Der Internationaler Währungsfonds geht davon aus, dass die US-Wirtschaft dieses Jahr – trotz höherer Zinsen und mehr Inflation – mehr als doppelt so stark wachsen wird als die Wirtschaft anderer wichtiger Länder. Kürzlich hob der IWF seine US-Wachstumsprognosen für 2024 auf 2,7% an. Für Europa werden nur 0,8% erwartet. Ausserdem unterstützt der starke private Konsum in den Vereinigten Staaten die Konjunktur der übrigen Länder.

Früher sagte man gerne. „Wenn die USA niest, bekommt der Rest der Welt einen Schnupfen“. „Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein“, sagt Darrell Spence, Volkswirt bei Capital Group. „Wenn die US-Wirtschaft gut läuft, kann sie anderen exportorientierten Ländern helfen“.

Die USA und Indien geben der Weltwirtschaft Auftrieb

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Quelle: ZVG

Spence ist zuversichtlicher als der IWF. Aus seiner Sicht wird die US-Wirtschaft dieses Jahr um fast 3,0% wachsen, weil die Verbraucher weiter viel Geld ausgeben, der Arbeitsmarkt noch immer eng ist und Fertigungsunternehmen investieren, um ihre Lieferketten zu diversifizieren. Zugleich hat die noch vor einem Jahr stark verbreitete Rezessionsangst nachgelassen.

„Angesichts der starken Zinserhöhungen der Federal Reserve, hatten die meisten Marktteilnehmer gedacht, dass sich die USA jetzt mitten in einer schweren Rezession befinden würde“, fügt Spence hinzu. „Auch ich bin überrascht, dass die Konjunktur nicht stärker nachgelassen hat.“

Die Teuerung geht weiter zurück, wenn auch deutlich weniger schnell als anfangs.

Viel hängt davon ab, wie sich die Inflation weiter entwickelt. Die US-Wirtschaft ist weiter gestiegen – trotz der höheren Teuerung und einer so hohen Federal Funds Rate wie seit 23 Jahren nicht mehr. In den letzten etwa zwei Jahren ist sie von nahezu null auf 5,25%–5,50% gestiegen.

„Die USA haben sich gut an das neue Zinsumfeld angepasst“, sagt Anleihenportfoliomanager Pramod Atluri.

Die Fed hat bei der Inflationsbekämpfung erhebliche Fortschritte gemacht. Der Verbraucherpreisanstieg ist von 9,1% im Juni 2022 auf zuletzt 3%–4% zurückgegangen. Das ist allerdings noch immer mehr als die von der Fed angestrebten 2%, was Zweifel daran aufwirft, dass die Zentralbank dieses Jahr wirklich die Zinsen senken wird. Gemessen an ihren öffentlichen Äusserungen scheinen die Fed-Vertreter eher zu einer Senkung zu neigen.

Weltweit geht die Inflation zurück, aber sind deshalb auch Zinssenkungen gerechtfertigt?

Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell hat zwei mögliche Gründe für eine Zinssenkung genannt: ein unerwartet schwacher Arbeitsmarkt oder ein dauerhafter Rückgang der Inflation auf unter 2%. Wie Powell immer wieder betont, entscheidet die Fed „datenabhängig“.

Atluri ist zuversichtlich, dass sich die Inflation in der zweiten Jahreshälfte dem Ziel der Fed annähert. Das liegt vor allem daran, dass die Mietsteigerungen – einer der wichtigsten Ursachen für die noch immer recht hohe Inflation – weiter leicht nachlassen.

In anderen Ländern weltweit sind die Inflationserwartungen niedriger als in den USA, sodass die Zentralbanken dort ihre Zinsen schneller senken dürften. Europas Wirtschaft schwächelt. Ihr Wachstum liegt unter 1%. Die chinesische Wirtschaft leidet nicht nur unter dem Einbruch des Immobilienmarkts. Auch die Tatsache, dass die Volkswirtschaft nach fast 30 Jahren kontinuierlichem Wachstum ausgereift ist, belastet.

