Ab dem 20. Januar steht Donald Trump als 47. Präsident zum zweiten Mal an der Spitze der wirtschaftlich und militärisch mächtigsten Nation der Welt. Für Gegner wie auch für Verbündete der USA beginnt damit eine Zeit der Unsicherheit. Denn erratische Regierungsweise stellt nicht nur für den politischen Betrieb in Washington eine Herausforderung dar, sondern ist gleichzeitig auch die Achillesferse vieler Regierungen, Wirtschaftsvertreter und Finanzmarkt-Akteure rund um den Globus. Neigen sie doch dazu, sich zu sehr auf den erwünschten optimalen Output zu fokussieren und unangenehme aber ebenso mögliche Ergebnisse auszublenden. Heisst im Falle von Donald Trump der verbreitete Gedanke, dass die angedrohten Strafzölle und handelspolitische Konfrontationen bestimmt nicht in befürchtetem Ausmass bevorstünden. Die Suppe werde schliesslich immer heisser gekocht wie gegessen und letztlich gehe es Trump ja immer um einen Deal, richtig?

Trump 2.0: Es spricht wenig für Mässigung

Diese Sichtweise ist nicht ungefährlich. Sie verkennt dreierlei: Erstens ist «America First» Trumps oberste Maxime und er ist geradezu besessen von einem neuen «Golden Age». Dafür wird er ungeachtet weltwirtschaftlicher Kollateralschäden alles unternehmen. Und wenn Trump der Meinung ist, ein umfassendes Strafzollregime zähle zu den geeigneten Massnahmen, dann werden diese auch erhoben. Die Obsession eines erneuten goldigen US-Zeitalters ist kaum Verhandlungsmasse bei seinem Deal-Making.

Zweitens braucht man nur zurück zur ersten Amtszeit Trumps zu schauen. Handelskrieg? Kaum im Amt, trat der Republikaner diesen mit voller Wucht los. Seine Vorstellung von fair und unfair verteidigte er entgegen allen internationalen Entrüstungen und Protesten aus dem eigenen Umfeld mit kompromisslosem Protektionismus. Warum sollte Trump in seiner zweiten Amtszeit einen gemässigteren Kurs fahren?

Alles andere als ein «Versehen»

Womit wir beim dritten Punkt angelangt wären: Nicht nur ist es Tatsache, dass US-Präsidenten während ihrer zweiten Amtszeit grundsätzlich weniger kompromissbereit sind, sondern es ist ebenso Fakt, dass Donald Trump auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Popularität zum zweiten Mal ins Weisse Haus einziehen wird. Sein Wahlsieg war weder eine wackelige Zitterpartie wie 2016, noch lässt sich länger von einem Ausrutscher der Geschichte sprechen. Nach vier Jahren Präsidentschaft, nach weiteren vier Jahren Omnipräsenz in den Medien, nach Gerichtsprozessen, Schlammschlachten und einem unversöhnlich geführten Wahlkampf war und ist Donald J. Trump für niemanden in den USA ein unbeschriebenes Blatt. Die Amerikanerinnen und Amerikaner wählten ihn im vollen Bewusstsein um seine Person. Und dies mit einer Deutlichkeit, die nicht nur eine Niederlage, sondern eine regelrechte Demütigung der Demokraten bedeutetet.

Keine Wiederwahl-Überlegungen mehr, ein beeindruckendes Wahlergebnis und eine republikanische Mehrheit in beiden Kongresskammern – Trump verfügt damit über eine Ausgangslange, die einem Persilschein gleicht. Unter diesen Vorzeichen auf eine Mässigung des streitlustigen Präsidenten zu setzen, erscheint etwas blauäugig.

Die Welt ist ab dem 20. Januar somit mit einem Realitäts-Check konfrontiert, dem ein Katerstimmungspotenzial innewohnt. Es droht ein hartes Erwachen aus der flauschigen Traumwelt – und zwar nicht nur hinsichtlich Donald Trump. Der Wunsch als Vaters des Gedankens ist vielmehr so verbreitet, dass die eine oder andere Konsternation nicht verwunderlich wäre.

Hoffen auf ein Fussfassen der KI

Beispiel Finanzmärkte: Der KI-Boom an den Aktienbörsen nahm 2024 so richtig Fahrt auf und scheint weit von einem Verebben entfernt zu sein. Und das obschon Bewertung und tatsächlicher Gewinn der entsprechenden Unternehmen immer weiter auseinanderklaffen. So kletterten allein im vergangenen Jahr die Aktienkurse der Magischen 7 um durchschnittlich 67 Prozent, während die entsprechenden Gewinne um 30 Prozent zulegten. Dass der Rally aber trotzdem (noch) nicht der Schnauf ausgeht, hat viel mit der Hoffnung zu tun, dass die KI-Welle endlich auf weitere Wirtschaftsbereiche jenseits der Big Tech überschwappen möge. Wird dieses Fussfassen 2025 gelingen? Man wird sehen.

Taiwan: Wiederholt sich die Geschichte?

