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Der für das Cross Asset Research der Société Générale tätige Albert Edwards ist bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Diesem Ruf macht er in einem aktuellen Kommentar einmal mehr alle Ehre.

Darin lässt der viel beachtete Stratege und notorische Pessimist kein gutes Haar an seiner Berufsgilde. Die Angst, daneben zu liegen, halte die meisten seiner Kollegen davon ab, sich mit ihren Prognosen zu stark von aktuellen Gegebenheiten zu entfernen. Und das, obschon die Finanzmärkte ganz offensichtlich stärkeren Schwankungen ausgesetzt seien, als die zahmen Prognosen es vermuten lassen würden.

Der Grund für diese vorsichtige Haltung liege auf der Hand: Weshalb ein übermässiges Risiko eingehen falsch zu liegen und dadurch den gutbezahlten Arbeitsplatz aufs Spiel setzen? Ganz besonders wenn man als Stratege eine erdrückend hohe Hypothek aufgenommen habe und die Kinder auf eine Tränen in die Augen treibend teure Privatschule schicke.

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen – so sollte man meinen. Edwards vertritt allerdings schon seit Jahren eine klare und von der gängigen Einschätzung seiner Berufskollegen ziemlich stark abweichende Meinung. Der Stratege rechnet aufgrund der stolzen Verschuldung sowohl in Nordamerika als auch in Europa mit japanischen Verhältnissen, sprich mit einer nicht enden wollenden Wachstumsflaute und anhaltendem Druck auf das Preisniveau und die Zinsen.

Zumindest was die wirtschaftliche Wachstumsflaute und die Preis- und Zinsentwicklung anbetrifft, scheint der Experte in Europa immer mehr recht zu bekommen. Einzig seine ebenfalls sehr gewagte Vorhersage, dass der amerikanische S&P-500-Index auf 425 Punkte einbrechen werde, hat sich bislang nicht bewahrheitet. Ganz im Gegenteil: Das Börsenbarometer klettert schon seit Monaten von einem Rekord zum nächsten.

Dennoch hält Edwards an seinem starken Untergewicht bei den Aktien fest. Die von ihm empfohlene Aktienquote liegt mit 30 Prozent deutlich unter der neutralen Gewichtung von 60 Prozent und am ganz unteren Ende der mit 30 bis 80 Prozent veranschlagten Bandbreite. Im Gegenzug rät er zu einer über der neutralen Gewichtung von 35 Prozent liegenden Anleihenquote von 50 Prozent und hält 20 Prozent in Barmitteln.

Der für Société Générale tätige Stratege reicht im aktuellen Kommentar eine weitere geradezu Aufsehen erregende Prognose nach. Er sieht den Dollar von derzeit 116 auf 145 Yen steigen, und das schon bald. Anders als in den USA und Europa zeige die quantitative geldpolitische Lockerung in Japan den gewünschten Effekt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil diese Massnahme im Land der aufgehenden Sonne nicht nur den Banken und den Reichsten helfe. Kaum in einem anderen Land sei das Gesamtvermögen derart gerecht verteilt. Alleine in Istanbul würden mehr Milliardäre leben als in ganz Japan, so Edwards.

Zumindest in den USA hat die quantitative geldpolitische Lockerung die Reichen noch reicher gemacht. 2007 gehörten dem wohlhabendsten Prozent der Bevölkerung 34,6 Prozent des gesamten Volksvermögens, der oberen Mittelklasse hingegen nur 10,9 Prozent und der Mittelklasse gerade mal 4 Prozent. 2012 gehörten dem wohlhabendsten Prozent der amerikanischen Bevölkerung bereits 39,8 Prozent des Volksvermögens. Vermutlich ist dieser Anteil seither weiter gestiegen.

Seit heute früh gibt es allerdings auch Zweifel am Erfolg der von der Bank of Japan verfolgten Geldpolitik. Im dritten Quartal schrumpfte die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt überraschend um 0,4 Prozent. Die Vorschusslorbeeren aus dem Hause Société Générale sind daher verfrüht. Den Entscheidungsträgern der Europäischen Zentralbank sollten die ernüchternden Nachrichten aus dem Land der aufgehenden Sonne eine Warnung sein. Dass die japanische Wirtschaft trotz Liquiditätsschwemme in eine Rezession gefallen ist, zeigt eindrücklich die Grenzen der Notenbankpolitik.

Um aufs Thema zurückzukommen: Kommentare wie jener von Edwards heben sich in erfrischender Weise vom sonstigen Einheitsbrei anderer Strategen ab. Deshalb sei ihm der eine oder andere Seitenhieb in Richtung seiner Berufskollegen verziehen. Ich weiss seit wenigen Wochen aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, sich mit der Meinung mit aller Kraft gegen den Konsens zu stemmen.