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Die Bühne gehörte bei uns am Schweizer Aktienmarkt diese Woche ganz den drei Schwergewichten Nestlé, Roche und Novartis. Im Wissen, dass die drei internationalen Grosskonzerne beim Swiss Market Index (SMI) mehr als die Hälfte der Gesamtkapitalisierung stellen, war eigentlich klar, dass diese Zahlenkränze den Gesamtmarkt bewegen würden.

Den Anfang machte am frühen Dienstagmorgen Novartis – und sorgte prompt für eine dicke Überraschung. Mit 11,83 Milliarden Dollar setzten die Basler im ersten Quartal fast 10 Prozent mehr um als im selben Quartal letzten Jahres. Der operative Kerngewinn (EBIT) stieg sogar um gut 16 Prozent auf 4,54 Milliarden Dollar. Nicht nur beim Umsatz, auch beim operativen Kerngewinn wurden selbst die kühnsten Analystenschätzungen übertroffen.

Die eigentliche Überraschung war aber, dass der Pharmahersteller seine erst Ende Januar kommunizierten diesjährigen Finanzziele nach oben anpasste. Das hatte nach dem enttäuschend schwachen Schlussquartal nun wirklich niemand auf dem Radar.

Nicht nur die Aktien von Novartis kamen am Dienstag in den Genuss satter Kursgewinne. Auch die Valoren anderer Branchennachbarn wie etwa die von Platzrivale Roche oder jene des Pharmazulieferers Lonza starteten – von Ergebnishoffnungen erfasst - ebenfalls durch. Es entbehrt allerdings nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Aktien von Novartis im Tagesverlauf einen guten Teil ihrer Kursgewinne wieder abgeben mussten.

Ich erkläre mir letzteres übrigens damit, dass sich mit dem Herzmedikament Entresto und dem MS-Mittel Gilenya in den ersten Monaten zwei Produkte deutlich besser als erhofft verkauft, welche schon bald ihren Patentschutz verlieren und ab dann dem Wettbewerb günstigerer Nachahmerversionen ausgesetzt sein werden. Geht es nach Novartis, dürfte Entresto in den USA ab Mitte nächsten Jahres Konkurrenz erhalten. Gut sechs bis neun Monate später ist es dann auch in anderen Weltregionen soweit. Vermutlich war das der Grund, weshalb aus London von Titelverkäufen aus dem amerikanischen Raum zu hören war.

Als am frühen Mittwochmorgen dann auch Roche die Quartalsumsatzzahlen vorlegte, war eigentlich klar, dass die firmeneigenen Finanzziele fürs laufende Jahr dieselben bleiben. Auf ein erfreuliches erstes Quartal hoffte man in hiesigen Börsenkreisen insgeheim aber trotzdem.

Doch es sollte alles anders kommen: Anstatt Tränen der Freude gab es bei den Anteilseignerinnen und Anteilseigner Tränen der Verzweiflung. Einmal mehr schrammte die Pharma- und Diagnostikgruppe aus Basel beim Umsatz an den Analystenschätzungen vorbei. Egal ob das MS-Mittel Ocrevus, das Krebsmedikament Tecentriq oder die Gen-Therapie Evrysdi – die wichtigsten Wirkstoffe verkauften sich von Januar bis März schleppender als gedacht.

Einziger Lichtblick war und ist Vabysmo. Wie schon im Schlussquartal letzten Jahres verkaufte sich das Augenmittel auch in den ersten drei Monaten dieses Jahres deutlich besser als erwartet und übertraf selbst die kühnsten Analystenschätzungen. Umso enttäuschender ist, dass nicht auch der Gruppenumsatz überzeugen konnte.

Den Genusscheinen gingen die Kursgewinne der ersten Wochenhälfte wieder verloren (Quelle: www.cash.ch)

Da überrascht es mich nicht, wenn mir schon seit Tagen von üppigen Umschichtungen aus den Valoren von Roche in jene der Platzrivalin Novartis berichtet wird. Insbesondere in den Handelsräumen der ehemaligen Credit Suisse dürfte die Freude darüber gross sein, sprach man wenige Tage vor der Ergebnisveröffentlichung doch eine taktische Kaufempfehlung für die Aktien von Novartis aus. Das Ziel dieser Empfehlung liegt in der Region von 95,15 bis 96,88 Franken.

