Ein Grund dafür ist der Geburtenrückgang infolge der Pandemie in bestimmten Ländern, der den Trend beschleunigen und zu einem dauerhaften Problem führen könnte. Selbst in bestimmten afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern, in denen die Geburtenraten historisch hoch sind, hat sich die Zahl der Neugeborenen stärker der Reproduktionsrate von 2,1 Kindern pro Frau angenähert. Vor diesem Hintergrund könnte die Weltbevölkerung ihren Höchststand bereits um 2050 erreichen.
Überschreiten des demografischen Point of No Return
Aber was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn weniger Menschen auf der Erde leben? Die moderne Welt war noch nie in dieser Situation, wir würden also gewissermassen einen „demografischen Rubikon“ überschreiten. Die demografische Entwicklung beeinflusst, was Menschen kaufen, und damit das Umsatzpotenzial von Unternehmen. Aus Ökonomen-Perspektive unterstützen demografische Daten die Geldpolitik und ermöglichen es, für das Wohlergehen nachfolgender Generationen vorzusorgen.
Ich ziehe es vor, die Länder einzeln zu betrachten, da zwischen ihnen viele und wichtige kulturelle und politische Unterschiede bestehen. In den USA ist der demografische Trend im Vergleich zu anderen Industrieländern günstig für das Wirtschaftswachstum, obwohl die Geburtenraten seit den 1960er Jahren schnell auf das aktuelle Niveau von 1,7 gesunken sind. Dieser Wert mag niedrig scheinen, ist aber höher als in Europa, Japan und anderen Industrieländern. Ich glaube, dass der Rückgang der US-Bevölkerung weniger gravierend ausfallen wird, auch aufgrund einer relativ liberalen Einwanderungspolitik. Daten zeigen, dass Einwanderer in der Regel mehr Kinder haben.
Japan ist wahrscheinlich das am besten erforschte Beispiel einer schrumpfenden Gesellschaft. Die Bevölkerung des Landes geht seit mehreren Jahrzehnten zurück, und die Erfahrung zeigt, wie schnell sich dabei ein Schneeballeffekt entwickeln kann. Premierminister Fumio Kishida nannte den Trend „die schwerste Krise, mit der unser Land konfrontiert ist“.
Die meisten Menschen leben in Ländern mit Geburtenraten, die unter der Reproduktionsrate liegen
Chinas Bevölkerungsrückgang hat gerade erst begonnen, aber ich gehe davon aus, dass das Land zukünftig mit ähnlichen Herausforderungen wie Japan konfrontiert sein wird. Wichtig wird sein, wie die chinesische Regierung darauf mit Konjunkturprogrammen und in Bezug auf Produktivitätserwartungen reagiert. In gewisser Beziehung könnte China grössere Probleme bekommen als Japan, da der Bevölkerungsrückgang hier bei einem wirtschaftlichen Entwicklungsstand beginnt, der viel niedriger ist als der japanische bei Beginn der dortigen Schrumpfung. China beendete 2016 seine Ein-Kind-Politik und hat seitdem finanzielle Anreize für Paare eingeführt, mehrere Kinder zu haben. Bisher hat dies jedoch nicht gefruchtet.
Ich sage nicht, dass es unmöglich ist, demografische Trends umzukehren. Wahr ist aber auch, dass viele Länder des globalen Nordens bereits vergeblich versucht haben, den Bevölkerungsrückgang aufzuhalten. Dabei haben sie so ziemlich alles von finanziellen Anreizen bis hin zu Kinderbetreuungsprogrammen aufgeboten – mit geringem bis keinem Erfolg.
Durch die schrumpfende Bevölkerung in China könnte die Wirtschaft in Ländern, für die der Handel mit dem Reich der Mitte wichtig ist, etwa Australien und südostasiatische Länder, langsamer wachsen. Gleichzeitig ergeben sich aber auch Chancen, weil einige dieser Schwellenmärkte eine bessere demografische Entwicklung aufweisen und dadurch Anreize entstehen könnten, Teile von Lieferketten zurück ins eigene Land zu holen.
Sinkende Bevölkerung wirkt sich negativ auf das Wachstum aus
Ökonomen befassen sich aus gutem Grund mit der demografischen Entwicklung. Einfach ausgedrückt hängt das langfristige Wirtschaftswachstum eines Landes stark von zwei Faktoren ab: dem Bevölkerungswachstum und der Produktivität als Mass für die Effizienz menschlicher Wirtschaftstätigkeit.
