Seit 1960 hat es einige Veränderungen an der Schweizer Börse gegeben. Unternehmen sind von der Börse gefallen, andere sind hinzugekommen. Sektoren gab es damals nur vier - Banken, Versicherungen, Finanz- und Industriegesellschaften und Anlagefonds. 

Damals waren neben Nestlé, Helvetia oder der Schweizer Rück Unternehmen wie beispielsweise Jelmoli, Caran d’Ache oder die Zürcher Ziegeleien kotiert. Viele von diesen kleineren Unternehmen gibt es heute nicht mehr, wurden aufgekauft, werden heute privat gehalten oder tragen einen neuen Namen. Ein Überblick gibt der Schweizer Aktienführer von damals. 

Bis vor nicht allzu langer Zeit war er die Pflichtlektüre eines jeden Investors. Vor der Zeit des Internets hat der Aktienführer auf drei bis vier Seiten die Geschäftstätigkeit, den Aufbau, Ertragsentwicklung, Bilanzdaten und Aussichten jedes an der Börse kotierten Unternehmen zusammengefasst.

Zu Nestlé heisst es beispielsweise: «Trotz wachsender Konkurrenz [...] können die weiteren Aussichten [...] als günstig beurteilt werden. Der anhaltende Trend zu Spezialprodukten, die eine höhere Gewinnmarge aufweisen [...] bieten dem Konzern zusätzliche Wachstumschancen.»

In der Tat. 1967 wurden in Vevey noch vergleichsweise kleine Brötchen gebacken. Damals erzielte der Konzern ein Umsatz von knapp 8 Milliarden Franken, die Bruttomarge betrug 35 Prozent und der Jahresgewinn war gut 300 Millionen Franken.  Für das kommende Geschäftsjahr wird beim Nahrungsmittelmulti ein Umsatz von 107 Milliarden Franken, eine Bruttomarge von 54 Prozent und ein Konzerngewinn von 14,4 Milliarden Franken erwartet.

Eine heterogene Auswahl an Unternehmen

Trotz der fundamentalen Veränderungen während den letzten 60 Jahre gibt es einige Unternehmen, die damals wie heute Dividenden zahlen. Bei einigen erfolgte dies ohne Unterbruch, bei anderen mit. Und wiederum andere vermochten die Dividenden in diesem Zeitraum abermals zu erhöhen, ohne eine Senkung vornehmen zu müssen. Bei einer nächsten Gruppe sind Ausschüttungen alles andere als sicher.

In der nachfolgenden Liste werden die Unternehmen mit altem und neuen Namen wie auch die damalige und heutige Dividendenrendite aufgeführt.

Name (2024) Name (1970) Rendite (1970) Rendite (2024)
Novartis Ciba 0,9 3,3
  Geigy 0,4  
  Sandoz 1,4  
Roche Roche 0,5 3,5
UBS Bankgesellschaft 2,3 2,3
  Bankverein 2,5  
BKW BKW 2,6 2,2
EMS Chemie Emser Werke 1,4 2,4
Helvetia Helvetia 3,7 4,2
Holcim Holderbank 2,4 3,3
Landis & Gyr Landis & Gyr 1,4 3
Lindt&Sprüngli Lindt&Sprüngli 0,9 1,3
Lonza Lonza 1,2 0,7
Nestlé Nestlé 1,9 3,6
SIG SIG 4,8 2,6
Schlatter Schlatter 4,7 5
Swiss Re Schweizer Rück 3,4 5,3
Zurich Insurance Zürich Versicherungen 2,8 5

Quelle: Aktienführer SBG, LSEG und Bloomberg. Hinweis: Sandoz ging im Herbst 2023 als eigenständiges Unternehmen an die Börse.

Dividendenkönige

Von Dividendenkönigen spricht man je nach Definition von Unternehmen, die seit 25 oder 50 Jahren konsekutiv die Ausschüttungen erhöhen. Zu dieser Gruppe gehören vor allem US-Unternehmen - aber auch drei Schweizer: Nestlé, Roche und Novartis

Nestlé schüttet Dividenden schon seit mindestens 1959 aus. Der Lebensmittelkonzern aus Vevey hat zwar nicht jedes Jahr die Ausschüttungen erhöht, aber nie reduziert. Vor 65 Jahren betrug die Dividendenhöhe 60,65 Franken bei einem Aktienkurs von etwa 2000 Franken (Namen) und 3200 Franken (Inhaber), womit die Rendite zwischen 2 und 3 Prozent lag. Derzeit beträgt sie 3,6 Prozent.

