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Bei uns am Schweizer Aktienmarkt stand das Geschehen in den letzten Tagen ganz im Zeichen der Jahresergebnisveröffentlichungen. Es sollte dauern – doch nun nimmt die Berichterstattung der hiesigen Unternehmen endlich Fahrt auf.
Als der Pharmazulieferer Lonza am frühen Mittwochmorgen seinen Zahlenkranz fürs vergangene Geschäftsjahr veröffentlichte, blieben grössere Überraschungen aus. Mit 6,57 Milliarden Franken bewegte sich der Umsatz in etwa im Rahmen der von den Analysten durchschnittlich erwarteten 6,6 Milliarden Franken. Die operative Kerngewinnmarge (EBITDA) fiel mit 29 Prozent insgesamt etwas besser aus – wenn auch nur unwesentlich. Und auch bei den im Dezember kommunizierten Finanzzielen für dieses Jahr bleibt alles beim Alten.
Dass die Reaktion der Börse dennoch ziemlich unterkühlt ausfiel, dürfte wohl mehrere Gründe haben. Zum einen waren die Aktien von Lonza in den Wochen vor der Ergebnisveröffentlichung über weite Strecken gefragt und zum anderen entschieden sich die Basler entgegen anders lautender Erwartungen gegen eine Dividendenerhöhung. Schliesslich blicke man auf ein Übergangsjahr zurück, so die lapidare Erklärung für die Nullrunde bei der Dividende.
Für Gesprächsstoff sorgte auch der enttäuschende Beitrag des Kapselgeschäfts zum Gruppenergebnis. Mit einem operativen Kerngewinn (EBITDA) von 256 Millionen Franken bei einem Jahresumsatz von 1,05 Milliarden Franken blieb dieses hinter den erwarteten 269 Millionen Franken beziehungsweise 1,08 Milliarden Franken zurück.
Die Formschwäche des Kapselgeschäfts wird in Analystenkreisen bis heute heruntergespielt. Dies mit der Begründung, dass der Geschäftszweig ja sowieso verkauft werde. In dieses Horn bläst etwa der für Bernstein Société Générale tätige Analyst Justin Smith. Mich überrascht das nicht, preist er die Valoren von Lonza doch mit «Outperform» und einem Kursziel von 740 (zuvor 710) Franken zum Kauf an. Es ist das höchste mir bekannte Kursziel.
Ich persönlich sehe das etwas anders. Je besser das Kapselgeschäft läuft, desto mehr dürfte dessen Verkauf bei Lonza nämlich in die Kasse spülen. Zur Erinnerung: Als die Basler sich die amerikanische Capsugel anlachten, liessen sie sich den Vorstoss in diesen Geschäftszweig einst satte 5,5 Milliarden Dollar kosten. Damals wurde übrigens gemunkelt, dass sich Lonza mit dem milliardenschweren Firmenkauf einen Übernahmeversuch aus dem Ausland abgewehrt habe. Man braucht über keine grossen Kenntnisse auf dem Gebiet der Unternehmensbewertung zu verfügen, um erahnen zu können, dass Capsugel als ein kostspieliges Abenteuer in die Firmenchronik eingehen wird...
Die Aktien von Lonza stehen seit der Zahlenveröffentlichung unter Druck (Quelle: www.cash.ch)
Lonza war in den letzten Tagen übrigens nicht das einzige Unternehmen, welches mit dem Dividendenvorschlag für enttäuschte Gesichter sorgte. Auch bei der Swatch Group, ABB und sogar bei Roche hatte man sich in Analystenkreisen eine höhere Dividende fürs vergangene Geschäftsjahr erhofft. Das zeigen zumindest Erhebungen von AWP. Doch auch bei der UBS wird in Londoner Analystenkreisen eine Enttäuschung herbeigeredet.
