cash.ch: Wie erklären Sie sich den republikanischen Sieg in dieser Grössenordnung? Was haben die Demokraten falsch gemacht?

Anna Rosenberg: Die Ergebnisse spiegeln vor allem die Sorge vor der hohen Inflation wider, unter der viele Amerikaner derzeit leiden.

Trump als neuer Präsident: Was ist die unmittelbare Konsequenz für die geopolitische Gemengenlage?

Die Politik der Trump-Administration wird sich in bestimmten Bereichen mit der Biden-Administration überschneiden. Dies gilt zum Beispiel für die Haltung gegenüber dem Nahen Osten und China. Beide Seiten haben isolationistische Tendenzen und verfolgen eine „Make America Great Again“-Politik, die auf die Reindustrialisierung der Vereinigten Staaten abzielt. Die grössten Meinungsunterschiede in der Aussenpolitik bestehen hingegen in den Bereichen Handel, Klimawandel und fossile Brennstoffe, Russland-Ukraine-Krieg, US-Verbündete und Multilateralismus. 

Was bedeutet dies?

Es wird wahrscheinlich zu weiteren wirtschaftlichen Verwerfungen kommen, da Zölle gegen Verbündete und Feinde gleichermassen zu einem wichtigeren Instrument werden und zu Vergeltungsmassnahmen führen. Das westliche Bündnis und die transatlantischen Beziehungen werden wahrscheinlich darunter leiden. Positiv ist, dass ein Waffenstillstand in der Ukraine unter einer Trump-Regierung etwas wahrscheinlicher wird, was wiederum das geopolitische Risiko verringern könnte, das sich aus den wachsenden Beziehungen zu Russland, Iran, Nordkorea und China ergibt.

Trump will den Krieg in den Ukraine schnell beenden. Wie gross ist der Gewinn für Putin? 

Wir sollten nicht davon ausgehen, dass die Trump-Präsidentschaft gleichbedeutend mit einem Gewinn für Putin ist. Die Chancen für einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine im nächsten Jahr sind höher, auch wenn es noch viele Möglichkeiten für eine Fortsetzung des Konflikts gibt. Dennoch ist ein Waffenstillstand unter Trump eine reale Möglichkeit. Während dies für Europa eine positive Entwicklung wäre, da die hiesigen Unternehmen vom Wiederaufbau der Ukraine profitieren würden, gibt es gleichzeitig auch Bedenken hinsichtlich der Dauerhaftigkeit eines solchen Abkommens und Russlands Ambitionen. Sollte sich Russland weigern, in Waffenstillstandsverhandlungen einzutreten, würde Trump wahrscheinlich auch die Unterstützung für die Ukraine verstärken.

Wie stark muss jetzt Europa aufrüsten?

Ein Sieg Trumps bedeutet natürlich, dass die EU in Verteidigungsfragen einen grösseren Teil der Aufgaben selbst übernehmen muss.

Ein weiterer Brennpunkt ist der Nahe Osten. Inwiefern nimmt unter Trump der Druck auf den Iran nun zu? 

Der Druck auf Iran ist unverändert. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Trumps Politik gegenüber Israel und dem Iran wesentlich von Bidens Politik gegenüber der Region unterscheiden wird. Die US-Aussenpolitik wird sich weiterhin auf den Nahen Osten konzentrieren müssen, entweder weil die aktuellen Konflikte weitergehen und sich ausweiten oder weil die beteiligten Parteien zu Verhandlungen bereit sind, indem sie die Atomgespräche mit dem Iran, die Bemühungen um eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und Palästina und die Bemühungen um eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und einigen arabischen Staaten in Gang setzen. Eine Kombination aus beiden Dynamiken - anhaltende Feindseligkeiten und Gespräche - ist am wahrscheinlichsten.

Trump droht insbesondere China mit Handelsbeschränkungen. Nimmt jetzt der ökonomische Druck auf China noch mehr zu?

Die vollständige Umsetzung von Trumps Zollvorschlägen würde sich weltweit auswirken.  Asien könnte am stärksten betroffen sein, wobei China die Hauptlast zu tragen hätte. China hat jedoch eine Reihe von Optionen, um diesen Schock abzufedern. Dazu zählen Verhandlungen mit einer Vergeltungsstrategie für Zölle, eine Abwertung der Währungen, ein Umleiten des Handels oder eine Verstärkung der inländischen Konjunkturmassnahmen, um den Exportsektor zu unterstützen.

Die Historikerin Anna Rosenberg ist Leiterin des Bereichs Geopolitik bei Amundi Investment Institute. Rosenberg kam von Signum Global Advisors zu Amundi, wo sie als Mitbegründerin und Senior Partnerin für das Research des Unternehmens mit Schwerpunkt Europa verantwortlich war. Bei der Frontier Strategy Group (jetzt FrontierView) gründete und leitete Rosenberg auch die Forschungspraxis für Subsahara-Afrika und war Mitbegründerin des makroökonomischen Prognoseprodukts des Unternehmens. Ihre Kommentare zur Politik und ihre Arbeit zur Unternehmensstrategie wurden u. a. in der Harvard Business Review, Bloomberg, dem Wall Street Journal, der BBC und CNBC veröffentlicht. Rosenberg ist ausserdem Gastwissenschaftlerin am London Institute of Banking and Finance und BBC Expert Woman. 

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