Die Union mit Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat die Bundestagswahl gewonnen. Hochrechnungen zufolge landen CDU/CSU deutlich vor allen anderen Parteien und haben damit einen Wählerauftrag, die nächste Regierung auszuloten. Ob es für eine Koalition aus nur zwei Parteien reicht, hängt davon ab, ob FDP und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ins Parlament kommen. Beide liegen bei rund fünf Prozent. Wenn sie es schaffen, ist lediglich ein Dreier-Bündnis denkbar - politisch realistisch wären vor allem eine Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP oder eine Kenia-Koalition aus Union, SPD und Grünen.

CDU-Chef Merz strebt schnelle Verhandlungen an. «Es wird nicht einfach werden.» Deutschland werde aber wieder zuverlässig regiert, versprach der 69-Jährige vor jubelnden Anhängern in der CDU-Zentrale in Berlin. CSU-Chef Markus Söder sagte ihm eine Geschlossenheit der Union zu. «Es wird nicht ganz einfach werden», räumte auch er mit Blick auf die Koalitionsgespräche ein. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann kündigte eine Richtungsänderung an: «Die Menschen wollen einen Politikwechsel - und den wird es geben.» Man wolle eine stabile Regierung bilden.

Laut Infratest-Hochrechnung für die ARD kommen CDU/CSU auf knapp 29 Prozent. Die AfD kann mit fast 20 Prozent rechnen - ein Rekord. SPD und Grüne dürften auf 16,2 beziehungsweise 13,0 Prozent kommen. Bei den kleineren Parteien wird Die Linke mit 8,5 Prozent vermutlich die Fünf-Prozent-Hürde klar überspringen. Die FDP mit Spitzenkandidat Christian Lindner und das BSW müssen um einen Einzug in den Bundestag bangen - sie liegen laut ARD beide knapp unter fünf Prozent. Laut der Hochrechnung im ZDF liegt die FDP bei 4,9 Prozent, das BSW bei 5,0 Prozent.

Für die Union ist es trotz klarer Zugewinne noch das zweitschlechteste Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte

Der nächste Bundestag wird 630 Abgeordnete haben. Für eine Mehrheit sind entsprechend 316 Stimmen nötig. Fünf Fraktionen wird der Bundestag den Hochrechnungen zufolge mindestens haben, sieben wären mit FDP und BSW möglich. Ohne beide Parteien im Parlament würde es für eine Koalition aus Union und SPD reichen, nicht aber für Schwarz-Grün. Mit FDP und BSW im Bundestag gäbe es eine Mehrheit für eine Deutschland- oder Kenia-Koalition. Die Wahlbeteiligung lag laut ZDF bei 83 Prozent und damit deutlich höher als 2021 (76,4).

Für die Union ist es trotz klarer Zugewinne noch das zweitschlechteste Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte. Die SPD hat seit 1949 noch nie schlechter abgeschnitten. Erstmals wurde ein SPD-Kanzler nach nur einer Amtszeit abgewählt. Der Bestwert der AfD stand bisher bei 12,6 Prozent im Jahr 2017. Erstmals ist die 2013 gegründete Partei damit zweitstärkste Kraft im Bundestag. Politische Beobachter schliessen nicht aus, dass sie 2029 sogar stärkste Partei werden kann. Vor allem im Osten ist die AfD zu einer Volkspartei geworden.

Scholz: «Bitteres Wahlergebnis»

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einem «bitteren Wahlergebnis» für seine SPD. Die Sozialdemokraten hätten die Wahl klar verloren. Er trage für das Ergebnis Verantwortung. Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sagten nur zwölf Prozent der Befragten, Scholz wäre im Wahlkampf hilfreich gewesen. Ein Amtsbonus für den Kanzler war also nicht auszumachen. In einer Infratest-Umfrage gaben nur 30 Prozent an, Scholz sei dem Amt gewachsen. Bei der vorherigen Wahl 2021 waren es noch 66 Prozent gewesen. 82 Prozent sind mit der Ampel-Regierung von Scholz unzufrieden gewesen. Eine Kanzlereignung von Merz sehen 43 Prozent. 64 Prozent gaben allerdings an, es sei gut, dass er sich klar gegen irreguläre Einwanderung ausgesprochen hat.

Eine Koalition mit der in Teilen rechtsextremen AfD hat Merz ausgeschlossen. Im Wahlkampf hat er gesagt, bis etwa Ostern eine Regierung schmieden zu wollen. Der Sauerländer will einen schärferen Kurs in der Asylpolitik durchsetzen. Ausserdem will er die deutsche Wirtschaft nach zwei Rezessionsjahren wieder in Schwung bringen - mit weniger Bürokratie und niedrigeren Steuern. Die AfD bot sich als Koalitionspartner an. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch betonte, dass eine Regierungsbeteiligung der SPD kein Automatismus sei. Die Grünen sind nach Worten ihres Kanzlerkandidaten Robert Habeck bereit, sich auch an einer künftigen Regierung zu beteiligen.

Stimmen aus der Wirtschaft plädierten nun für eine schnelle Einigung auf eine Koalition. «Oberste Priorität sollte eine rasche Regierungsbildung haben, um eine Führungsrolle in Europa übernehmen zu können», sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft, Monika Schnitzer, zu Reuters. Auch BDI-Chef Peter Leibinger fordert Tempo: «Die deutsche Wirtschaft braucht sehr schnell eine handlungsfähige neue Bundesregierung mit stabiler Mehrheit in der demokratischen Mitte», sagte er. IG-Metall-Chefin Christiane Benner: «Wir haben keine Zeit mehr. Die Industrie und die Beschäftigten können nicht Monate auf klare Perspektiven warten.»

Wahlkampf kreiste um Migration und Wirtschaftsschwäche

Der kurze Winterwahlkampf war zuletzt geprägt von der Debatte über eine Begrenzung der Migration. Konkreter Auslöser war die Messerattacke von Aschaffenburg, wo ein Afghane, der als Flüchtling kam, einen zweijährigen Jungen und einen 41-jährigen Mann erstochen hatte. Merz hatte daraufhin gefordert, dass auch Asylbewerber an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden - was aus Sicht von Grünen und SPD gegen Europarecht verstossen würde. Scharfe Kritik hatte Merz auf sich gezogen, nachdem die Union im Bundestag einen Antrag zur Migrationspolitik mit Stimmen der AfD durchgesetzt hatte.

Zweites Thema im Wahlkampf war die schwächelnde Wirtschaft. Merz hat Steuersenkungen und radikale Änderungen beim Bürgergeld angekündigt. So sollen diejenigen, die nicht arbeiten, aber arbeiten können, kein Bürgergeld mehr bekommen. Die SPD will über eine Reform der Schuldenbremse staatliche Investitionen erleichtern. Ausserdem soll der Staat mit einem «Made in Germany»-Bonus Unternehmen bei Investitionen in Maschinen oder Fahrzeuge zehn Prozent der Kosten abnehmen.

Empörung löste die Einmischung der neuen US-Regierung in den Wahlkampf aus. Vizepräsident J.D. Vance hatte erklärt, es gebe keinen Platz für politische Brandmauern. Er nahm dabei indirekt Bezug auf die deutsche Debatte über eine Abgrenzung der Union von der AfD. Sowohl Merz als auch Scholz verbaten sich die Einmischung. US-Milliardär Elon Musk, ein wichtiger Berater von Präsident Donald Trump, hatte zudem mehrfach für die AfD geworben.

(AWP/Reuters)