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Wer genau hinschaute, sah den Börsenrückschlag unweigerlich kommen. Selbst wenn das lange kaum jemand wahrhaben wollte. Ab Mitte Dezember, spätestens aber ab Ende Januar meldete sich nämlich ein warnender Vorbote zurück: Die Gier.
Es gab allerdings auch noch andere Vorboten. Deshalb habe ich nachstehend eine kurze zeitliche Abfolge von Beobachtungen meinerseits zusammengestellt, die letztendlich in den schmerzhaften Börsenrückschlag mündeten.
Am Anfang waren da Aktienanalysten wie Luca Solca von Bernstein Research oder Eric Le Berrigaud von Bryan Garnier. Sie mussten schon Mitte Dezember immer tiefer in die Trickkiste greifen, um ihre Kaufempfehlungen für einige Börsenüberflieger wie Roche oder Richemont überhaupt noch rechtfertigen zu können.
Und weiter: Während die Kurse in den letzten 12 Monaten kontinuierlich stiegen und dem SMI einen Rekord auf den nächsten bescherten, waren die Gewinnerwartungen über alle 20 Unternehmen aus dem renommierten Börsenbarometer hinweg sogar leicht rückläufig. Man muss kein Experte sein, um zu erahnen, dass dadurch die Bewertungen kräftig gestiegen sind. So teuer wie heute waren Schweizer Aktien noch nie - weder auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase vom Frühjahr 2000, noch unmittelbar vor Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2007. Die Bewertungen scheinen angesichts des geradezu erdrückenden Anlagenotstands sowieso nicht länger von Bedeutung zu sein.
Es sollte nicht lange dauern, bis auch einigen gut vernetzten Ankeraktionären angesichts des hohen Kurs- und Bewertungsniveaus nicht mehr ganz geheuer war. Die Familie Von Finck trennte sich beim Warenprüfkonzern SGS von einem zünftigen Aktienpaket, die Familie Jacobs reduzierte ihre Beteiligung am Schokoladehersteller Barry Callebaut und KWE Beteiligungen trat bei Zur Rose den Rückzug an.
Doch die Gewinnerwartungen, sie fielen weiter und der Schweizer Aktienmarkt, er kletterte von einem Rekordhoch zum nächsten - obwohl sich zu diesem Zeitpunkt bereits abzeichnete, dass das Coronavirus von China aus auf andere Weltregionen übergreifen könnte.
Am 12. Februar schrieb ich in diesem Zusammenhang: Während der breit gefasste Swiss Performance Index (SPI) von einem Rekordhoch zum nächsten klettert, sind die Gewinnerwartungen für die darin berücksichtigten Unternehmen seit Monaten rückläufig. Damit koppeln sich die Aktienkurse auch hierzulande immer weiter von der Unternehmensgewinnentwicklung ab - was nicht eben ungefährlich ist. Der erstarkte Franken und mögliche wirtschaftliche Folgen der von China ausgehenden Coronavirus-Pandemie sprechen dafür, dass die Analysten ihre Gewinnerwartungen weiter zurückfahren müssen. Dennoch steigen die Kurse weiter und weiter. In was für einer verkehrten (Börsen-)Welt wir doch leben.
Auch einige Firmenlenker ahnten das wahre Ausmass der Coronavirus-Pandemie vermutlich schon zu diesem Zeitpunkt und machten vorsorglich mal Kasse. Zu millionenschweren Titelverkäufen kam es unter anderem bei Logitech, Barry Callebaut, Roche und Julius Bär.
Ich kommentierte das am 20. Februar wie folgt: Mit Ausnahme der Aktionäre von Lonza, Givaudan, Roche oder Novartis dürfte sich die Freude über die Indexrekorde bei vielen Anlegern vermutlich aber in Grenzen halten. Es drängt zwar noch immer viel ausländisches Geld an den hiesigen Aktienmarkt. Allerdings verteilt es sich auf einige wenige Titel. Angesagt sind vor allem solche von Unternehmen mit einem weitestgehend von der konjunkturellen Entwicklung unabhängigen Tagesgeschäft. Unnötig zu sagen, dass auch hierzulande diese geballte Kapitalkonzentration in ein paar wenigen Aktien nicht eben ungefährlich ist.
