethereum-Projekt, die Blockchain selbst, wurde ein Jahr später in Zug gestartet.
Das Haus, in dem alles begann, hiess «Spaceship»...
Ja, es sah aus wie ein Raumschiff, unglaublich futuristisch. Es ist nicht weit vom Bahnhof entfernt. Man kann mit dem Auto dorthin fahren und es sich ansehen.
Was hat Ihnen an der Schweiz besonders gefallen oder nicht gefallen?
Der Grund, warum wir ursprünglich gekommen sind, war definitiv das wirtschaftsfreundliche Umfeld. Wir haben die Schweiz damals als den Ort identifiziert, der uns am wenigsten Probleme für unser Projekt machen sollte. Es stammen ausserdem viele grossartige Entwickler und Forscher aus der Schweiz, obschon das Land sehr klein ist. Wir haben übrigens viele Schweizer bei Ethereum. Während ich in der Schweiz lebte, hat mir die Natur am besten gefallen. Ich fand es toll, einen friedlichen Ort zu haben, an dem man arbeiten und dann jederzeit einfach nach draussen gehen konnte. Man kann sofort auf einen Wanderweg gehen und ist innerhalb eines Kilometers auf einem Hügel oder in einem Wald.
Welche Bedeutung hat Krypto in der Schweiz oder speziell in Zug heute?
Die Schweiz ist nach wie vor ein Ort, an dem viele wichtige Krypto-Projekte ihren Sitz haben und an dem viele wichtige Krypto-Leute ihre Zeit verbringen. Ich sehe eine neue Welle von Schweizer Projekten aufkommen. Es geht um mehr als Zug: Es gibt starke intellektuelle Zentren, Universitäten und dergleichen. Ich war schon ein paar Mal in Basel und auch in Zürich.
Sie waren vor ein paar Wochen beim Branchenanlass Token2049 in Singapur. Welche Schlüsselthemen werden den Krypto- oder Web-3-Bereich in den kommenden Jahren prägen?
Dieses Jahr ist für Web 3 von grosser Bedeutung, weil die Technologie endlich den Punkt erreicht hat, an dem man tatsächlich die Dinge tun kann, die wir schon immer versprochen haben. Die Leute sahen sich all die schönen und coolen Anwendungen an, aber sobald die Projekte nur ein bisschen Erfolg hatten, stiegen die Transaktionsgebühren auf zehn Dollar. Das machte alles zunichte. Und das ist bei Ethereum einige Male passiert. Jetzt ist die Skalierung endlich gelöst, die Sicherheit der Wallets ist endlich gelöst, die Themen rund um die Privatsphäre machen Fortschritte. Das macht unser Ökosystem und die Software leistungsfähiger. Man kann Krypto-Zahlungen in grossem Massstab durchführen, es gibt nun wirklich dezentralisierte Organisationen, an denen Menschen teilnehmen können.
Uns fällt auf - sowohl innerhalb als auch ausserhalb von Ethereum -, dass sich die Diskussionen über die Technologie auf die Use Cases verlagern.
Das ist ein gutes Zeichen. Diese Diskussionen werden die nächsten Jahre prägen.
Vitalik, wie viele Jahre wird es dauern, bis Ethereum perfekt ist?
Technologisch? Fünf Jahre. Für die Anwendungen ist es schwer, das im Voraus vorherzusagen. Schauen wir uns KI an: Viele der Technologien, die die Menschen heute verwenden, unterscheiden sich nicht wesentlich von denen, die wir vor 20 Jahren verwendet haben. Der jüngste Entwicklungsschritt wurde allerdings erst möglich, weil wir über mehr Daten verfügen und weil die Computer schneller geworden sind. Wenn wir über Ethereum als den Weltcomputer sprechen und dieser Weltcomputer tausendmal schneller wird, geht es nicht nur darum, dass bestehende Anwendungen erschwinglicher werden. Es ist so, als bräuchte man einen grundlegenden philosophischen Wandel, was die Art und Weise betrifft, wie man die Anwendungen baut. Und diese Veränderungen brauchen länger, um sich durchzusetzen. Das ist völlig ok.
Das Fehlen eines grundlegenden Verständnisses bleibt ein Problem. Einige Menschen haben immer noch Schwierigkeiten mit den Grundlagen. Was ist eine Blockchain? Sie sagen: «Blockchain ist digitaler Beton». Uns gefällt dieses Bild. Können Sie diese Analogie etwas näher erläutern?