Roche zahlt auch seit 1959 Dividenden. Allerdings konnte der Zeitraum von 1970 bis 1983 nicht verifiziert werden - der Redaktion lag kein Aktienführer der 1970er Jahre vor und die Datenreihen von Bloomberg und LSEG gehen nur bis ins Jahr 1983 zurück. Während der Pharmakonzern seit 1992 jährlich die Dividenden erhöht, waren die Ausschüttungen der früheren Jahre volatiler. Die Rendite betrug damals 0,5 Prozent, heute 3,5 Prozent.

Der Aktienführer weist den Leser darauf hin, dass der Pharmakonzern damals keine konsolidierte Bilanz veröffentlichte. Alle Konzerndaten waren blosse Schätzungen. Die Aussichten waren dennoch gut. Die «aktive Leitung» des Unternehmens und Diversifikation in andere Sektoren (durch beispielsweise die Übernahme von Givaudan) sollte zu einem «überdurchschnittlichen Wachstum» führen. Damals kostete die Inhaberaktie 180’000 Franken - bei der heutigen Aktienanzahl wäre das ein Kurs von weniger als 13 Franken. Heute handelt Roche zum Kurs von 270 Franken.

Bei Novartis ist die Rückverfolgung der Dividenden aufgrund der Fusionen und Übernahmen noch etwas schwieriger. Seit mindestens dem Gründungsjahr von Novartis (1997) erhöht das Unternehmen die Ausschüttungen jedes Jahr. Die derzeitige Rendite von 3,3 Prozent liegt dabei deutlich über den ausgeschütteten Dividenden von Ciba (0,9 Prozent Rendite), Geigy (0,4) oder Sandoz (1,4).

Bei allen drei Königen ist die Dividende auch in den nächsten Jahren nicht in Gefahr. Roche und Novartis schütten nur etwa die Hälfte des freien Cashflows aus. Nestlé ist mit 70 Prozent etwas risikofreudiger. Bei allen drei Unternehmen handelt es sich um Konzerne mit hoher Visibilität und stabilen Cashflows. Auch wenn enttäuschende Ergebnisse starke Schwankungen im Aktienkurs mit sich bringen, so hat dies auf den erzielten freien Cashflow und Dividendenpolitik wenig Auswirkungen - die Geldflüsse liegen bis auf wenige Ausnahmen auch in äusserst negativen Jahren über den Ausschüttungen.

Höhere Unsicherheit mit einem Vorteil

Ebenfalls zu den attraktiven, aber deutlich volatileren Dividendenzahlern gehören Banken und Versicherungen. UBS (damals Bankgesellschaft oder Bankverein), Helvetia, Zurich oder Swiss Re zahlen zwar heute wie auch damals grosszügige Dividenden. Doch geniessen die Aktionäre dieser Unternehmen nicht die gleiche Ausschüttungsstabilität wie jene der Dividendenkönige.

Damals betrug die Dividendenrendite von Swiss Re und Helvetia 3,4 respektive 3,7 Prozent - heute sogar 5,3 und 4,7 Prozent. Die UBS hat die gleiche Rendite von ungefähr 2,3 Prozent wie damals; die Aktionäre der Zurich erhalten heute eine deutlich höhere Rendite mit 5 Prozent im Vergleich zu 2,8 Prozent vor knapp 60 Jahren. 

Diese Finanzunternehmen haben jedoch keine makellose Dividendenhistorie. Beispielsweise strich die UBS die Ausschüttungen für einige Jahre nach der Finanzkrise. Die Versicherer mussten einen solchen Schritt nie vollziehen, doch kürzten sie die Dividenden - Swiss Re tat dies in den letzten 33 Jahre viermal, Zurich und Helvetia seit 1999 dreimal.

Diese Unsicherheit hat aber auch einen Vorteil. Da der Markt mit Reduktionen rechnet, trifft eine solche Aktion die Aktienkurse nur beschränkt. Bei Unternehmen wie Nestlé oder Roche, die seit Jahrzehnten eine stabile Dividendenpolitik und -wachstum vorweisen können, hätte eine Kürzung verheerende Folgen. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist das frühere Konglomerat General Electric.