Kommen wir an dieser Stelle auch noch auf Nestlé zu sprechen. Was die Spatzen schon seit Februar von den Dächern des Hauptsitzes in Vevey pfeifen, ist seit gestern Donnerstag bittere Gewissheit: Die Belebung bei den Absatzvolumen lässt beim Nahrungsmittelhersteller weiterhin auf sich warten. Schlimmer noch: Die Volumen gingen im Jahresvergleich um zwei Prozent zurück. Analysten waren bloss von einem Rückgang um ein halbes Prozent ausgegangen.

In Vevey gibt man sich zuversichtlich, die diesjährigen Finanzziele doch noch erreichen zu können. Angestrebt wird ein organisches Umsatzwachstum von rund vier Prozent bei einer leichten Verbesserung der operativen Gewinnmarge.

Kurz nach Handelsbeginn fiel der Kurs der Nestlé-Aktien in die Nähe von 89,50 Franken und damit auf den tiefsten Stand seit den pandemiebedingten Börsenturbulenzen vom März 2020. Dass die Valoren diese Kursverluste im weiteren Tagesverlauf etwas eingrenzen konnten, dürfte den Worten der neuen Finanzchefin Anna Manz zu verdanken sein. Sie stellte sich im Laufe des Nachmittags erstmals seit ihrem Amtsantritt vor wenigen Wochen den Fragen der Analysten – und stellte fürs laufende zweite Quartal nichts Geringeres als die lange erwartete Belebung beim Absatzvolumen in Aussicht. Ob ihr bewusst ist, dass sie künftig an diesen Worten gemessen wird?

Analyst Elmar Sieber von der Basler Kantonalbank zögerte jedenfalls nicht lange und stufte das SMI-Schwergewicht von "Übergewichten" auf "Marktgewichten" herunter. Gleichzeitig strich er sein Kursziel auf 95 (zuvor 115) Franken zusammen. Seines Erachtens dürfen die beibehaltenen Finanzziele nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Nahrungsmittelhersteller auf ein enttäuschendes Quartal zurückblickt.

Interessant scheint mir, dass sich in den letzten Monaten gerade die Region Nordamerika in Sachen Absatzvolumen als ziemliche Spielverderberin erwies. Das wiederum könnte denjenigen Stimmen Auftrieb verleihen, welche schon seit längerer Zeit vor einer Änderung der dortigen Konsumgewohnheiten, ausgelöst durch den Abnehm-Spritzen-Boom, warnen.

Ich bin nun neugierig, ob weitere Berufskollegen Siebers bei anderen Banken dessen Beispiel folgen werden und ihre Kursziele rigoros zusammenstreichen. Zumindest auf dem Papier ist Nestlé ein absoluter Liebling der Analysten. Gebracht hat das den Aktien in den letzten Jahren jedoch herzlich wenig...

Am Mittwoch lud die UBS zur Generalversammlung. Für heisse Köpfe sorgte schon Tage zuvor das millionenschwere Salär von Firmenchef Sergio Ermotti. So emotionsgeladen die Stimmung unter den Anwesenden, so besonnen jedoch die Abstimmungsergebnisse. Selbst der im Vorfeld ach so kritisierte Vergütungsbericht wurde in einer Konsultativabstimmung mit mehr als 83 Prozent Ja-Stimmen durchgewinkt.

Neben den Vergütungen für den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung war an der Generalversammlung der grössten Schweizer Bank auch die Diskussionen um zusätzliche Kapitalanforderungen ein allgegenwärtiges Thema. Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher fand klare Worte. Er sei ernsthaft besorgt über einige der Forderungen. Seine Schlüsselbotschaft: Zusätzliches Kapital ist das falsche Mittel, um einen Bankenkollaps verhindern zu können.

