cash.ch: Weshalb steigen die Hypothekarzinsen jetzt so stark an?
Florian Schubiger: Hauptgrund für die aktuell rasant steigenden Hypothekarzinsen ist die höhere Inflationserwartung und die daraus resultierenden gestiegenen Kapitalmarkzinsen. Das verteuert die Refinanzierungskosten für Kreditgeber – insbesondere für Banken – deutlich. Mit angekündigter strafferer Geldpolitik signalisieren auch die Notenbanken, dass sie für künftige Zinserhöhungen bereit sind.
In der Schweiz wird weiterhin nicht mit einer höheren Inflation gerechnet. Könnte man sich bei Hypotheken nicht weiterhin entspannt geben?
Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass die Schweiz geldpolitisch keine Insel ist. Erhöht die EZB die kurzfristigen Zinsen deutlich, wird die SNB dankend nachziehen. Die hiesigen Währungshüter sind sich der gefährlichen Nebenwirkungen der für die Schweiz (zu) tiefen Zinsen sehr wohl bewusst. Zudem gilt es zu beachten, dass die Notenbanken vor allem die kurzfristigen Zinsen beeinflussen können. Bei den langen Laufzeiten spielt der freie Markt besser.
Spüren Sie eine gewisse Unruhe bei Hypothekarnehmerinnen und -nehmern?
In den vergangenen zwei, drei Wochen scheint die sich anbahnende Zinswende bei den Leuten angekommen zu sein. Gerade für Immobilienbesitzer ist sie zu einem sehr wichtigen Thema geworden. Wir erhalten aussergewöhnlich viele Beratungsanfragen diesbezüglich und auf unserer online-Plattform Hypotheke.ch haben wir aktuell extrem viele Abschlüsse. Ganz nach dem Motto 'Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach' suchen viele Hypothekarnehmer jetzt den Abschluss.
Sind dabei vor allem Festhypotheken gefragt, die längerfristig einen gleichbleibenden Zins ermöglichen?
Ja, die meisten möchten sich langfristig anbinden. Bei uns konfigurieren aktuell fast 60 Prozent der Userinnen und User eine zehnjährige Festhypothek. Saron-Hypotheken werden seit Anfang Jahr kaum mehr abgeschlossen. Dieser Trend gilt vor allem für selbstbewohntes Wohneigentum. Er ist auch bei Renditeimmobilien zu erkennen, aber weniger ausgeprägt.
Kann man eine Art 'Torschlusspanik' beobachten?
Ich würde noch nicht von einer Panik sprechen, aber die Stimmung hat sich verändert. Bis Ende letzten Jahres gingen viele Hypothekarkunden generell davon aus, dass die Zinsen nach temporären Anstiegen wieder fallen würden. Ich musste sie manchmal darauf hinweisen, dass Zinsprognosen sehr schwierig sind und dass die Zinsen auch plötzlich und unerwartet steigen können. Jetzt ist, so scheint mir, die Lage eher umgekehrt: Ich muss Hypothekarnehmer bei manchmal fast zu grossen Ängsten eher beruhigen.
Offenbar halten nur 10 bis 20 Prozent der Hypothekarkunden Geldmarkthypotheken wie jene, die auf dem Saron basieren. Doch diese sind immer noch sehr günstig. Raten Sie jetzt zu einer Verlagerung in Festhypotheken?
Eine pauschale Antwort diesbezüglich ist schwierig. Ähnlich wie beim Geldanlegen kommt es bei diesem Entscheid auf die Risikofreudigkeit und die Risikofähigkeit an. Kommt jemand bei deutlich steigenden Zinsen in einen finanziellen Engpass, dann sollte eine Festhypothek abgeschlossen werden. Die Zinsen sind immer noch tief und der Aufpreis im Vergleich zu einer Saron-Hypothek in meinen Augen verkraftbar. Oder anders ausgedrückt: Die Versicherung gegen steigende Zinsen ist im langfristigen Vergleich immer noch günstig.
