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Am Schweizer Aktienmarkt ist die Quartalsberichterstattung weit fortgeschritten. Von den 20 Unternehmen aus dem Swiss Market Index (SMI) haben mittlerweile alle ihre Zahlenkränze vorgelegt – mit Ausnahme von SGS und der Swatch Group. Die beiden Firmen aus der Romandie lassen sich nur alle sechs Monate in die Karten blicken.
Wenn sich etwas wie ein roter Faden durch die Quartalsberichterstattung der letzten Wochen zieht, dann dass sich die allermeisten Unternehmen im zurückliegenden ersten Quartal besser schlugen, als Analysten dies erwartet hatten. Allerdings sei gesagt, dass sich die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie erst kurz vor Quartalsende erstmals bemerkbar machten. Mit anderen Worten: Die Zahlenkränze sind ein Blick in den Rückspiegel. Nicht mehr und nicht weniger.
Das zweite Quartal dürfte weitaus herausfordernder verlaufen. Wie die Beratungsfirma IBES vorrechnet, lässt sich von den durchschnittlichen Analystenschätzungen für die europäischen Unternehmen auf einen Gewinneinbruch gegenüber dem zweiten Quartal letzten Jahres um fast 50 Prozent schliessen. Für das gesamte Jahr gehen Analysten immerhin noch von einem Gewinnrückgang um 25 Prozent aus, gefolgt von einer kräftigen Gewinnbelebung um 30 Prozent im nächsten Jahr. Damit dürfte die Umsatz- und Gewinnentwicklung auch bei den hiesigen Unternehmen die Talsohle bereits durchschritten haben – sofern sich die Nachrichtenlage rund um die Coronavirus-Pandemie nicht wieder eintrübt.
Das bringt uns zur eigentlichen Frage: Wie viel wirtschaftliche Belebung nimmt das momentane Kurs- und Bewertungsniveau an den Aktienmärkten bereits vorweg? Und setzt die Belebung auch tatsächlich und mit dem erhofften Tempo ein? Wir werden es wohl erst im Sommer wissen, wenn hierzulande die Berichterstattung für das zweite Quartal anläuft.
Vorschusslorbeeren erhalten insbesondere die Aktien von Adecco. Am Mittwoch vollzog Kepler Cheuvreux eine spektakuläre Kehrtwende. In einer Branchenstudie stufte Analyst Hans Pluijgers die Papiere des Stellenvermittlers von "Reduce" auf "Buy" herauf. Und obwohl er seine operativen Gewinnschätzungen für dieses Jahr um fast 90 Prozent zusammenstrich, veranschlagt er ein Kursziel von 51 (zuvor 50) Franken. Der Studienautor rechnet in der zweiten Jahreshälfte mit einer Belebung des Tagesgeschäfts. Damit ist er nicht alleine.
Doch nicht nur bei Adecco greifen die Schnäppchenjäger beherzt zu. Seinem Abteilungskollegen Peter Eliot haben es die dividendenstarken Aktien der Zurich Insurance Group angetan. Er stuft letztere mit einem Kursziel von 365 (zuvor 340) Franken von "Hold" auf "Buy" herauf. Eliot begrüsst die Transparenz der Versicherungsgruppe anlässlich des Zwischenberichts für das erste Quartal. Gleichzeitig geht er zukünftig von höheren Prämienansätzen und damit verbunden von grösseren Ertragsströmen aus.
Bei Baader-Helvea setzt man hingegen auf Valora und empfiehlt die Papiere des pandemiegebeutelten Turnaround-Kandidaten neuerdings mit "Add" und und einem Kursziel von 200 (zuvor 242) Franken. Die Umsatzentwicklung dürfte die Talsohle durchschritten haben, so lässt man verlauten.
Die Musik spielt allerdings noch immer ganz wo anders. Schon seit Wochen liefern sich Pharmaunternehmen rund um den Globus ein unerbittliches Rennen um einen Impfstoff oder eine wirksame Therapie gegen das Coronavirus. An den Aktienmärkten wettet man jetzt schon auf Aktien von Unternehmen, die als mögliche Sieger hervorgehen könnten. Allerdings nimmt dieser Rummel immer groteskere Züge an.
Momentan vergeht kaum ein Tag, ohne dass die Aktien der beiden Pharmazulieferer Bachem und Lonza nicht neue Kursrekorde schreiben würden. Vor allem jene von Lonza haben es den Marktakteuren angetan, seit die Basler kürzlich eine Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Impfstoffhersteller Moderna eingegangen sind. Lonza wird an der Börse fast 35 Prozent höher bewertet als noch zu Jahresbeginn, Bachem sogar um 60 Prozent.
