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Mehr als 22 Prozent haben die Aktien von Nestlé seit Januar verloren. Das macht sie zum zweitschwächsten «Blue Chip» in diesem Jahr. Nur jene von Kühne+Nagel schneiden mit einem Minus von 28 Prozent noch schlechter ab – wobei auf den letzten paar Metern noch alles möglich erscheint. Ja sogar, dass Nestlé bei den 20 Unternehmen aus dem Swiss Market Index (SMI) als Schlusslicht aus dem Börsenjahr 2024 hervorgeht.
Einer, der das ganze Kursschlamassel kommen sah, ist Mensur Pocinci von der Bank Julius Bär. Schon im Februar warnte der Markttechnikexperte, dass beim Nahrungsmittelmulti aus Vevey mit einem Aktienkursrücksetzer auf 80 Franken zu rechnen sei. Kurz zuvor war zwischen 94 und 95 Franken eine wichtige technische Unterstützungszone unterschritten worden.
Damals wurde diese Prognose in Börsenkreisen noch belächelt, obwohl Pocinci nur wenige Monate zuvor schon den Genussscheinen von Roche einen Rücksetzer in die Nähe von 205 Franken vorausgesagt hatte und die besagte Kursprognose bloss um wenige Franken verfehlt wurde.
Die Nestlé-Aktien steuerten auf das sechste Halbjahr in Folge mit einer negativen Kursbilanz zu, wie Pocinci nun zum Nahrungsmittelkonzern schreibt. Nachdem der seit 1990 entstandene Aufwärtstrend bereits gebrochen wurde, macht er die nächsten wichtigen technischen Unterstützungsmarken bei 72 und dann erst wieder bei 67 Franken aus.
Kursentwicklung der Nestlé-Aktien seit Jahresbeginn (Quelle: www.cash.ch)
Kürzlich warnte schon die Bank Vontobel vor einem derivategetriebenen Kursrutsch, sollten die Nestlé-Aktien auf 75 Franken oder darunter fallen. Der Zürcher Bank zufolge erfreuen sich Derivatkonstrukte auf die drei SMI-Schwergewichte bei Grossinvestoren grosser Beliebtheit. Da die Valoren des Nahrungsmittelmultis vor 12 Monaten noch zwischen 95 und 100 Franken kosteten, könnte ein Unterschreiten der 75-Franken-Marke eine Kurslawine lostreten.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass der hauseigene Analyst Jean-Philippe Bertschy die Nestlé-Aktien bei der Bank Vontobel auch weiterhin mit einem Kursziel von 95 Franken zum Kauf anpreist. Und selbst sein Berufskollege Peter Casanova bei der Bank Julius Bär stuft die Valoren mit «Buy» und einem Kursziel von immerhin noch 88 Franken ein.
Ich bin mir der Unterschiede zwischen technischer Analyse und Fundamentalanalyse durchaus bewusst. Und trotzdem könnte bei der einen oder anderen Anlagekundin oder beim einen oder anderen Anlagekunden der beiden Zürcher Banken die Verwirrung perfekt sein.
Bei Nestlé wird momentan eine Krise herbeigeredet, die es so meines Erachtens gar nicht gibt. Zugegeben: Andere Rivalen wie etwa Unilever oder Danone sind im laufenden Jahr besser unterwegs als die Waadtländer. Das dürfte jedoch auch damit zu tun haben, dass letztere auf wachstumsreiche Jahre zurückblicken und nun an der hohen Vergleichsbasis aus diesen Jahren gemessen werden. Da liesse sich beinahe schon behaupten, der langjährige Firmenchef Mark Schneider sei Opfer des eigenen Erfolgs geworden.
Und was den nicht enden wollenden Aktienkurszerfall anbetrifft, so gilt: Kurz vor dem Sonnenaufgang ist die Nacht stets am Dunkelsten.
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Roche-Chef Thomas Schinecker hat es wieder getan: Wie seit dem frühen Dienstagmorgen bekannt ist, übernimmt die Pharma- und Diagnostikgruppe aus Basel den deutlich kleineren Rivalen Poseida. Das lässt man sich bis zu 1,5 Milliarden Dollar kosten, was einer Übernahmeprämie von nahezu 500 Prozent gegenüber dem Schlusskurs vom Abend vor dem Bekanntwerden entspräche. Darüber, ob wirklich so viel Geld fliesst, entscheidet letztendlich der kommerzielle Erfolg bei den erworbenen Wirkstoffen.
Klare Worte findet der für Julius Bär tätige Pharmaanalyst Fabian Wenner. Einmal mehr bezahle Roche einen hohen Preis für Wirkstoffe, welche sich in einer sehr frühen Entwicklungsphase befinden. Ausserdem hätten die Basler noch vor wenigen Jahren signalisiert, nie ins Geschäft mit Zelltherapien vorstossen zu wollen, wie Wenner weiter zu bedenken gibt. Er selber stuft die Genussscheine weiterhin nur mit «Hold» und einem Kursziel von 295 Franken ein.
Seit wenigen Wochen bekunden die Valoren von Roche wieder Mühe (Quelle: www.cash.ch)
Jede milliardenschwere Firmenübernahme zeugt davon, dass Roche an eigener Innovationskraft eingebüsst hat – genauso wie jede milliardenschwere Firmenübernahme aus Sicht der Aktionärinnen und Aktionäre einer möglicherweise kostspieligen Wette auf neue Produkte gleichkommt. Umso mehr hoffe ich, dass man am Hauptsitz in Basel diesbezüglich mit Bedacht vorgeht.
