Die Aktien von ABB haben seit Juni seitwärts tendiert, was angesichts des bestehenden Spannungsfelds zwischen einem deutlich verbesserten Margen- und Renditeprofil, einer ohnehin schon hohen Bewertung und wenigen Wachstumstreibern nicht überrascht. Dennoch ist die Kursentwicklung von ABB nicht enttäuschend. Im Vergleich zum rückläufigen Swiss Market Index (SMI) hat die Aktie sogar eine Überperformance gezeigt.

Kursentwicklung der Aktien von ABB.

Über die zukünftige Entwicklung herrscht unter Analysten Uneinigkeit: Laut Bloomberg gibt es acht Kaufempfehlungen, 23 Halteempfehlungen und sechs Verkaufsempfehlungen. Das durchschnittlich anvisierte Kursziel liegt bei 49,4 Franken, nur geringfügig über dem aktuellen Kurs.

Bernd Laux, Analyst bei der ZKB, sieht zunehmend schwierige Marktbedingungen aufgrund der rückläufigen Weltwirtschaft. Nach vielen Quartalen, in denen ABB die Erwartungen klar übertroffen hat, wurden diese zuletzt nur erfüllt. Eine erhoffte Erholung in den Sparten Maschinenautomation und Robotik sowie der Rückgang im Bereich E-Mobility haben sich nicht manifestiert.

Von den drei problematischen Bereichen steht das Robotikgeschäft am besten da, leidet jedoch unter zurückgefahrenen Investitionen in der Industrie – die Auslastung ist nicht ausreichend, um Kapazitätsanpassungen nach oben zu rechtfertigen. Die kriselnde Automobilindustrie spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in diesem Segment, und ABB spürt besonders in China verstärkte lokale Konkurrenz. Während ABB bei grossen, leistungsfähigen Robotern stark ist, fehlt es an Marktpräsenz bei kleineren Cobots und humanoiden Robotern.

Auch die Sparte E-Mobility steht vor Herausforderungen, insbesondere durch die geringeren Verkaufszahlen von E-Autos und den Durchbruch des Tesla-Standards bei Ladestationen in Nordamerika. Zudem hinkt ABB bei der Entwicklung neuer Produkte und der Überarbeitung des Portfolios hinterher, was auf eine fehlende Agilität und verschlafene Trends hinweist.

Dagegen glänzt die Sparte Elektrifizierung mit einer rekordverdächtigen Marge von 24 Prozent. «Seit vielen Quartalen weist diese ABB-Sparte hohe einstellige Wachstumsraten auf und gewinnt stetig Marktanteile», sagt Laux. Die Notwendigkeit zur Elektrifizierung und Dekarbonisierung der Prozesse sowie der Boom bei Rechenzentren aufgrund der Künstlichen Intelligenz treiben die Nachfrage nach ABB-Produkten in diesem Bereich.

CEO-Wechsel als Risiko?

Derweil bringt der CEO-Wechsel bei ABB Unsicherheiten mit sich: Seit dem 1. August ist der Norweger Morten Wierød neuer Chef, und der Erwartungsdruck ist enorm. Sein Vorgänger Björn Rosengren hat den Konzern in den letzten vier Jahren grundlegend umstrukturiert, mit 10'000 abgebauten Arbeitsplätzen, 45 geschlossenen Standorten und 200 gestoppten Projekten allein im ersten Halbjahr. Rosengren verlagerte die Entscheidungsgewalt in die Sparten, gab den 18 Spartenleitern weitgehende Freiheit und alleinige Ergebnisverantwortung. 

«In der Regel birgt ein CEO-Wechsel mehr Risiken als Chancen, besonders bei gut geführten und erfolgreichen Unternehmen wie ABB», schreibt Gael de Bray, Analyst der Deutschen Bank. Wierød hat jedoch eine starke Erfolgsbilanz: Er leitete den Geschäftsbereich Motion seit 2019 und den Geschäftsbereich Electrification seit 2022. Mit 25 Jahren Erfahrung bei ABB und tiefem Einblick in die Technologien und Kunden des Konzerns, bringt er optimale Voraussetzungen mit, um Wachstum und Margen weiter zu steigern.