Dass es sich bei diesem Rennen nicht um einen Kurzdistanz-Lauf, sondern vielmehr um einen Marathon handelt, scheint dabei völlig vergessen zu gehen. Bis erste Impfstoffe auf den Markt kommen, fliesst auch in Basel noch viel Wasser den Rhein hinab.
Ausserdem steht die Höherbewertung der genannten Unternehmen in keinem Verhältnis zum kommerziellen Potenzial eines Coronavirus-Impfstoffs. Darf man der UBS Glauben schenken, dann winkt Lonza selbst unter optimistischen Annahmen bloss ein jährlicher Mehrumsatz von etwa 10 Millionen Franken. Das sind Peanuts. Meine Prognose deshalb: Wer jetzt noch aufspringt, läuft Gefahr, sich gehörig die Finger zu verbrennen.
Ähnliches gilt für Zur Rose. Momentan wird der Versandapotheke an der Börse viel Aufmerksamkeit zuteil, profitiert sie doch von der Coronavirus-Pandemie. Am Mittwoch bescherte die amerikanische Investmentbank Jefferies den Aktien neue Kursrekorde, nachdem Analyst Alexander Thiel eine Kaufempfehlung mit einem Kursziel von 300 Franken ausgesprochen hatte. Unter gewissen Umständen sieht er die Papiere gar bis auf Kurse von 370 Franken vorstossen. Unnötig zu erwähnen, dass die Aktien von Zur Rose alleine an diesem Tag emporschossen wie eine Wasserfontäne – und das, obwohl sie schon vorher mit einem Kursziel von fast 60 Prozent zu den diesjährigen Börsenüberflieger zählten. Im Windschatten davon hoben andere Analysten ihre Kursziele ebenfalls an.
Ich orte da ein selektives Überhitzen. Dass sich derart viel "schnelles Geld" in ein paar wenigen Spezialsituationen tummelt, ist nicht eben ungefährlich und zeugt von Gier.
Zu diesen Spezialsituationen zählen neuerdings auch die Aktien von Aryzta. Seit bekannt wurde, dass sich Veraison eingenistet hat, überschlagen sich beim hochverschuldeten Backwarenhersteller die Ereignisse. Zuerst baute der für seine aktive Einflussnahme berüchtigte Vermögensverwalter seine Beteiligung auf 7,3 Prozent aus, schloss sich dann mit dem langjährigen Anteilseigner Cobas zu einer dominierenden Aktionärsgruppe zusammen, nur um am gestrigen Donnerstag dann Veränderungen im Verwaltungsrat zu fordern. Der Einfluss früherer Manager aus der Zeit von Hiestand soll gestärkt, der Einfluss aus Irland hingegen verringert werden. Man kann schon fast von einem Putschversuch sprechen.
Ich muss dem Vontobel-Analysten Jean-Philippe Bertschy beipflichten, wenn er schreibt: Die Situation von Aryzta war schon vor der Coronavirus-Krise ziemlich ungemütlich. Seither ist sie noch viel ungemütlicher geworden. Selbst bei radikalen Einschnitten ins operative Geschäft könnten sich diese als zu spät erweisen, so seine Befürchtung. Bertschy stuft die Aktien deshalb auch weiterhin mit "Reduce" und einem mageren Kursziel von 28 Rappen ein.
Verlierer der Woche ist Stadler-Rail-Chef Thomas Ahlburg. Er verlässt seinen Arbeitgeber gerade einmal etwas mehr als ein Jahr nach dessen vielgefeiertem Börsengang. Und das in gegenseitigem Einvernehmen, wie der Medienmitteilung entnommen werden kann. Für Ahlburg übernimmt niemand geringerer als Patron und Ankeraktionär Peter Spuhler, bis ein neuer Firmenchef gefunden ist.
Auch ich werde den Verdacht nicht los, dass Ahlburg bloss ein Bauernopfer ist. Denn rückblickend bleibt Stadler Rail den im Vorfeld des Börsengangs vom April letzten Jahres gemachten Versprechen vieles schuldig. Zuerst schrammte der Hersteller von Zugkompositionen weit an den letztjährigen Zielvorgaben vorbei, nun kassiert er auch noch die erst im März dieses Jahres kommunizierten diesjährigen Vorgaben.
Ich bleibe bei meiner Aussage von Mitte Februar:
Ob die Analysten ihre Kursziele für die Aktien nun mit dem Rotstift überarbeiten werden, wissen wir spätestens kommenden Freitag, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.
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