Der cash Insider berichtet im Insider Briefing jeweils vorbörslich von brandaktuellen Beobachtungen rund um das Schweizer Marktgeschehen und ist unter @cashInsider auch auf Twitter aktiv.
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Auch bei uns am Schweizer Aktienmarkt stand das Geschehen der letzten Tage ganz im Zeichen des Zinsentscheids der Europäischen Zentralbank (EZB). Nachdem Madame Lagarde und ihre Entourage zuvor nur unnötig auf Zeit spielten, wurde gestern Donnerstag dann doch noch mit der grossen Kelle angerichtet: Der Einlagesatz wird um 75 Basispunkte auf neu 0,75 Prozent angehoben – was sich im Rahmen der Erwartungen bewegt.
Wer sich hingegen eine Drosselung der Wertpapierkäufe erhofft hat, wird enttäuscht. Diesbezüglich bleibt alles beim Alten. Mit anderen Worten: Von einer Reduktion der aufgeblähten Bilanz will man auch weiterhin nichts wissen.
Das überrascht überrascht vor allem deshalb, weil die EZB ihre Inflationserwartungen nochmals kräftig nach oben geschraubt hat. Für das laufende Jahr geht sie neuerdings von einer Teuerung von 8,1 Prozent (zuvor 6,8 Prozent) aus, gefolgt von einem Anstieg um immerhin noch 5,5 Prozent (zuvor 3,5 Prozent) im kommenden Jahr. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Einlagesatz von 0,75 Prozent geradezu lächerlich tief. Von den milliardenschweren Wertpapierkäufen sprechen wir besser gar nicht erst...
Rund um den EZB-Entscheid schwollen die Handelsumsätze zwar etwas an. Für diese Zeit des Jahres bleibt das Geschehen allerdings lau. So waren die zweiten Handelslinien von Nestlé und Novartis – über diese wickeln die beiden Unternehmen ihre Aktienrückkaufprogramme ab – jeweils unter den zehn meistgehandelten Aktien des Tages zu finden. Ein ziemliches Armutszeugnis.
Der dünne Handel führt bei einigen Aktien zu ziemlichen Bocksprüngen. Während bei hiesigen "Penny-Stocks" wie Obseva oder Blackstone Resources Kursbewegungen von 10 Prozent und mehr an der Tagesordnung sind, erwischte es nun auch die schlecht handelbaren Valoren von Adval Tech. Ein Kaufauftrag für vier Aktien im Gesamtwert von gerade mal 650 Franken reichte aus, um den Kurs innerhalb weniger Minuten um knapp 20 Prozent nach oben springen zu lassen. Jemand aus der Geschäftsleitung des Automobilzulieferers nutzte dann aber die Gunst der Stunde und trennte sich selbentags von einem 19'000 Franken schweren Aktienpaket. Mehr liess sich dann doch nicht absorbieren.
Kurskapriolen der Aktien von Adval Tech (Quelle: www.cash.ch)
Dass zuletzt insbesondere Aktien wie die von Logitech, Sonova, Straumann oder auch Givaudan Federn lassen mussten, kommt nicht von ungefähr. Denn schliesslich hängen alle diese Unternehmen am Tropf der Konsumentinnen und Konsumenten. Die Gleichung ist denkbar einfach: Steigen die Lebenshaltungskosten, bleibt Ende Monat kaum noch Geld für andere Dinge übrig. Das könnte sich auch in den Absatz von Zahnkorrekturen, Gaming-Zubehör oder Parfüms fressen. Das ganze Ausmass des Schlamassels macht sich womöglich erst im Schlussquartal – Thema Weihnachtsgeschäft - bemerkbar. Die Börse reagiert allerdings schon jetzt. Und wie so oft neigt sie zu Überreaktionen.
An der New Yorker Börse öffnete sich in der Geschichte rund um das GameStop-Phänomen ein weiteres unrühmliches Kapitel: Nach dem überraschenden Tod des Finanzchefs Gustavo Arnal wurden die Valoren von Bed Bad & Beyond mit Kursverlusten von bis zu 20 Prozent abgestraft. Ersten polizeilichen Ermittlungen zufolge handelt es sich um Selbstmord. Arnal wurden vor seinem Tod Insider-Geschäfte vorgeworfen.
