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Noch bis vor wenigen Wochen konnte man an den europäischen Aktienmärkten kaum etwas falsch machen. Von den tiefen Zinsen und den milliardenschweren Wertpapierkäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) angetrieben schienen Letztere nur eine Richtung zu kennen: die nach oben.
Doch wie das Leben so schreibt, folgte auf anfängliche Euphorie rasch einmal Katerstimmung. Denn in dem man auf Zeit spielt, löst man keine Krisen. Schon gar keine Schuldenkrise, wie Europa sie in den letzten Jahren erlebt hat. Das haben mittlerweile auch die Marktakteure begriffen.
Der breit gefasste Stoxx Europe 600 Index notiert heute wieder auf dem Stand von Mitte Januar, als erstmals Spekulationen rund um eine Ausweitung der Wertpapierkäufe der EZB auf europäische Staatsanleihen aufkamen. "Zurück auf Start" hiesse es, wäre die Börse nichts weiter als eine Partie "Monopoly".
Die letzten Wochen haben den führenden Zentralbanken und deren Entscheidungsträgern unmissverständlich die Grenzen der eigenen Zins- und Geldpolitik aufgezeigt. In China mündete der Versuch, die Binnenwirtschaft durch eine künstlich erzeugte Börsen-Hausse anzukurbeln, in einem Fiasko. Nach Jahren des ungezähmten Wachstums reicht dieses nicht mehr aus, die strukturellen Ungleichgewichte wettzumachen. Das treibt die Regierung in Peking zu immer neuen Massnahmen an.
Doch auch in Europa bleibt alles beim Alten. Die Geldschwemme der EZB mag zwar die Symptome der Schuldenkrise dämpfen. Um die Ursachen der Krise an der Wurzel zu bekämpfen, müsste sich die Politik allerdings auf unpopuläre und vermutlich sehr schmerzhafte Reformen verständigen. Es überrascht deshalb nicht, nimmt man sich den Problemen gar nicht erst oder dann nur sehr widerwillig an. Der faule Kompromiss rund um das überschuldete Griechenland steht stellvertretend für das Versagen der europäischen Wirtschaftspolitik.
Obschon der Stoxx Europe 600 Index seit seinem Rekordhoch von Mitte April um mehr als 14 Prozent zurückgefallen ist, machen die Banken und ihre Aktienstrategen weiterhin auf "heile Welt". Noch immer sind Kursrückschläge günstige Kaufgelegenheiten, so lautet der Tenor.
Nicht mehr ganz so einig sind sich die Experten bei ihren Branchenpräferenzen. Erst vergangene Woche stuften die Strategen von HSBC den europäischen Versicherungssektor um zwei Stufen von "Underweight" auf "Overweight" herauf. Auch der Transportsektor wird neuerdings mit "Overweight" nach zuvor "Neutral" empfohlen. Im Gegenzug wurden die europäischen Automobilhersteller von "Overweight" auf "Neutral" und die Halbleiterhersteller sogar von "Neutral" auf "Underweight" heruntergestuft. Mit diesen Anpassungen reagiert man bei der britischen Grossbank auf die verhalteneren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Mutiger sind da schon die für Société Générale tätigen Berufskollegen. Sie halten die Angst vor einer harten Landung der chinesischen Wirtschaft für übertrieben und erhöhen deshalb ihre Einschätzung für den europäischen Chemiesektor von "Underweight" auf "Neutral". Um dafür in den Kundenportfolios Raum zu schaffen, stufen sie den Immobiliensektor von "Overweight" auf "Neutral" herunter.
Die Strategen favorisieren derzeit die europäischen Bankaktien, weil sie in diesem Bereich einen Nachholbedarf bei der Schaffung von Aktionärswerten ausmachen. Die Automobil- und Chemiehersteller sollten den Experten zufolge von einer besseren Absatzentwicklung in Europa und den USA, rückläufigen Rohstoffpreisen und dem schwächeren Euro profitieren. Von Aktien europäischer Versorger, Getränkehersteller und Investitionsgüterunternehmen wird der Anlagekundschaft im Gegenzug abgeraten.
Den Eurostoxx 50 Index sieht man bei Société Générale bis Ende Jahr um 10 Prozent auf 3500 Punkte klettern. In den darauffolgenden 12 Monaten wird dem Börsenbarometer sogar einen Anstieg auf 4200 Zähler zugetraut, was aus heutiger Sicht einem Plus von 33 Prozent entspräche. Was den Swiss Market Index betrifft, finden die Strategen hingegen deutliche Worte: Aufgrund seines defensiven Charakters trauen sie dem Börsenbarometer bis Ende Jahr nur einen Anstieg um gut 5 Prozent auf 9200 Punkte zu. In den darauffolgenden zwölf Monaten rechnen die Experten dann sogar mit einem Rückgang auf 9000 Zähler. Zuversicht sieht anders aus.
Von der UBS Investmentbank wird Anlegern in Europa unbeirrt zum Kauf konjunkturabhängiger Aktien geraten. Nach dem jüngsten Rückschlag werden mit Telekommunikation, Transport und Software gleich drei dieser Sektoren von "Neutral" auf "Overweight" heraufgestuft. Bei der Grossbank setzt man dabei auf die Valoren von Vodafone, Deutsche Telekom, KPN, Telenor, Sky, Ryanair, IAG, PostNL, SAP, Atos, Software AG und Temenos.
Während die Strategen den Aktien aus den Bereichen Banken, Investitionsgüter, Geschäftsdienstleistungen, Technologie, Telekommunikation und Transport den Vorzug geben, raten sie der Anlagekundschaft von solchen aus den Bereichen Automobil, Getränke, Chemie, Nahrungsmittel, Güter des täglichen Bedarfs, Hotel und Freizeit, Papier- und Forstprodukte sowie Pharma und Biotechnologie ab.
Was die Branchenpräferenzen anbetrifft, so könnten diese unterschiedlicher nicht sein. Einig sind sich die Banken und ihre Aktienstrategen nur gerade bei den europäischen Bankaktien und was die Bevorzugung konjunkturabhängiger Sektoren betrifft.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass in den vergangenen Wochen vor allem Aktien aus diesen Branchen überdurchschnittlich starke Kursverluste zu beklagen hatten. Da drängt sich doch die Frage auf, ob das etwa mehr als nur ein Zufall ist.
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