Beton ist die Struktur, mit der wir Städte bauen. Aber es gibt auch eine andere Art von «Festigkeit». Unternehmen, Regierungen oder soziale Strukturen zum Beispiel haben Einfluss auf das Weltgeschehen. Natürlich haben sie, wie physische Strukturen auch, ihre Grenzen in dem, was sie bewirken können. Mit Blockchains haben wir also eine neue Kategorie von Härtegrad geschaffen. Das ist etwas Einzigartiges. Vor den Blockchains gab es andere Arten von Peer-to-Peer-Netzwerken. Aber sie hatten kein Gedächtnis. Und wenn man eine digitale Münze herstellen will, braucht diese ein Gedächtnis. Man muss sich merken, wer wie viele Münzen hat. Blockchain hat dieses Problem gelöst, alles wurde um diesen Coin-Anwendungsfall herum aufgebaut. Ethereum aber hat eine umfassendere Idee: Dass Eigentum einen Wert hat, der weit über den Wert eines einzelnen Coins hinausgeht. Das nennen wir digitale «Festigkeit» oder Beton. Etwas, das härter ist, als jede Institution. Wir haben dieses Netzwerk, das aus Zehntausenden von Menschen besteht, die alle denselben Code verwenden und alle dasselbe Programm verifizieren. Es gibt keinen Weg, den Code auch nur ein wenig zu ändern. Eine einzige Änderung wird von allen bemerkt. Wenn wir den richtigen Weg finden, Blockchains und Krypto zu nutzen, werden wir viel verändern können.
Die US-Börsenaufsicht SEC hat ETF, also börsengehandelte Fonds, in diesem Jahr zuerst für Bitcoin und dann für Ethereum genehmigt. Es gilt als historischer Schritt für Kryptowährungen, dass sie nun für alle zugänglich sind.
Wenn man nur an den Vermögenswert denkt, dann ist es so. Denn, das einzige, was zählt, ist an mehr Orten zum Kauf und Verkauf zur Verfügung zu stehen. Es ist definitiv ein positiver Schritt für die Legitimität und dafür, all jenen Vertrauen zu schenken, die Dinge entweder mit ETH, dem Vermögenswert, oder Ethereum, dem Protokoll, tun. Aber für Ethereum ist es auch wichtig, als Software in soziale Netzwerke, in Identitäts- und Reputationssysteme oder in die Internet-Infrastruktur integriert zu werden. Das ist nichts, was irgendein externer Akteur einfach aus dem Hut zaubern und sagen könnte: «Hey, wir machen jetzt diese grosse Ankündigung, dann ist die Gesellschaft gerettet.» Ja, ETFs sind ein Meilenstein - aber sie sind nur ein Teil eines ausgewogenen Frühstücks.
Lassen Sie uns über die Regulierung von Kryptowährungen im Allgemeinen sprechen. Regulierung kann Glaubwürdigkeit und Vertrauen in der Öffentlichkeit schaffen. Dennoch wird sie oft kritisiert.
Ich denke, es kommt ganz auf die Art der Regulierung an. Einer der Gründe, warum die Massnahmen der SEC im Krypto-Bereich auf Ablehnung stossen, ist folgender: Die Börsenaufsicht mache ehrlichen Leuten das Leben schwerer als unehrlichen. Das ist nicht gut. Wenn man den Leuten einfach sagt: «Hey, das ist bloss ein Hunde-Coin. Okay, gut, wir haben Entwickler und wir haben Applikationen. Aber lass uns so tun, als wär das bloss eine Hundemünze und kein Vermögenswert. Zwinker, zwinker.» Das ist für Investoren schrecklich, weil sie sich kein klares Bild davon machen können, was vor sich geht. Und es wird so immer schwieriger, gute Projekte von Scam zu unterscheiden. Ein Beispiel für eine gute Regulierung ist, dass Japan von den Exchanges verlangte, Einlagen von Japanern innerhalb des Landes zu halten. Infolgedessen haben die Nutzer von FTX Japan kein Geld verloren. Diese Tatsache hat das Vertrauen der japanischen Regierung gestärkt. Für mich geht es also nicht um die Anzahl der Regeln. Oft ist die wichtigere Frage: Machen die Regeln das Leben für die Bösen oder für die Guten schwerer? Ich denke, wir sollten so stark wie möglich darauf fokussieren, diejenigen mit bösen Absichten zu stoppen.
In der Finanzdienstleistungsbranche haben viele Menschen ihre Meinung zu Krypto geändert. In den USA steht die Präsidentschaftswahl vor der Tür. Was ist besser für die Kryptoindustrie: ein Präsident namens Trump oder Harris?