GE galt bis 2009 als einer der verlässlichsten Dividendenzahler, der jedes Jahr die Ausschüttungen seit damals mehr als drei Jahrzehnten ausnahmslos erhöhte. Als das Unternehmen im Zuge der Finanzkrise in eine existenzielle Krise stürzte und im Überlebenskampf die Dividende auf das Minimum kürzen musste, brach der Aktienkurs um 85 Prozent ein. Mit etlichen Restrukturierungen und Abspaltungen hat es das heute nur im Namen verwandte Unternehmen erst dieses Jahr erneut auf das Kursniveau von 2009 geschafft.

Die Dividende als Nebensache

Bei Industrieunternehmen spielen Dividenden den für die Bewertunghöhe geringsten Einfluss. Zugegeben wird die Mehrheit der damaligen «Industrieunternehmen» heute anderen Sektoren zugeteilt. Dennoch finden sich zum Industriesektor vergleichbare Charakteristiken auch in den neuen Wirtschaftszweigen. Sie machen eine Stabilität der Ausschüttungen fast unmöglich.

 

neue Sektorzugehörigkeit

BKW Versorger
EMS Chemie Grundstoffe
Holcim Grundstoffe
Landis & Gyr Industrie
Lindt&Sprüngli

nicht-zyklischer Konsum

Lonza Pharma
SIG Grundstoffe
Schlatter Industrie

Quelle: Aktienführer SBG und LSEG.

Zu volatil und unsicher sind zyklische Sektoren. Ausser Landis & Gyr (3 Prozent Rendite in 2024), BKW (2,2) und Holcim (3,3) verwenden die übrigen Industriekonzerne mehr als 60 Prozent des freien Cashflows für Dividenden. Für Lindt & Sprüngli (1,3) mag das aufgrund des stabilen Geschäftsmodells begründbar sein, doch besonders für Ems Chemie (2,4), SIG (2,6) und Schlatter (5) ist das zu viel. 

Es überrascht, dass diese Unternehmen damals wie auch heute Dividenden zahlen können. Denn von Stabilität und Kontinuität kann keine Rede sein. Bis zum vorletzten Jahr schüttete Schlatter über viele Jahre hinweg keine Dividenden aus. Ems Chemie passt seine Ausschüttungen jährlich dem Geschäftsverlauf an. Das Unternehmen verfolgt einen restriktiven Ansatz, bei dem die Substanz des Unternehmens nicht gefährdet wird - für die Investoren bedeutet das hingegen das Gegenteil von Stabilität.

Lonza (0,7 Prozent Rendite in 2024), ein weiterer Pharmakonzern, ist ein Sonderfall aus zweierlei Hinsicht. Das Unternehmen schüttet viermal mehr aus als das es an freien Cashflow generiert. Dies ist nicht nachhaltig, für die Bewertung von Wachstumstiteln im Gesundheitsbereich aber nicht relevant. 

Und vor 60 Jahren war Lonza ein auf Düngemittel, Kunststoffe und elektrischer Energie spezialisierter Zwischenproduktproduzent. Im Historienvergleich könnte es sich damit um zwei unterschiedliche Unternehmen handeln, welche die Doppelnennung lediglich dem gleichen Namen zu verdanken haben.

Landis & Gyr und BKW schütten jeweils 38 Prozent des freien Cashflows aus, während Holcim 46 Prozent den Aktionären zurückführt. Die tiefen Ausschüttungsquoten führen aber nicht zu einer verlässlicheren Politik. BKW kürzte die Dividenden fünfmal in den letzten 40 Jahren, Holcim viermal und Landis führt erst wieder seit 2018 Kapital an die Aktionäre zurück.

Daraus lässt sich schliessen, dass je stabiler, nachhaltiger und länger die Dividendenausschüttungen stattgefunden haben, die Dividendenpolitik einen umso zentraleren Bestandteil der Aktienbewertung ausmacht. Bei Dividendenkönigen wäre eine Kürzung oder Streichung für die Kursentwicklung verheerend. Bei Industrieunternehmen dürften die ohnehin stark schwankenden Ausschüttungen einen relativ kleinen Einfluss auf den Aktienkurs haben. Investoren können sich je nach Präferenz und Bedürfnis danach ausrichten.

Luca_Niederkofler
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