Was mir damals nicht bewusst war: Der SMI sollte an genau diesem Tag nach einem Vorstoss auf 11'270 Punkten seinen Höhepunkt durchschreiten und innerhalb weniger Wochen um mehr als 30 Prozent zurückfallen. Einmal mehr sind die angeloamerikanischen Grossinvestoren wieder fein raus.
Rückblickend muss ich mir den Vorwurf gefallen lassen, dass ich bei meinen Schweizer Aktienfavoriten für das Börsenjahr 2020 auf Worte keine Taten habe folgen lassen. Zu sicher fühlte ich mich in den Aktien von Unternehmen, die sich in einer Spezialsituation befinden. Rückblickend wähnte ich mich jedoch in falscher Sicherheit – ein ziemlich fataler Fehler.
Wie am gestrigen Mittwoch versprochen, möchte ich mich nachstehend noch zu den einzelnen Titelpositionen äussern:
Standardwerte (aus dem Swiss Leaders Index):
ABB (-27,9 Prozent)
Seine ersten Wochen an der Konzernspitze von ABB hatte sich Björn Rosengren vermutlich anders vorgestellt, als er vergangenen Sommer dem schweizerisch-schwedischen Industriekonzern zusagte. Als eine seiner ersten Amtshandlungen musste Rosengren eine Umsatz- und Gewinnwarnung für das erste Quartal aussprechen. Die im Zuge der Jahresergebnisveröffentlichung kommunizierten Vorgaben für 2020 haben nicht länger Gültigkeit.
Meine Einschätzung: Die Umsatz- und Gewinnwarnung von letzter Woche hatte sich bereits abgezeichnet. Das satte Minus am Tag der Bekanntgabe ist denn auch mehr auf den Dividendenabgang, als auf die Warnung selbst zurückzuführen. Mir ist zwar nicht bekannt, ob Rosengren Jassen kann. Er kann jedoch gleich zwei entscheidende Trümpfe ausspielen: Ihm bleibt einerseits das milliardenschwere Aktienrückkaufprogramm und andererseits das Strategie-Update. Beide Trümpfe könnten die Aktienkursentwicklung positiv beeinflussen, sofern sie geschickt ausgespielt werden.
AMS (+2,9 Prozent)
Regelmässige Leserinnen und Leser werden sich eventuell zurückerinnern, dass ich schon Ende Dezember mit einem Einstieg bei AMS rund um die milliardenschwere Kapitalerhöhung des Sensorenherstellers liebäugelte. Vergangene Woche war es endlich soweit und ich baute bei meinen Schweizer Aktienfavoriten für das Börsenjahr 2020 eine erste kleine Position im diesjährigen Börsenschlusslicht auf.
Nach Einstellung des Bezugsrechtehandels dürfte der Verkaufsdruck bald nachlassen. Noch ist allerdings unklar, was mit den fast 73 Millionen Aktien aus den nicht ausgeübten Bezugsrechten geschieht. Dass die mit der Kapitalerhöhung beauftragten Banken sie bei neuen Investoren unterbringen können, gilt als sicher. Die Frage ist bloss, zu welchem Preis.
Meine Einschätzung: Die Leerverkäufer sind bei AMS am Ziel angelangt. Selbst den Bezugsrechtabgang aufgerechnet notieren die Aktien des Sensorenherstellers um 76 Prozent tiefer als noch zu Jahresbeginn. Die ambitionierten Übernahmepläne für Osram Licht kommen vor allem die langjährigen Aktionäre teuer zu stehen. Ich habe in den letzten Monaten mehrfach Kritik an diesen Plänen geübt. Sobald die Titelplatzierung durch die Konsortialbanken durch ist, dürfte der Verkaufsdruck spürbar nachlassen. Ich erhoffe mir gar eine technische Gegenbewegung zurück auf über 10 Franken. Dadurch würde der Druck auf die Leerverkäufer steigen, ihre Wetten gegen AMS zu schliessen. Selbst pessimistische Analysten wie jener der Credit Suisse beziffern den fairen Wert der Papiere auf mindestens 12 Franken. Ich nehme die Titelplatzierung zum Anlass, um die AMS-Position um weitere 5000 Franken aufzustocken.