Die Deutsche Bank bleibt aber auf der verhaltenen Seite und empfiehlt den Verkauf der ABB-Aktie mit einem Kursziel von 45 Franken. Akquisitionen dürften ein wesentlicher Bestandteil des Geschäftsbetriebs werden, wobei das Management eine Beschleunigung der Fusionen und Übernahmen erwartet. Ziel ist es, jährlich 1 bis 2 Prozent des Umsatzes durch Übernahmen zu steigern. Die Pipeline umfasst derzeit kleinere Geschäfte, und der neue CEO betonte, dass ABB nicht plant, massiv in den Softwarebereich einzusteigen. Das Management zeigt sich zufrieden mit der aktuellen Konzernstruktur, und Veräusserungen werden immer unwahrscheinlicher. Dies deutet darauf hin, dass ABBs Engagement in der Robotik und Maschinenautomation dauerhaft ist.

Eine zusätzliche Unsicherheit für viele Unternehmen hierzulande hat die US-Präsidentschaftswahl und der Sieg von Trump gebracht. Doch hier hat das Management von ABB vorausschauend auf die geopolitischen Entwicklungen reagiert: In einer Zeit, in der die Entwicklung und Produktion in Europa und der anschliessende Export in die USA schwieriger und kostspieliger werden, hat der Konzern seine regionale Präsenz, insbesondere in Nordamerika, ausgebaut. Die sogenannte «Self-Sufficiency-Ratio» liegt in den USA derzeit bei 75 bis 80 Prozent und soll laut Laux in einem Jahr 85 Prozent erreichen.

Drei Kennzahlen im Fokus

Der Markt betrachtet bei der ABB drei Kennzahlen: Erstens das Umsatzwachstum im Vergleich zum Vorjahr. Hier hat ABB gegenüber Siemens, Schneider Electric, Legrand, Eaton Corporation und Honeywell Schritt gehalten. «Bei der EBITA-Marge besteht noch Luft nach oben», so der ZKB-Analyst. Sowohl Schneider Electric als auch die grossen amerikanischen Konzerne liegen hier vor ABB. Auch der neue CEO Wierød sieht Verbesserungspotenzial. Der grösste Hebel liegt in den nicht optimal laufenden Geschäftsbereichen, die auf Kurs gebracht werden müssen, was Geduld erfordern wird.

Der Free Cash Flow, die dritte wichtige Kennzahl, sollte laut Laux wie zuletzt im Bereich von 3,6 bis 4 Milliarden Dollar pro Jahr liegen. Dies würde ABB ausreichend Mittel verschaffen, um Investitionen, organisches Wachstum, Dividendenerhöhungen, Akquisitionen und Aktienrückkäufe zu finanzieren – wobei die Prioritäten in dieser Reihenfolge gesetzt werden.

Die Ausgangslage für ABB ist nicht schlecht, aber auch nicht überwältigend gut. Man hat Siemens überholt, liegt aber hinter Schneider Electric, Eaton Corporation und Honeywell. ABB hat zur Spitzengruppe aufgeschlossen. Das Mandat für den neuen CEO lautet nun: Wachstumsbeschleunigung und Schliessen der Lücke zur absoluten Spitze.

Ein Einstieg in ABB erfordert im aktuellen Umfeld wohl einen längeren Atem. Ein weiterer Kursschub erfordert eine Trendwende bei Robotics, Machine Automation und E-Mobility. Gleichzeitig hält sich ABB im Vergleich zu anderen Industrie-Titeln gut. Der Fokus auf Elektrifizierung und Dekarbonisierung zahlt sich durch zyklusunabhängiges strukturelles Wachstum schlussendlich wohl aus.

ManuelBoeck
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