Kommen wir nun aber auf Temenos zu sprechen. Um das Unternehmen ranken sich einmal mehr Übernahmespekulationen, nachdem der Finanz-Blog Inside Paradeplatz am frühen Mittwochmorgen darüber berichtete, dass ein Verkauf der Genfer Bankensoftware-Schmiede ins Ausland unmittelbar bevorstehen könnte. Allerdings war der Zauber an diesem Tag schnell verpufft. Nach einem frühen Vorstoss auf 82 Franken gerieten die Aktien unter Verkaufsdruck.
Eine auf Börsengerüchte spezialisierte Londoner Webseite nahm die Steilvorlage übrigens dankend an – hatte doch auch diese schon vor Wochen einen ähnlichen Bericht veröffentlicht. Den Valoren half die Steilvorlage allerdings nicht. Denn bei Handelsende resultierte dann sogar ein Minus von 1,6 Prozent gegenüber dem Schlussstand vom Vortag.
Die Temenos-Aktien machen im Zuge von Übernahmespekulationen Boden gut (Quelle: www.cash.ch)
Gestern Donnerstag verspürten die Valoren nochmals etwas Auftrieb, nachdem bekannt wurde, dass Thoma Bravo nun doch nicht am britischen Cyber-Security-Unternehmen Darktrace interessiert sei. Der Finanzinvestor ist kein Unbekannter und musste neben dem schwedischen Gegenspieler EQT auch schon als möglicher Käufer für Temenos herhalten. Die Absage an die Adresse der Briten wird in hiesigen Börsenkreisen als Hinweis verstanden, wonach Thoma Bravo nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen kann oder will.
Regelmässige Leserinnen und Leser meiner Kolumne wissen, dass ich als Temperaturmesser für Börsengerüchte gerne die Derivatumsätze hinzuziehe. Das habe ich in den letzten Tagen auch bei Temenos getan. Allerdings waren beim aktivsten Call-Warrant TEMJJB bis und mit Donnerstagabend eher Verkäufe als Käufe zu beobachten. Seither häufen sich die Käufe – was auch immer das zu bedeuten hat.
Starken Kurs- und Stimmungsschwankungen waren in den letzten Tagen auch die Aktien von PolyPeptide ausgesetzt. Eine Verkaufsempfehlung der UBS mit einem 12-Monats-Kursziel von gerade einmal 26,50 Franken bescherte den Valoren des Pharmazulieferers zwischenzeitlich zweistellige Verluste.
Ich schrieb:
...und...
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Keine 24 Stunden später zog auch die amerikanische Investmentbank die Reissleine. Sie stufte die Aktien eben mal schnell von "Overweight" auf "Equal-weight" herunter und strich das Kursziel auf 50 (zuvor 85) Franken zusammen.
Im Wissen, dass die Valoren von PolyPeptide mit einem Minus von 75 Prozent seit Januar zu den diesjährigen Börsenschlusslichtern zählen, ist dieser Handtuchwurf von ziemlicher Tragweite. Da lobe ich mir die Weitsicht der einst ebenfalls mit dem Börsengang betrauten Credit Suisse. Die Grossbank zog den Aktien des Pharmazulieferers schon vor einem Jahr den Stecker.
Überraschend emotionsarm ging es an der diesjährigen Generalversammlung von Richemont zu und her. Der aufmüpfige Aktionär Bluebell hatte nicht den Hauch einer Chance, erhielt der eigene Verwaltungsratskandidat Francesco Trapani doch weniger als 10 Prozent der Stimmen. Putschversuch gescheitert – so liesse sich sagen.
Nichtsdestotrotz stuft der bekannte Luxusgüteranalyst Luca Solca von Bernstein Research die Valoren mit einem Kursziel von 123 (zuvor 135) Franken von "Outperform" auf "Market Perform" herunter. Solca teilt meine Meinung, dass sich Richemont die Lösung für die defizitäre Tochter Yoox-Net-a-Porter teuer erkauft hat und das Partnerunternehmen Farfetch als der grosse Gewinner aus der Transaktion hervorgeht. Ausserdem hegt der Analyst gewisse Zweifel an der Nachhaltigkeit der starken Schmucknachfrage der letzten zwei Jahre. Auch dieses Argument kann ich gut nachvollziehen.
Nächste Woche steht das hiesige Handelsgeschehen im Zeichen des grossen Derivat-Verfalls vom Freitag. Mehr dazu in einer Woche, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.