LafargeHolcim (-34,4 Prozent)
Bereits einige Tage vor ABB setzte LafargeHolcim die wenige Wochen zuvor kommunizierten Zielvorgaben für das laufende Jahr aus. An der Jahresdividende von 2 Franken hält der Baustoffhersteller aus Jona hingegen fest. Dass die Coronavirus-Pandemie auch beim Weltmarktführer das Tagesgeschäft beeinträchtigt, überrascht nicht. An den Konzernumbauplänen von Firmenchef Jan Jenisch ändert sich dadurch vermutlich nicht viel. Fragt sich bloss, ob LafargeHolcim mit weiteren Bereichsverkäufen ein ebenso gutes Verkaufsergebnis erzielt wie das in der jüngeren Vergangenheit der Fall war.
Meine Einschätzung: Rückblickend trennte sich der Baustoffhersteller in einem günstigen Moment von einigen Geschäftsbereichen. Heute liessen sich wohl kaum noch so gute Preise erzielen. Auch die Absage an eine Übernahme des Bauchemiegeschäfts der deutschen BASF war rückblickend richtig. Die Nettoverschuldung lässt Zukäufe zu, sollten sich interessante Gelegenheiten ergeben. Mit knapp 6 Prozent ist die Dividendenrendite dieser Aktien äusserst attraktiv.
Lonza (+13,1 Prozent)
Auch die Aktien von Lonza konnten sich dem Börseneinbruch nicht völlig entziehen. In den letzten Tagen bescherten den Papieren des Basler Pharmazulieferers aggressive Käufe aus dem angloamerikanischen Raum jedoch ein kräftiges Aufbäumen. Die defensiven Qualitäten kommen bei dortigen Grossinvestoren gut an – und nicht nur dort. Ob die Aktien die Gewinnerliste beim SMI auch in Zukunft anführen, entscheidet nicht zuletzt der Zwischenbericht für die ersten drei Monate. Bleibt zu hoffen, dass Lonza der Weltöffentlichkeit an diesem Tag einen geeigneten Nachfolger für den zurückgetretenen Firmenchef Mark Funk präsentieren sowie mit Neuigkeiten rund um Specialty Ingredients aufwarten kann.
Meine Einschätzung: Der Börsengang von Specialty Ingredients ist im momentanen Marktumfeld vermutlich erst einmal vom Tisch. Die solide Bilanz würde es Lonza übrigens auch ermöglichen, diesen Geschäftsbereich über eine Sachdividende an die Aktionäre an die Börse zu bringen. Immer unter der Voraussetzung, dass sich solche Pläne ohne steuerliche Folgen umsetzen lassen würden.
Swatch Group (-8,5 Prozent)
Der Uhrenhersteller aus Biel findet sich im perfekten Sturm wieder. Nicht nur die weltweite Reisetätigkeit, auch der Konsum leidet weltweit unter den Folgen der Coronavirus-Pandemie. Wenigstens findet China langsam zur Normalität zurück. In den letzten Wochen erwarben dem Unternehmen nahestehende Aktionäre Titel im Gesamtwert von 165 Millionen Franken. Davon geht ein starkes Signal für die Börse aus – selbst im Wissen, dass diesem Aktionärskreis schon bald wieder etliche Millionen an Dividenden zufliessen werden. Das überraschend kurze Gastspiel des Vermögensverwalters Veraison wirft hingegen Fragen auf.
Meine Einschätzung: Noch hat sich die Umschichtung aus den Inhaber- in die Namenaktien nicht bezahlt gemacht. Der Abschlag der Namenaktien ist nur marginal kleiner geworden. Den Aktionären werden weiterhin Geduld und gute Nerven abverlangt.
Temenos (-17,6 Prozent)
Zuletzt fielen auch beliebte Aktien wie jene von Temenos dem Börseneinbruch zum Opfer. Ob und wie stark die Kunden aus des Bankenindustrie in Mitleidenschaft gezogen werden und ob sich die Coronavirus-Pandemie auch auf die Investitionsbereitschaft dieser Kunden auswirkt, wird sich noch zeigen müssen. Dass die diesjährigen Zielvorgaben des Genfer Unternehmens von Beginn weg als eher konservativ galten, könnte sich nun als Vorteil erweisen.
Meine Einschätzung: Eine Erhöhung der Zielvorgaben, wie sie noch vor vier Wochen möglich schien, ist fürs erste wohl vom Tisch. Wichtige Erkenntnisse erhoffe ich mir von der Quartalsergebnisveröffentlichung. Als Kurstreiber taugt letztere vermutlich aber nicht.