Das hängt davon ab, was Sie mit «Kryptoindustrie» meinen. Man kann es aus der einfachen Perspektive betrachten «gut ist, wenn die Werte von Coins steigen». Man kann es aber auch aus der Perspektive betrachten, dass Krypto-Anwendungen sich weiterentwickeln und gedeihen können. Oder man kann sagen, dass Krypto eine unglaublich globale Branche ist, die darauf angewiesen ist, dass sich globale Talente versammeln und zusammenkommen können. Und so ist alles, was gut für die Einwanderung ist, gut für Krypto.
Vitalik, wann ist die Welt bereit für einen dezentralisierten Finanzmarkt?
Ich glaube nicht, dass die Welt jemals für eine technologische Innovation bereit war, die auf den Markt kam. Ob es sich um die Druckerpresse, Flugzeuge oder das Internet handelt. Der aktuelle Moment ist definitiv mit dem Internet-Moment vergleichbar: Menschen interagierten damals zum ersten Mal mit anderen Menschen auf der ganzen Welt. Was wir gerade erleben, ist ähnlich einschneidend. Im Moment wird das globale politische Umfeld instabiler. Kryptowährungen haben das Potenzial, Teil der Lösung zu sein. Wir sind schon viel weiter als vor zehn Jahren, aber bereit ist die Welt noch nicht.
Sie haben diese Frage schon oft gehört. Es gab diese ständigen Spekulationen über X, dass Sie in den letzten Wochen ETH verkauft haben sollen. Sind das Gerüchte oder ist etwas Wahres dran?
Ich habe in den letzten Wochen keine Ether verkauft. Manchmal kommt es vor, dass Leute ein Wallet fälschlicherweise als Teil von mir oder der Stiftung identifizieren. Oftmals vergibt die Stiftung einen Zuschuss an eine Gruppe oder ich tätige eine Investition oder eine Spende. Von da an ist es das Geld der Begünstigten, also liegt es an ihnen, es so zu verwenden, wie sie es möchten. Man sollte also immer vorsichtig sein mit dem, was man auf X liest.
Als Ether an Wert verlor, haben Sie auf X gepostet: «Ich bin kein Milliardär mehr.» Was bedeutet Reichtum für Sie?
Für mich ist Geld nur so gut wie die Dinge, für die man es verwenden kann. Ein Beispiel: Letztes Jahr habe ich dieses Projekt namens «Zuzalu» gesponsert. Das war dieses grosse Pop-up-Stadtprojekt. Ein paar hundert Menschen kamen zusammen und lebten zwei Monate lang in Montenegro. Es war für alle eine wirklich erfreuliche Erfahrung und hat vielen Menschen die Augen geöffnet. Mir hat es einfach Spass gemacht, dabei zu sein. Die Gesamtkosten für mich als Sponsor und für die Subventionierung der Menschen beliefen sich auf eine Million US-Dollar. Dieser Betrag ist – grob geschätzt – so hoch wie die Wartungskosten einer 10-Personen-Yacht. Man könnte sich fragen: Welche Wahl ist für eine Gemeinschaft nützlicher? Aber man muss nicht einmal so weit gehen. Man muss sich nur fragen: Was macht mehr Spass und ist interessanter für einen selbst? Ich wünsche mir, es gäbe mehr Menschen, die ihr Vermögen für Zukunftsprojekte einsetzen.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie von der Ethereum Foundation 140'000 US-Dollar pro Jahr als Grundgehalt erhalten. Stimmt das noch?
Ja, das stimmt.
Es gibt viele Mythen über Sie. Einer besagt, dass Sie nur mit einem Rucksack reisen und bei Freunden übernachten, anstatt eine schöne Hotelsuite zu buchen.
Manchmal übernachte ich bei Freunden, manchmal in Hotels, aber der Rucksack-Teil stimmt definitiv immer.
Und Sie würden nie auf einer Yacht übernachten?
Eine Yacht ist okay, ab und zu.
Kommen wir zurück zum Anfang unseres Interviews. Was wünschen Sie dem Schweizer Krypto-Valley?
Ich hoffe, dass die Schweiz weiter wachsen und gedeihen kann. Ich denke, es gibt erstaunliche Krypto-Talente. Und ich denke, dass es in der Schweiz eine starke Konzentration von Menschen gibt, die Ideale teilen, die sehr gut mit dem Krypto-Space vereinbar sind. Viele Menschen arbeiten an Open-Source-Software oder an Themen rund um den Datenschutz. Die Schweiz verfügt über eine neutrale und zuverlässige Finanzinfrastruktur und legt grossen Wert auf persönliche Freiheit. Das hat das Land mit der Kryptowährung gemeinsam. Ich hoffe, dass dieses Ökosystem weiter wächst, und freue mich schon auf meinen nächsten Besuch.