Seine Pensionskasse habe bloss noch einen Umwandlungssatz von 4,8 Prozent, "ich werde daher praktisch alles Geld als Kapital beziehen". Das sagte Vorsorgeexperte Daniel Greber von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Anfang September im Video-Interview mit cash, angesprochen auf seine persönliche Situation. Er ist bei der Pensionskasse des Kantons Zürich versichert.
Greber ist kein Ausnahmefall. Die Rentenbezüger sind bei bei den angesparten Gelder aus der 2. Säule in der Schweiz zwar noch immer in der Überzahl. Gemäss einer Studie der Credit Suisse vom August 2018 beziehen bei der Pensionierung 51 Prozent die Rente, immerhin aber schon 31 Prozent das Kapital. Die restlichen 18 Prozent wählen eine Mischung aus Rente und Kapital. Eine eindeutige Tendenz Richtung Kapitalbezug könne heute zwar noch nicht festgestellt werden, meint die Credit Suisse. Dies könnte sich aber in Zukunft vor dem Hintergrund weiter sinkender Umwandlungssätze ändern.
Die Auszahlung der Altersvorsorge gewinnt in der Tat zunehmend an Attraktivität, weil der Druck auf dem Umwandlungssatz - er bestimmt über die Höhe der lebenslangen Rente - bestehen bleibt. Derzeit können angehende Rentner im Schnitt noch mit einem Umwandlungssatz von 5 Prozent rechnen. Das ist ein Durchschnittswert, der sich aus der Verzinsung des obligatorischen Bereiches (gesetzlich vorgeschriebene 6,8 Prozent für Einkommen bis 84'000 Franken) und dem überobligatorischen Bereich ergibt. Für diese Jahreseinkommen (über 84'000 Franken) kann die Pensionskasse den Umwandlungssatz deutlich tiefer ansetzen. Viele Kassen haben hier schon einen Satz von unter 5 Prozent.
Bei einem durchschnittlichen Umwandlungssatz von 5 Prozent müsste eine Person ab Pensionierungszeitpunkt länger als 20 Jahre leben, damit sich der Rentenbezug noch lohnt. Und bleiben die allgemeinen Zinsen so tief wie jetzt, dürfte der Umwandlungssatz die nächsten Jahre weiter sinken.
Banken buhlen um Pensionäre
Der Kapitalbezug gewinnt vor dieser Ausgangslage also an Bedeutung. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um angesparte Beträge von mehreren hunderttausend Franken, die von einem Tag auf den anderen auf dem Konto des Neupensionärs landen. Das macht Finanzinstitute natürlich hellhörig: Viele bemühen sich jüngst auffallend aktiv um Kunden, die kurz vor der Pensionierung und somit genau vor dem Entscheid "Rente oder Kapital" stehen.
"Pensionäre sind eine attraktive Zielgruppe für Banken", sagt Benjamin Manz vom Online-Vergleichsdienst Moneyland.ch zu cash. Banken empfehlten ihre Fonds teilweise schon Kunden mit einem Vermögen von ein paar zehntausend Franken. Beim Pensionskassenguthaben gehe es aber um noch viel mehr Geld, so Manz.
Mit entsprechenden Folgen: Die Banken hätten ein Interesse daran, den Kunden vom Kapitalbezug zu überzeugen, um dann entsprechende Fondsprodukte verkaufen zu können. "Dass die Banken zu einer vollständigen Renten-Lösung raten, scheint mir unwahrscheinlich", schlussfolgert Manz.
Das gestiegene Interesse der Banken an Pensionären mit plötzlich viel Kapital äussert sich in der intensivierten Aufklärungsarbeit der Institute - mit leichter Schlagseite für den Kapitalbezug. Beispiel UBS: Auf der Vorsorge-Webseite für Privatkunden werden die Vorteile eines Renten- oder Kapitalbezuges erläutert. Bei ersterem wird das sichere, monatliche und lebenslange Einkommen herausgestrichen. Allerdings betrage eine Hinterlassenerente bloss noch 60 Prozent der urprünglichen Rente und es bestehe auch kein Inflationsschutz.
Bei einem Kapitalbezug geniesse man für die individuelle Finanzplanung einen grösseren Handlungsspielraum. "Sie können Ihr Geld frei anlegen, tragen so aber auch ein gewisses Risiko bei Ertragsschwankungen". Und im Todesfall gehe das nicht verbrauchte Guthaben vollständig an die Erben - "was bei einer Rente nicht der Fall ist." Beim Kapitalbezug komme man überdies in den Genuss eines reduzierten Steuersatzes.
Argumente für die Rente
Das Wichtigste für Pensionäre bei einem Kapitalbezug ist aber - nebst einer Ausgabe- und Budgetdisziplin - ein Mindestmass an Finanzwissen und Finanzplanung. Umfragen zeigen jedoch immer wieder, dass es damit bei einem grossen Teil der Bevölkerung hapert. Dabei hätte man mit einem solchen Wissen die Voraussetzungen, mit Anlageberatern einer Bank auf Augenhöhe zu diskutieren oder das Geld selber anzulegen zu können.
Schliesslich muss ein ansehnlicher Geldbetrag irgendwo deponiert werden. Das ist im weiter zu erwartenden Tiefzinsumfeld nicht ohne Tücken. Bleibt das Geld auf dem Privatkonto, wird es kaum noch verzinst oder unterliegt je nach Bank sogar einem Negativzins. Und kommt es in den nächsten Jahren zu einer erneuten Krise mit stärkeren und längeren Einbrüchen an den Aktienmärkten, bliebe dies nicht ohne erhebliche Konsequenzen für Teile des Kapitalbezuges, die in Aktien oder entsprechende Anlagevehikel investiert wurden.
Trotz sinkendem Umwandlungssatz der Pensionskassen wird die Rente ihren Reiz erhalten. Das hat durchaus ganz einfache Gründe: cash- und Sonntagsblick-Kolumnist Claude Chatelain - ein Finanzfachmann, der sich die Verwaltung des eigenen Vermögens durchaus zutrauen würde - ist ein Verfechter des Rentenbezuges, wie er vor einem Monat schrieb. Mit dieser Wahl könne er einfach ruhiger schlafen. Oder anders ausgedrückt: Die Rente bietet eine bessere Planbarkeit und mehr Sicherheit.