Nachhaltiges Wachstum führt letztlich zu einem Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens – ein wichtiger Indikator für die allgemeine Gesundheit einer Wirtschaft. In den vergangenen Generationen sind Einkommen und Lebensqualität für einen grossen Teil der Weltbevölkerung gewachsen.
Die offensichtlichste Konsequenz des Bevölkerungsrückgangs zeigt sich darin, dass mehr Menschen in den Ruhestand gehen und im Verhältnis weniger Menschen erwerbstätig sind. Dies kann zu einem Ungleichgewicht führen, da die Staatseinnahmen aus Steuern sinken und die Ausgaben für Pensionäre steigen. Wenn dies geschieht, neigen junge Menschen dazu, das betreffende Land zu verlassen, was das Problem weiter verschärft.
Auch für Branchen von Konsumgütern über Gesundheitswesen bis hin zum Wohnungsbau ergeben sich weitreichende Konsequenzen. Speziell im letztgenannten Bereich könnte sich die Angebotsknappheit weiter erhöhen, da der Arbeitskräftemangel und die Tatsache, dass mehr Menschen im Alter in ihrem Eigenheim bleiben, statt es zu verkaufen, für langfristig hohe Immobilienpreise sorgen. Für Unternehmen ist entscheidend, dass sie sich fortlaufend solchen Entwicklungen anpassen.
Anleger konzentrieren sich richtigerweise auf das Gesundheitswesen, da aufgrund sinkender Geburtenraten, längerer Lebenserwartung und steigender Lohnkosten in diesem Bereich Innovationen dringend benötigt werden.
Preisverzerrung
Es mag unsinnig erscheinen, gerade jetzt von Deflation zu sprechen, da seit einem Jahr die Zentralbanken weltweit gegen schnelle Preisanstiege kämpfen. Japan präsentiert jedoch eine überzeugende Fallstudie dazu, wie demografische Entwicklungen zu Deflation bzw. sinkenden Preisen führen können.
Und zwar aus einem einfachen Grund: In Japan sinkt täglich die Bevölkerungszahl – und damit auch die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, was natürlich die Preise sinken lässt. In diesem Szenario sind Konjunktureinbrüche oder Rezessionen wahrscheinlicher, und die typischen Werkzeuge der Zentralbanken zur Bekämpfung von Abschwüngen, wie etwa Zinssenkungen, entfalten weniger Wirkung. Die Bank of Japan führte 2016 eine Negativzinspolitik ein, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Diese Politik gilt jedoch als weitgehend gescheitert, da sich das BIP seit den frühen 1990er Jahren insgesamt schwach entwickelte.
Deflation ist ein Problem, mit dem keine Zentralbank konfrontiert sein möchte. Fallende Preise bedeuten stagnierendes Wachstum, schwacher Konsum und insgesamt Pessimismus in Bezug auf die weitere Entwicklung.
Japan ist nur ein Beispiel für mögliche Folgen demografischer Entwicklungen. Es gibt auch einflussreiche Ökonomen, die die Ansicht vertreten, dass Bevölkerungsrückgang zu strukturell höherer Inflation führt, da der Arbeitskräftemangel Löhne und Produktionskosten in die Höhe treibt.
Roboter als Rettung?
Es kommt derzeit zu einem unbeabsichtigten Aufeinandertreffen zweier Kräfte: Demografie und künstliche Intelligenz (KI). Diese beiden disruptiven Megatrends werden die Zukunft der Arbeit in Bereichen wie Gesundheitswesen, Fertigung oder Handel verändern.
Man könnte beim Blick auf die demografischen Trends glauben, dass sie sich weltweit ausschliesslich negativ auswirken werden. Manchen Stimmen geben aber zu bedenken, dass weniger Menschen auch weniger Belastung für die Umwelt bedeuten. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und Kohlendioxidemissionen: Steigt die Wirtschaftstätigkeit, steigen auch die CO2-Emissionen.
KI könnte eine neue Ära der Produktivitätssteigerung einläuten, weshalb für wirtschaftliches Wachstum möglicherweise weniger Menschen gebraucht werden als in früheren Zeiten.
Es ist heute noch zu früh, dies aussagekräftig zu beurteilen, aber ich hoffe, dass KI die durch demografische Trends entstehenden Lücken füllen kann, deshalb einige der erwarteten Worst-Case-Szenarien nicht eintreten und wir stattdessen in einer Gesellschaft leben, die nicht nur widerstandsfähig, sondern auch sehr anpassungsfähig gegenüber potenziellen Schocks ist.