Ist jemand finanziell auf Rosen gebettet und rauben ihr oder ihm auch stark steigende Zinsen nicht den Schlaf, dann kann mit kurzlaufenden Hypotheken unter Umständen Geld gespart werden. Bei der Betrachtung sehr langer Zeithorizonte fährt man mit Saron-Hypotheken mit hoher Wahrscheinlichkeit am günstigsten.
In den vergangenen Jahren schon ist man gut gefahren mit Geldmarkthypotheken. Warum soll sich dies jetzt, bei einem immer noch sehr tiefen Zinsumfeld, ändern?
Wir haben eine äusserst lange Phase fallender Zinsen hinter uns. Da liegt es auf der Hand, dass kurze Laufzeiten günstiger waren. Bekanntlich ist man im Nachhinein immer schlauer. Kurz- und mittelfristig glaube ich auch nicht an massiv höhere Zinsen. Bleibt die weltweite Inflationstendenz aber hartnäckig, schwappt dies früher oder später automatisch auf die Schweiz über. Und bekanntlich sind höhere Leitzinsen für Notenbanken das beste Instrument, um zu hohe Inflation zu bekämpfen. Weil eine langfristige Prognose in meinen Augen aber kaum möglich ist, sollte die Wahl der Hypothekarstrategie wie erläutert vor allem von den finanziellen Eckwerten und der persönlichen Risikoaversion eines Immobilienbesitzers abhängen. Die Hypothek kann gerade in der aktuellen geldpolitischen Situation auch als Steuerungsinstrument bei der Gesamtvermögensorganisation dienen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Ein Beispiel: Wer Geld anlegt weiss, dass ein verlässlicher Vermögensschutz gegen Inflation sehr wichtig, aber nur schwer zu erreichen ist. Schliesst jemand heute eine langfristige Hypothek ab, entwertet sich diese Schuld durch einen künftigen Inflationsanstieg. Durch die sogenannte Inflationierung der Hypothekarschuld kann es gelingen, das Gesamtvermögen zu diversifizieren, indem sich die Schulden bei steigender Inflation real betrachtet abwerten.
Wie ordnen Sie den deutlichen Anstieg der Hypothekarzinsen seit Ende Dezember im grösseren Zusammenhang ein?
Wir sind nach einem Abwärtstrend mit dem Tiefpunkt am 20. Dezember 2021, wo unser Hypothekenindex bei einem Zins von 1,02 Prozent lag, auf ein neues Zweijahreshoch gestiegen. Das bedeutet, dass der Hypothekenindex in nur 56 Tagen von 1,02 Prozent im Dezember um 0,34 Prozentpunkte auf heute 1,36 Prozent gestiegen ist. Das sind bei Hypotheken grosse Zinsveränderungen, die es nur selten gibt.
Also doch eine aussergewöhnliche Situation?
In den letzten zehn Jahren gab es nur eine Zinserhöhung, die gleich schnell und in ähnlicher Ausprägung erfolgte. Das war zwischen Anfang Mai und Ende Juni 2013. Auch im Jahr 2015 hat es einen vergleichbar starken Anstieg um 0,36 Prozentpunkte gegeben. Der Anstieg ging jedoch im Vergleich gemässigt vonstatten. Er dauerte 141 Tage, danach sind die Zinsen wieder gefallen. Beeindruckend ist beim aktuellen Anstieg nicht in erster Linie die Ausprägung, sondern vor allem die Geschwindigkeit.
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der Hypothekarzinsen in der nächsten Zeit ein?
Sehr kurzfristig betrachtet gehen wir von weiterhin steigenden Hypothekarzinsen aus. Die SWAP-Sätze, welche bei der Berechnung der Hypothekarzinsen eine zentrale Rolle spielen, zeigen immer noch nach oben. Die Hypothekarzinsen reagieren erfahrungsgemäss leicht verzögert. Mittel- und langfristig dürfte die Inflationserwartung der Marktteilnehmer entscheidend für die weitere Zinsentwicklung sein. Wer also die Hypothekarzinsen verfolgen will, sollte immer auch ein Auge auf die potenzielle Inflation werfen.
Florian Schubiger ist Partner beim Finanzberatungsunternehmen Vermögenspartner und CEO der Vergleichsplattform Hypotheke.ch.