«Dividendenzeit heisst Erntezeit» titelt etwa die Berner Kantonalbank in einer mir zugespielten Publikation. Doch was ist, wenn sich die Dividendenenttäuschungen wie in den letzten Tagen häufen? Regelmässige Leserinnen und Leser meiner Kolumne wissen, dass Dividenden – je nach Betrachtungszeitraum – bis zu zwei Drittel zur Gesamtrendite bei Aktien beisteuern können. Anders als die Kurskomponente ist die Dividendenkomponente zudem deutlich weniger schwankungsanfällig. Das wiederum hat auf lange Sicht einen stabilisierenden Einfluss auf die Gesamtrendite von Aktien.
Ich kann nun insofern Entwarnung geben, als dass sich die Dividendenenttäuschungen der letzten Tage bei genauerem Hinschauen arg relativieren lassen. Nicht nur bei Lonza, auch bei ABB und Roche wurde das Bild durch einige wenige hohe Einzelschätzungen verzerrt. Bei Lonza etwa war ein Analyst von einer Dividendenerhöhung von 4 auf 5,55 Franken je Aktie ausgegangen und bei ABB ein anderer von einer kräftigen Erhöhung von 0,87 auf 1,05 Franken je Aktie. Ich wäre nicht überrascht, wenn da jemand Dollar mit Franken vertauscht hätte – bilanziert der schweizerisch-schwedische Industriekonzern doch in Dollar. Ausserdem dürfte das milliardenschwere Aktienrückkaufprogramm über die moderate Dividendenerhöhung hinwegtrösten.
Schmunzeln musste ich ob der höchsten Einzelschätzung für die Dividende bei der Swatch Group. Da rechnete ein mir nicht namentlich bekannter Experte doch tatsächlich mit einer Erhöhung von 6,50 auf 8 Franken je Inhaberaktie. Seit gestern Donnerstag wissen wir: Es sollte alles ganz anders kommen. Der Uhrenhersteller aus Biel nahm eine Dividendenkürzung auf 4,50 Franken je Inhaberaktie vor.
Die letztjährige Geschäftsentwicklung lässt sich nicht länger schönreden – selbst wenn Firmenchef Nick Hayek mit Blick aufs neue Jahr wie gewohnt nur so vor Zuversicht strotzt. Für 2024 resultiert ein Umsatzrückgang um 15 Prozent auf 6,74 Milliarden Franken. Der Reingewinn brach sogar um 78 Prozent auf 193 Millionen Franken ein. Analysten waren durchschnittlich von einem Jahresgewinn in Höhe von 377 Millionen Franken ausgegangen. Das Unternehmen selber macht die Absatzschwäche in China sowie einen hohen Investitionsbedarf für die wegbrechenden Gewinne verantwortlich. Gleichzeitig signalisiert man, dass man für eine Belebung bereit sein wolle. Im übertragenen Sinn heisst letzteres in etwa so viel wie: Am Hauptsitz in Biel wird «weitergewurstelt» wie bisher.
Wie sein verstorbener Vater ist Nick Hayek ein Firmenpatron der alten Schule. Patrons von diesem Schlag sind bekannt dafür, sich nicht von kurzfristigen Marktfluktuationen zu Kurzschlusshandlungen verleiten zu lassen – selbst wenn das hiesse, das Wohl der verschiedenen Anspruchsgruppen des Unternehmens vor das eigene Wohl zu stellen.
Das alles ist eigentlich sehr lobenswert – sofern das Ganze nicht in Sturheit umschlägt. Und genau das, befürchte nicht nur ich, ist bei der Swatch Group schon vor einer ganzen Weile geschehen. Ein «Weiter wie bisher» darf es spätestens nach der einschneidenden Ergebnisenttäuschung von dieser Woche schlichtweg nicht mehr geben. Auch den Anspruchsgruppen des Uhrenherstellers zuliebe...
Da lobe ich mir die Genfer SGS. Der Zusammenschluss mit Bureau Veritas sei vom Tisch, liess das Warenprüfunternehmen die Medien am frühen Montagmorgen in einer Mitteilung wissen. Und weiter: Man konzentriere sich nun wieder voll und ganz auf die Umsetzung der «Strategie 27».
