Der deutsche Leitindex Dax stieg 2023 und 2024 um jeweils rund 20 Prozent auf inzwischen über 20,000 Punkte. Eine noch längere Serie mit jährlichen Gewinnen von mehr als einem Fünftel gab es zuletzt in den Jahren 2005-2007 - kurz vor der globalen Finanzkrise.

Von Reuters befragte Finanz-Experten erwarten daher in einem Normalfall-Szenario einen Anstieg des Dax um höchstens fünf Prozent bis Dezember 2025. «Ich glaube nicht an ein drittes so exorbitantes Jahr, keine Frage», sagt etwa Jürgen Molnar, Analyst vom Broker RoboMarkets. «Wir sind jetzt im Moment einer kurzfristigen, vielleicht auch mittelfristigen Blase, und die platzt. Die Frage ist nur, wie lange geht das?»

Bereits in den ersten beiden Monaten des neuen Jahres werden mit dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident am 20. Januar und der Bundestagswahl am 23. Februar wichtige Weichen für das Börsenjahr gestellt. Vor allem die von Trump angekündigten Reformen gelten als der wichtigste Unsicherheitsfaktor für die Börsen im kommenden Jahr.

«In der ersten Jahreshälfte könnte der Dax deutlich nachgeben, sollte Trump die erwarteten Steuersenkungen, Deregulierung und Zölle einführen», sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt bei der niederländischen Bankengruppe ING.

Wann kommen die Zölle?

Die bereits geschwächte europäische Konjunktur dürfte dabei zusätzlich leiden, da die Einführung neuer US-Importzölle auf europäische Waren die Exporte belasten wird. Der Zeitpunkt und die genauen Prozentsätze bleiben jedoch unbekannt. Trump hat angedeutet, dass er zu Verhandlungen bereit ist, wenn die anderen Länder ihm bei anderen Themen entgegenkommen - wie etwa bei der Drogenpolitik und den Massnahmen gegen die illegale Migration. «Deswegen ist das in gewissem Masse Kaffeesatzleserei», sagt Christian Lips, Chefökonom der NordLB.

Die Frage ist wichtig für den Dax, da viele im deutschen Leitindex gelistete Unternehmen einen grossen Teil ihres Gewinns in den USA erzielen. «Da muss man sich jedes einzelne Unternehmen anschauen», sagt Thomas Kruse, Chefanleger beim Vermögensverwalter Amundi Deutschland. So seien Trumps Zölle kein Problem für Firmen, die beispielsweise in den USA Dienstleistungen anbieten oder Software entwickeln. «Bin ich aber ein produzierendes Unternehmen, das in Mexiko investiert hat, dann bin ich davon natürlich betroffen.»

Experten sind sich einig, dass die US-Wirtschaft 2025 stärker wachsen wird als die europäische. Daher dürften die Aktien in den USA tätiger europäischer Unternehmen zunächst steigen, schreiben die Experten der Hamburger Privatbank M.M. Warburg. «Dies könnte sich im Jahresverlauf umkehren, sofern festzustellen ist, dass die Auswirkungen von Trumps Politik auf die europäische Wirtschaftsentwicklung nicht so gravierend sind wie befürchtet und die Zölle das Wirtschaftswachstum in den USA etwas einbremsen.»

Wichtig für die exportlastige deutsche Industrie ist auch die weitere Entwicklung in China. Experte Kruse mahnt zur Vorsicht: «China wächst selbst stark im Endproduktbereich. Das heisst, chinesische Unternehmen sind tendenziell sogar eher Wettbewerber, und nicht mehr nur Abnehmer unserer Produkte, wie sie es noch in den Jahren 2010-2020 waren.» Gleichzeitig dürfte sich das Wirtschaftswachstum in der Volksrepublik in den kommenden Jahren verlangsamen.

Es gibt auch Chancen

Experten sehen aber auch Chancen. Die Zinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) dürften etwa weiter sinken, während Trumps Zölle die Inflation in den USA in die Höhe treiben könnten. Dies würde der US-Notenbank Fed weniger Spielraum geben, die Geldpolitik zu lockern. Die deshalb zu erwartende Aufwertung des Dollars könnte europäische Unternehmen relativ unterstützen, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Privatbank Berenberg.

Als ein weiterer positiver Faktor gilt die Bundestagswahl im Februar. Nach dem Aus der Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP hoffen Marktteilnehmer nun auf die Bildung einer wirtschaftsorientierten Zwei-Parteien-Regierung. Dies dürfte vor allem den Firmen helfen, die einen grösseren Teil ihres Umsatzes in Deutschland erwirtschaften. «Wir sehen Potenzial, gerade bei kleineren Unternehmen, wie im MDax», sagt Luca Paolini, Chefstratege beim Vermögensverwalter Pictet.

Im Blick der Anleger steht auch die Möglichkeit eines Waffenstillstands im Krieg zwischen Russland und der Ukraine. «Beide Länder stehen sich relativ stark gegenüber und sind müde, kriegsmüde», sagt Kruse. «Und wenn man zwischen den Zeilen liest, dann klingt es beinahe so, als ob beide nicht unbedingt abgeneigt sind, Gespräche zu führen. Aber hier tatsächlich schon ein Ergebnis oder auch einen Zeitpunkt zu nennen, ist tendenziell zu früh.»

(Reuters)