Apropos Aktionärinnen und Aktionäre: Diese haben in Sachen Tiragolumab seit vergangener Woche nun endgültig Gewissheit. Was schon seit Juli befürchtet worden war, nämlich dass dieser Wirkstoff in Kombination mit dem Lungenkrebsmittel Tecentriq keine Vorteile bietet, ist nun bittere Gewissheit.
Die allermeisten Analysten kippten ihre Umsatzschätzungen für Tiragolumab schon im Juli aus ihren Bewertungsmodellen. Folglich dürften sich die jetzt noch drohenden Schätzungsreduktionen in einem überblickbaren Rahmen bewegen. Wenigstens ein kleines Trostpflaster für die nicht gerade erfolgsverwöhnten Aktionärinnen und Aktionäre...
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9 Kommentare
Der teure Zukauf von Wirkstoffen in der Entwicklungsphase scheint momentan das einzige zu sein, was der Geschäftsleitung und dem Verwaltungsrat von Roche an konkreten Massnahmen einfällt, um den Abstieg des Pharmakonzern in die 2. Liga etwas zu bremsen. VR-Präsident Schwan (A. Merkel der europäischen Pharmabranche) und die Roche-Erben im VR sind schon viel zu lange am Ruder. Abtreten! Die 1'800 Mitarbeiter in den Basler Wohlfühltürmen brauchen endlich eine sinnvolle Beschäftigung!
Vielen Dank für diese Einschätzung. Die Einführung der Einheits-Aktie würde hier vermutlich Abhilfe schaffen.
Die Einführung der Einheitsaktie wäre ein guter Anfang! Frage: Welche zukunftsträchtigen Wirkstoffe wurden in den letzten 20 Jahren in Basel entwickelt?
Seit der Hals über Kopf Entscheidung des Verwaltungsrates - besonders Herrn Bulcke - ohne klare Begründung Herrn Schneider die Türe zu weisen ist das Ver- und Zutrauen in die Kontrollorgane zerrüttet. Hier muss angesetzt werden, das geplante Manöver ging schief zumal die Jahre unter CEO Bulcke keineswegs berauschend waren. Das waren Verwaltungsjahre, längst hätte das Ziel erreicht werden müssen die 100 Milliarden Chf Umsatz zu knacken. Die Begründung der Kursrückgang bis dahin wäre es nicht gewesen dann stellt sich sofort die Frage wie war das Verhältnis zwischen CEO und Verwaltungsratschef. Hier bleibt Mitverantwortung zumal das operative Geschäft - davon bin ich überzeugt - diesen Rückschlag und den massiven Vertrauens- und Zutrauensverlust nicht ausgelöst. Es besteht Handlungsbedarf und das zeitnah ..... aussitzen geht nicht!
Auch ich trauere Mark Schneider ein bisschen nach und frage mich: Wollte er zu viel Veränderung, um Nestlé wieder auf (Wachstums-)Kurs zu bringen? Dass sich der VR mit Laurent Freixe für einen Nestlé-Veteranen entschied, scheint diese Vermutung zu untermauern.
Zur Erinnerung: Unter Schneider erfuhr der Aktienkurs seines früheren Arbeitgebers Fresenius eine Verzehnfachung...
15 Jahre in der GL eines grossen Schweizer Unternehmens genügen mir, zu wissen, dass für den Klein- bzw. mittleren -Anleger das Shortterm-Denken keine gute Strategie verspricht. Zudem habe ich aus Erfahrung meine Vorbehalte Analysten gegenüber, die grossmehrheitlich nicht gerade mit langjähriger unternehmerischer Führungserfahrung gesegnet sind….
Wie Sie richtig schreiben, werden die hiesigen Publikumsgesellschaften von der Börse von Quartal zu Quartal am Ergebnis gemessen. Da liegt es geradezu auf der Hand, dass vielerorts die langfristige Weiterentwicklung des Tagesgeschäfts zu kurz kommt. Auch wir (Finanz-)Medien müssen uns da in gewisser Weise ein bisschen an der eigenen Nase nehmen...
Pocinci ist nicht der Einzige, der einen weitere Rückgang von NESN prognostiziert. Und es sind nicht nur technische Analysen, die zu diesem Schluss kommen.
Wie immer, muss man shortterm und longterm auseinander halten. Longterm sind sich fast alle Analysten und Branchenkenner einig, dass NESN wieder in Richtung 100 und darüber gehen kann. Das Potential hat NESN, allerdings ist es kein Selbstläufer, das Management muss das Potential aktivieren und dazu braucht es eine neue Marktstrategie und einen Kulturwandel.
Bis das Management eine überzeugende Strategie vorgelegt hat - und das hat es bisher nicht - sind weiter sinkende Kurse plausibel, denn hier geht es nun in erster Linie um Vertrauen in die Führung, und dieses Vertrauen muss erst geschaffen werden.
Man kann also weiter sinkende Kurse auch als Einstiegsgelegenheit verstehen. Allerdings: Auch wenn NESN langfristig das Potential zur Erhohlung hat, bedeutet das noch lange nicht, dass die Risko-Rendite-Relation gegenüber alternativen Investments attraktiv ist.