UBS Group (-26,1 Prozent)
Die Aktien der UBS hielten sich zwar besser als viele andere europäische Bankaktien, konnten sich der Branchenschwäche aber dennoch nicht entziehen. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass der jüngste Kursrückschlag keine unternehmensspezifischen Gründe hat. Das Bekenntnis zur Jahresdividende ist zu begrüssen. Bis die grösste Schweizer Bank ihren Zahlenkranz für das erste Quartal vorlegt, dauert es noch. Danach dürfte sich das Interesse auf den Berufungsprozess gegen die milliardenschwere Strafe in Frankreich verlagern.
Meine Einschätzung: Zeitweise kosteten die Aktien gerade mal noch 7 Franken. Das ist weniger als auf dem Höhepunkt der Bankenkrise von 2008/09 und auch weniger als im Sommer 2011, als den beiden Schweizer Grossbanken ein zusätzlicher Eigenkapitalbedarf in zweistelliger Milliardenhöhe nachgesagt wurde. Die UBS scheint mir heute aber um einiges besser aufgestellt als damals.
Nebenwerte:
Ascom (-49,3 Prozent)
Wie viele andere kleinere Nebenwerte auch, gerieten die Aktien von Ascom noch einmal kräftig unter die Räder. Begleitet wurde der Kurszerfall von Spekulationen, wonach sich die Aktionärsgruppe um den Vermögensverwalter Veraison von Teilen des 17-Prozent-Pakets getrennt haben könnte. Seit dem gestrigen Mittwoch steht nun allerdings fest, dass diese Spekulationen falsch sind. Als Anbieter von Kommunikationslösungen für Spitäler müsste Ascom eigentlich von den zusätzlichen Milliardeninvestitionen ins weltweite Gesundheitswesen Profit schlagen können. Vermutlich liegen die Prioritäten vieler Spitäler aufgrund der Coronavirus-Pandemie momentan aber in ganz anderen Bereichen.
Meine Einschätzung: Ascom bleibt eine Dauerbaustelle. Ich frage mich, wann das Führungs-Duo Jeannine Pilloud und Valentin Chapero den Aktionären endlich glaubwürdige Zukunftspläne vorlegen wird. Das Commitment der Ankeraktionäre um Veraison begrüsse ich hingegen.
Klingelnberg (-59,8 Prozent)
Den Aktien von Klingelnberg wird auch weiterhin die undankbare Rolle des Schlusslichts unter meinen Schweizer Aktienfavoriten zuteil. Die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie trifft die Automobilindustrie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, befand sich die Branche doch schon zuvor in einem Abschwung. Das wiederum bekommen Zulieferer wie Klingelnberg überdurchschnittlich stark zu spüren. Dass das Unternehmen über eine solide Bilanz und einen finanzstarken Ankeraktionär verfügt, kommt ihm dabei zugute.
Meine Einschätzung: Die Kursentwicklung von Klingelnberg ist insbesondere für die Publikumsaktionäre gelinde gesagt eine Katastrophe. Rückblickend müssen die mit dem Börsengang vom Sommer 2018 betrauten Banken sich den Vorwurf gefallen lassen, ein zu rosiges Bild der Zukunftsaussichten gemalt zu haben. Sofern das Unternehmen die eigene Technologie nicht für andere Wirtschaftszweige weiterentwickeln kann, heisst es für die Aktionäre: Warten auf den nächsten Automobilzyklus.
OC Oerlikon (-32,0 Prozent)
Etwas Boden gutmachen konnten zuletzt die Aktien von OC Oerlikon. Doch noch immer sitzt der Schock über das schwache Abschneiden im Schlussquartal letzten Jahres tief. Gerade in der Oberflächentechnologie – dem erklärten Kerngeschäft – verfehlte der Industriekonzern die Analystenerwartungen ziemlich deutlich. Angesichts der trüben wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dürfte es dem Unternehmen schwer fallen, sich zu rehabilitieren. Daran ändert auch die grosszügige Sonderdividende nichts.
Meine Einschätzung: Es ist erfreulich zu sehen, wie sich die Aktien von OC Oerlikon in den letzten Wochen fangen konnten. Sollte neben der regulären Dividende in wenigen Tagen auch die Sonderdividende zur Auszahlung kommen, würde ein Franken je Titel an die Aktionäre zurückgeführt. Ich werde im Rahmen meiner Schweizer Aktienfavoriten für den ausbezahlten Betrag wieder Titel über den offenen Markt erwerben.
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