Auch die Aktien der UBS bekundeten in den letzten Tagen sichtlich Mühe (Quelle: www.cash.ch)

Rund um die Generalversammlung herum trafen gleich zwei Herunterstufungen für die Aktien der UBS ein. Der für BNP Paribas tätige Analyst Jeremy Sigee ging schon am Montag von "Outperform" auf "Neutral" und strich gelichzeitig sein Kursziel auf 27 (zuvor 31) Franken zusammen. Wenige Tage später senkte auch sein Berufskollege Andrew Coombs von der Citigroup sein Anlageurteil von "Buy" auf "Neutral". Er veranschlagt mittlerweile noch ein Kursziel von 27 (zuvor 28) Franken für die Valoren. Beide Analysten sind sich einig, dass strengere Eigenmittelvorschriften den finanziellen Spielraum für Dividenden und Aktienrückkäufe schmälern könnten.

Regelmässige Leserinnen und Leser meiner Kolumne wissen, dass ich in noch strengeren Eigenmittelvorschriften einen Irrweg sehe. Die Schweiz hat diesbezüglich schon heute weltweit die strengsten Vorschriften. Dennoch strauchelte die Credit Suisse – und zwar nicht etwa, weil sie zu wenig Eigenmittel gehabt hätte. Vielmehr wurde ihr nach Jahren der Misswirtschaft letztendlich eine Vertrauenskrise zum Verhängnis.

Wenn man in der Politik und in den Medien jetzt nach noch mehr Eigenmittel schreit, dann zäumt man das Pferd von hinten auf – dann zieht man aus dem Kollaps der Credit Suisse schlichtweg die falschen Lehren. Denn mit der fusionierten Grossbank verfügt die Schweiz endlich wieder über einen Koloss, der es im internationalen Wettbewerb mit den übermächtigen amerikanischen Rivalen aufnehmen kann. Oder sollte ich besser sagen: Könnte. Denn mit noch strengeren Eigenmittelvorschriften würde man die Spiesse der UBS empfindlich kürzen.

Kommen wir an dieser Stelle noch kurz auf AMS Osram zu sprechen. Nicht nur beim Zahlenkranz für das zurückliegende erste Quartal, auch bei den Umsatz- und Margenvorgaben fürs laufende Jahr bleiben grössere Enttäuschungen zwar aus. Wie der Vontobel-Analyst Mark Diethelm richtigerweise schreibt, konnten die Erwartungen ans erste Quartal nur dank einer einmaligen Aufwertung von Lagerbeständen erfüllt werden.

Mit 700 Millionen Euro fallen die Kosten für den überraschenden Ausstieg eines potenziellen Grossabnehmers aus dem microLED-Geschäft geringer als befürchtet aus. Noch vor wenigen Wochen sprach AMS Osram selber gar von Kosten von bis zu 900 Millionen Euro.

So weit, so gut. Doch finde ich es schon ziemlich dreist, wenn den Aktionärinnen und Aktionären dieser offensichtliche Rückschlag vor dem Hintergrund eines künftig nun geringeren Investitionsbedarfs und teilweise wegfallender Kosten als glückliche Fügung verkauft wird.

Fakt ist: Der Sensorenhersteller hat ohne bindende Vereinbarung mit dem potenziellen Grossabnehmer einen hohen dreistelligen Millionenbetrag einfach so in den Sand gesetzt und hat damit im grossen Stil Aktionärswerte vernichtet.

Fragwürdig finde ich zudem, dass AMS Osram beim diesjährigen Ziel für den freien Cashflow künftig an jenem vor Zinszahlungen orientiert. Rund um die Bilanzsanierung vom November schrieb ich zum Thema Fremdkapitalkosten wie folgt:

...und weiter...

Damals waren die Aussichten im Geschäft mit microLEDs bekanntlich noch intakt.

Nächste Woche wird es in Sachen Quartalsabschlüsse zumindest bei den hiesigen Grossunternehmen etwas ruhiger. Mein persönliches Interesse gilt am Dienstag den Zahlenkränzen von Straumann, Logitech und SIG Group. Sollte es zu Überraschungen kommen, dann mehr dazu am nächsten Freitag, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.

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