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In einem Strategiepapier aus dem Hause Julius Bär stufen die Autoren um den Chefdenker Mathieu Racheter den Schweizer Aktienmarkt von «Overweight» auf «Neutral» herunter. Dieser Schritt überrascht nicht nur mich, hatte man bei der Zürcher Bank dem heimischen Aktienmarkt in den letzten Jahren doch stets ein überdurchschnittliches Gewicht in den Kundenportefeuilles eingeräumt.
Es ist noch nicht lange her, als sich Racheter und seine Mitstrategen zu einer Art Liebeserklärung hinreissen liessen. Die börsenkotierten Schweizer Unternehmen würden in Bezug auf ihre Bilanzstärke, ihre geringen Gewinnschwankungen sowie ihre grosszügige Ausschüttungspolitik im internationalen Vergleich herausragen, schrieben sie damals. Ausserdem sahen sie im Franken einen möglichen Aktienkurstreiber - die hauseigenen Ökonomen gingen von einem schwächeren Franken gegenüber dem Euro und dem Dollar aus.
Auch schon vor und nach dieser Liebesbekundung brachten die Strategen ihre Präferenz für Aktien aus der Schweiz mehrfach zum Ausdruck - wobei die Argumente stets in etwa dieselben waren.
Entwicklung des Swiss Market Index über die letzten drei Jahre (Quelle: www.cash.ch)
Nun soll plötzlich alles anders sein. Während man Schweizer Aktien aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften weiterhin als Baustein in einem globalen Aktienportfolio zu Diversifizierungszwecken schätzt, sehen Racheter und seine Mitautoren angesichts der besseren globalen Wachstumsaussichten und der höheren Langfristzinsen auf das kommende Jahr hin kaum Gründe für ein überdurchschnittliches Abschneiden.
Bloss in einem Punkt bleiben die Strategen ihren vorherigen Aussagen treu: Sie raten Anlegerinnen und Anlegern hierzulande weiterhin dazu, auf Aktien mittelgrosser Unternehmen zu setzen. Namentlich genannt werden Georg Fischer (Kursziel 79 Franken, aktuell 65 Franken), PSP (Kursziel 140 Franken, aktuell 125 Franken), Sandoz (Kursziel 50 Franken, aktuell 40 Franken) sowie SGS (Kursziel 105 Franken, aktuell 87 Franken).
Noch im Sommer dieses Jahres wähnte man bei Julius Bär neben diesen vier Valoren auch noch jene von SoftwareOne und Stadler Rail in einer Favoritenrolle. Die beiden Unternehmen enttäuschten jüngst jedoch und wurden in der Folge von der Börse abgestraft.
Neugierig wie ich bin, habe ich mich schlau gemacht: Es war im Hochsommer 2021, als Racheter und seine Mitstrategen beim Schweizer Aktienmarkt innerhalb von wenigen Wochen zuerst von «Underweight» auf «Neutral» und dann sogar von «Neutral» auf «Overweight» gingen. Sie begründeten diese beiden Schritte damals nicht zuletzt mit den defensiven Qualitäten. Doch diese scheinen nicht länger gefragt. Mit 12'400 Punkten notierte der Swiss Market Index (SMI) zum Zeitpunkt der zweiten Heraufstufung knapp 700 Punkte höher als zuletzt.
Die Aktien von Stadler Rail brachten den Julius-Bär-Strategen kein Glück (Quelle: www.cash.ch)
Auch die Strategen von Kepler Cheuvreux sehen unseren Schweizer Aktienmarkt nicht länger in der Favoritenrolle. Auf der Liste der «Most Preferred Equity Markets in Europe» ersetzen sie die Schweiz durch die Niederlande.
Wer eine Absage an die drei Schwergewichte Nestlé, Roche und Novartis hinter diesem Schritt vermutet, der irrt. Die defensiven Qualitäten des Schweizer Aktienmarkts sind beim Broker - anders als bei Julius Bär - auch weiterhin gefragt. Vielmehr verbirgt sich eine Wette auf die Aktien des Halbleiterausrüsters ASML hinter der Aufnahme der Niederlande in die «Most Preferred Equity Markets in Europe». In Erwartung einer weiteren Entspannung bei den Zinsen und unter der Annahme, dass die Lagerbestände in der Halbleiterindustrie die Talsohle schon bald durchschritten haben werden, gehen die Strategen bei ASML von deutlich höheren Kursnotierungen aus. Solche dürften auch dem niederländischen Aktienmarkt neues Leben einhauchen. Der hauseigene Analyst Ruben Devos teilt diese Meinung übrigens und preist die Valoren des Halbleiterausrüsters zum Kauf an.
So viel «unité de doctrine» ist in Bankenkreisen selten anzutreffen und gehört gelobt - selbst dann, wenn die Anpassung bei den «Most Preferred Equity Markets in Europe» zu Lasten unseres Schweizer Aktienmarktes geht.
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2 Kommentare
Wir werden noch weitere Empfehlungen in diese Richtung sehen. Das sind die zu erwartenden Empfehlungen von Analysten die mal das kleine Einmaleins der Makroökonomie gelernt haben: Die Talsohle in den grossen Wirtschaftsräumen scheint bald durchschritten, die Zinsen sinken, ergo Wachstumsmärkte gegenüber defensiven Märkten übergewichten. Und schon gehen die Empfehlungen für SMI und SPI zurück.
Im Grundsatz kann man das nachvollziehen. Beim Schweizer Markt in der aktuellen Situation bin ich aber optimistischer weil wir in den letzten 6 Monaten bei vielen Titeln die notwendige Bewertungskorrektur schon gesehen haben, während andere nie überbewertet wurden. Soll heissen, in der Breite ist der Schweizer Markt derzeit so bewertet, dass sich positive Entwicklungen im Geschäftsergebnis sichtbar auch auf die Kurse übertragen werden. Dies ganz im Gegenteil zu Wachstumsmärkten, bei denen zum Teil unerreichbar hohe Erwartungen in die Zukunft eingepreist sind, d.h. derzeit eigentlich nur noch Potential nach unten und nicht nach oben besteht (siehe NVDA, da sind selbst hohe two digit growth rates nicht mehr gut genug).
Allerdings muss man im Schweizer Markt selektiver sein als noch vor 20 Jahren. Einerseits haben wir schlicht schlecht geführte Unternehmen im SPI, die auch bei einer positiven Entwicklung der Volkswirtschaft dahinter zurückbleiben werden. Und wir haben Unternehmen, die kundenseitig sehr wenig diversifiziert sind und daher eine hohe Abhängigkeit zu einzelnen Branchen und Kunden haben. Es gilt daher weise zu wählen und das mindestens mit einem mittelfristigen Anlagehorizont - der SMI und SPI waren noch nie für eine schnelle Nummer zu haben.
... vielen Dank für die (wie immer) brilliante Analyse - manchmal habe ich den Eindruck, dass nur noch wir alten Hasen den Durchblick haben....