Beispiele für einen anstehenden Realitäts-Check gibt es aber auch abseits der Finanzmärkte. In der Geopolitik etwa. So scheint die Welt bewusst wegzuschauen, wenn es um Chinas Taiwan-Absichten geht. Dass Peking seit je nicht den geringsten Hehl daraus macht, seine Interessen bezüglich der Insel mit allen Mitteln durchzusetzen wollen, dass die chinesischen Provokationen im südchinesischen Meer immer häufiger und unverfrorener stattfinden, dass grossangelegte Militärmanöver der chinesischen Streitkräfte offen den Charakter von Blockade- und Invasionsübungen aufweisen – die Internationale Gemeinschaft reagiert mit bemerkenswerter Gleichgültigkeit, die an ein eigentliches Appeasement erinnert.

Dies ist insbesondere aus europäischer Sicht verwunderlich. Denn trotz vorausgehender eindeutiger Rhetorik seitens Moskaus, trotz der gewaltsamen Annektierung der Krim, ja selbst trotz massiven russischen Truppenaufmarsches an der ukrainischen Grenze reagierten die Europäer erstaunt, als Russland vor drei Jahren schliesslich in die Ukraine einfiel. Vor diesem Hintergrund muss die Frage gestattet sein, ob sich die Geschichte im Falle Taiwans wiederholt. Die Frage ist aber derart unbequem, dass man ihr lieber aus dem Weg geht. Denn ruft man sich in Erinnerung, welche kurzfristigen Verwerfungen allein schon der Überfall auf die global-wirtschaftlich unbedeutende Ukraine verursachten, mag man sich die Auswirkungen gar nicht vorstellen, wenn die zweitgrösste Volkswirtschaft den mit Abstand wichtigsten Chiphersteller angreifen sollte. Klar ist jedoch: Die Kopf- in-den-Sand-Taktik ist angesichts des möglichen Impacts einer Situationsverschärfung wenig angemessen.

Energiewende: Europas (Alb-)Traum

Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Dies scheint oft auch das Kredo bei der Energiewende zu sein. An hoch gesteckten Ambitionen mangelte es insbesondere der europäischen Politik nicht. Doch der Realitäts-Check ist auch in diesem Themenfeld unausweichlich, wenn er nicht bereits eingesetzt hat. Schleppende E-Auto-Verkäufe, die ohne staatliche Subventionen kaum vom Fleck kommen. Eine Automobil-Industrie, die einen Grossteil ihrer Produktionsinfrastruktur voreilig auf die Elektromobilität umstellte. Ein Elektrizitätsnetz, das in weiten Teilen zunehmend mit der dezentralen und schwankenden Stromerzeugung durch Sonne- und Windenergie überlastet ist. Immer rigidere Nachhaltigkeitsvorschriften, die für die Unternehmen zum bürokratischen Albtraum werden. Und als Konsequenz aus all dem eine europäische Industrie, die unter nicht konkurrenzfähigen Energiepreisen ächzt und in einem Regulierungsdickicht zu ersticken droht.

Chinas Wirtschaftssystem in der Sackgasse

Die Distanz zwischen Wunsch und Realität ist auch in China beträchtlich. Dort harrt die seit für Jahren gärende und spätestens seit dem Evergrande-Fiasko akut gewordene Immobilienkrise weiterhin einer Lösung und lähmt damit das Wirtschaftswachstum. Zwar klammert sich Peking und viele Investoren an die Hoffnung, die angekündigten Zinssenkungen der Chinesischen Zentralbank könne der Konjunkturschwäche entgegenwirken. Doch angesichts der Dauer, für welche die Immobilienkrise die zweitgrösste Volkswirtschaft umklammert, wirken die Stützungsmassnahmen verzweifelt. Denn sie sind wenig wirkungsvoll gegen das Grundproblem eines auf extrem hoher Sparquote (und entsprechend schwachem Binnenkonsum) und gleichzeitig enormen Exportüberschuss beruhenden Wirtschaftssystems. Und sie sind mit Bestimmtheit machtlos gegen ein verschärftes US-Strafzollregime. Insofern besteht der Realitäts-Check für China in nichts weniger als der Frage, ob Peking die Sackgasse anerkennt und ob das Anstreben eines höheren Privatkonsums mehr als nur ein Lippenbekenntnis ist. Da eine Stärkung der Konsumenten über kurz oder lange auch mit deren politischer Bedeutungszunahme einhergeht, ist die Antwort durchaus offen.

Realitäts-Checks, wohin man auch schaut. Einige der Unsicherheiten dürften sich im Laufe des neuen Jahrs auflösen. Andere wiederum werden über 2025 hinaus andauern. Das gilt insbesondere für die Schweiz. Zwar ist in unserem Land aufgrund des direktdemokratischen Systems ein eigentliches Vogel-Strauss-Verhalten kaum möglich. Mehrmals im Jahr bezieht der Souverän auf allen Staatsebenen zu mal gewichtigeren, mal zu weniger gewichtigeren Fragen Stellung an der Urne. Der buchstäbliche Elefant im Raum verhält sich aber 2025 eher unauffällig: Die Beziehungen der Schweiz zur EU werden voraussichtlich erst 2026 im Parlament hitzig diskutiert und die drei Volksinitiativen (ein Zustandekommen vorausgesetzt), welche das nun mühselig ausgehandelte Abkommen endgültig zur Makulatur verkommen lassen könnten, gelangen ebenfalls frühestens im kommenden Jahr zur Abstimmung. Vor einem eigentlichen Realitäts-Check ist also auch die Schweiz nicht gefeit. Sie hat nur eine etwas längere Schonfrist.