Emerging Markets: Indien im Aufschwung

Indien ist dagegen zum Star der Emerging Markets aufgestiegen. Nach den Prognosen des IWF wird die indische Wirtschaft in diesem Jahr 6,8% wachsen. Und gemessen am MSCI India Index haben indische Aktien in den letzten Jahren so gut abgeschnitten, wie kaum ein anderer Aktienmarkt.

Da weltweit seit dem Ende der Pandemie die Lieferketten diversifiziert werden, suchen viele Unternehmen in Indien nach zusätzlichen Produktionskapazitäten, da die Wirtschaft Chinas immer weiter reift. Beispielsweise ist Indien für Produzenten von Mobiltelefonen, Haushaltsgeräten, Pharma- und anderen Produkten, die bislang vor allem in China hergestellt wurden, eine tragfähige Alternative geworden.

China und Indien: Zweigeteilte Schwellenländer

Neben Indien befinden sich auch andere Emerging Markets im Aufwind. Die Infrastruktur wir immer schneller ausgebaut, neue Produktionszentren kurbeln die regionale Wirtschaft an, und die globale Energiewende veranlasst immer mehr ausländische Investoren, in immer mehr Schwellenländern anzulegen.

„Das Umfeld ist gut für Emerging Markets“, sagt Aktienportfoliomanager Brad Freer. „Multinationals diversifizieren ihre Lieferketten. Das ist eine Chance für Länder wie Indien, Mexiko und Indonesien, weil dadurch neue Investitionsmöglichkeiten für Fertigungsunternehmen aus den USA und Europa entstehen. Zugleich sind durch den starken Ausverkauf am chinesischen Aktienmarkt einige Marktführer mit hohen Cashflows attraktive Investmentziele geworden.“

Hinzu käme, dass die meisten Emerging-Market-Indizes gemessen an den KGVs so niedrig bewertet sind, wie seit zehn Jahren nicht mehr, sagt Freer, und die Zentralbanken vieler Schwellenländer hätten viel Spielraum für Zinssenkungen.

US-Präsidentschaftswahlen: Die ganze Welt schaut gespannt zu

Weltweit finden in diesem Jahr Wahlen statt, aber keine wird so genau beobachtete wie die Neuauflage des Duells zwischen dem aktuellen US-Präsidenten Joe Biden und dem früheren Präsidenten Donald Trump. Das Ergebnis könnte die politische Führung erheblich verändern und Veränderungen auslösen, die das Investmentumfeld nicht nur in den USA beeinflussen.

Viel hängt davon ab, ob der Gewinner ausreichend Unterstützung erhält, um auch anderen Kandidaten seiner Partei zum Sieg zu verhelfen, und sich eine Mehrheit sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus sichern kann – kurz gesagt davon, ob es eine rote oder blaue Welle geben wird. Wenn nicht, bleibt es beim Patt, sodass sich wenig ändern dürfte. Unabhängig vom Wahlausgang sollten sich Investoren auf vorübergehende volatile Phasen in den Monaten bis zur Entscheidung einstellen.

Welche Folgen die US-Wahlen für die Finanzmärkte haben könnten

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Quelle: ZVG

Ein klarer Sieg der Republikaner (rote Welle) könnte Banken, Gesundheitsunternehmen sowie Öl- und Gasunternehmen  vor allem aufgrund schwächerer Regulierungen zugutekommen, meint das Night-Watch-Team von Capital Group, eine Gruppe von Volkswirten, Analysten und Portfoliomanagern, die sich mit solchen Themen befassen. Eine blaue Welle, also ein klarer Sieg der Demokraten wiederum könnte günstig sein für Initiativen im Zusammenhang mit erneuerbarer Energie, Wachstumsprogramme für die Industrie und Telekommunikationsprojekte. Ausserdem würden dann neue staatliche Gelder für den landesweiten Ausbau der Breitbandnetze zur Verfügung gestellt.

Die Präsidentschaftswahlen werden ein Kopf-an-Kopf-Rennen. „Bis zu den Wahlen dauert es noch ein paar Monate“, sagt Matt Miller, Politikökonom bei Capital Group. „In der Politik ist das eine halbe Ewigkeit.“