Die Kurserholung bei den SGS-Aktien fällt überraschend verhalten aus (Quelle: www.cash.ch)
Aus Aktionärssicht ist der Alleingang unter der Firmenchefin Géraldine Picaud zu begrüssen. Vermutlich wäre das Vorhaben sowieso zum wettbewerbsrechtlichen Albtraum verkommen. Denn durch den Zusammenschluss des Weltmarktführers mit der Nummer zwei wäre ein Riese mit einem Marktanteil von 15 Prozent und einem Jahresumsatz von knapp 13 Milliarden Franken entstanden. Zum Vergleich: Die nächstgrösseren Rivalen Eurofins und Intertek setzten zuletzt umgerechnet 6,6 beziehungsweise 3,8 Milliarden Franken um. Soweit kommt es nun aber nicht.
Wie der Vontobel-Analyst Jean-Philippe Bertschy kürzlich schrieb, führten SGS und Bureau Veritas auch schon in der Vergangenheit mehrmals Gespräche. Allerdings seien diese stets an der Eitelkeit der beiden Parteien gescheitert – etwa, wenn es um den Sitz des neu entstehenden Unternehmens oder um die Besetzung der Verwaltungsrats- oder der Geschäftsleitungsspitze ging.
Die Geschichte wiederholt sich zwar nicht – aber sie reimt sich zumindest. Involviert gewesen sein dürfte diesmal Goldman Sachs. Die amerikanische Investmentbank nahm am Dienstagnachmittag die Wiederabdeckung der SGS-Aktien mit «Sell» und einem 12-Monats-Kursziel von 81 Franken auf – ebenso wie jene für die Valoren von Bureau Veritas. Dass letztere durch den zuständigen Analysten Suhasini Varanasi mit «Buy» und einem 12-Monats-Kursziel von 40 Euro zum Kauf angepriesen, kommt fast schon einem Affront gegen die SGS-Chefin gleich.
Einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt erwischten die R&S-Aktionäre um Marc Aeschlimann und Marcus Jauslin, als sie sich eines weiteren Teilpakets entledigten. Ausgerechnet am Tag der Marktverwerfungen im Zusammenhang mit DeepSeek trennten sie sich von rund 2,5 Millionen Aktien zu 19,30 Franken je Stück.
Wer Aktien aus der Platzierung zugeteilt erhielt, dürfte sich die Haare raufen. Gestern Donnerstag etwa waren die Valoren des Baselbieter Transformatorenherstellers zeitweise für weniger als 18,50 Franken zu haben. Die R&S Group wird an der Börse – wie viele andere Energieinfrastrukturanbieter auch – wegen DeepSeek mit Kursverlusten abgestraft.
Angeblich hat ein chinesisches Start-Up es innerhalb von nur zwei Monaten geschafft, mit DeepSeek eine KI-Anwendung zu erschaffen, welche es problemlos mit ChatGPT oder Grok aufnehmen kann. Mit 6 Millionen Dollar betragen die genannten Entwicklungskosten nur ein Bruchteil westlicher KI-Anwendungen. Zum Vergleich: ChatGPT-Entwickler OpenAI «verbrannte» im letzten Jahr Gelder in Höhe von 5 Milliarden Dollar. Dass auch die Aktien von Energieinfrastrukturanbietern unter Verkaufsdruck gerieten, lässt sich übrigens mit dem deutlich geringeren Energiebedarf von DeepSeek erklären. Ausserdem läuft diese Anwendung auch auf älteren Chips – was die schwindelerregend hohe Börsenkapitalisierung von Nvidia und Co durchaus in Frage stellen könnte.
Interessant ist, dass ein beachtlicher Teil der im Zuge der Platzierung feilgebotenen Aktien im Besitz der Capital Group gelandet sein muss. Wie einer Offenlegungsmeldung an die SIX Swiss Exchange entnommen werden kann, hat der amerikanische Fondsriese sein R&S-Paket von etwas mehr als drei auf knapp acht Prozent ausgebaut. Es macht ganz den Anschein, als ob die Amerikaner in den DeepSeek-Wirren eine günstige Kaufgelegenheit sehen.
Ob zu Recht oder nicht, könnte sich schon nächste Woche zeigen. Mehr dazu am kommenden Freitag, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.
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