Nach Italien steht womöglich auch Spanien ein Rechtsruck ins Haus. Vor den Neuwahlen am Sonntag liegt die von Alberto Nuñez Feijoo (61) angeführte oppositionelle konservative Volkspartei (PP) in Umfragen vor den regierenden Sozialisten (PSOE) von Ministerpräsident Pedro Sanchez (51). Um sich die erforderliche absolute Mehrheit im 350 Sitze umfassenden Parlament zu sichern, ist sie aber voraussichtlich auf die Stimmen der rechts-populistischen Vox-Partei angewiesen. Die Wahlen fallen in eine heikle politische Phase, in der Spanien gerade erst die halbjährliche rotierende EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Die Europäische Union arbeitet derzeit an einer Reform der Haushalts- und Schuldenregeln. Federico Santi, leitender Analyst für Europa bei der Eurasia Group, befürchtet, dass die Wahlen Spaniens EU-Ratspräsidentschaft "beeinträchtigen" und die Fähigkeit einschränken, die EU-Agenda effektiv zu steuern. "Ein wahrscheinlicher Regierungswechsel könnte für mehrere Maßnahmen zu Problemen führen. Die Umweltgesetzgebung ist am stärksten gefährdet", so die Einschätzung des Analysten.

Energie im Fokus

Da das Klima in Spanien immer trockener und heißer wird, ist Energie ein wichtiges Wahlthema. Die beiden großen Parteien streiten darüber, wie eine klimafreundliche Transformation der Wirtschaft gelingen kann. Die Regierung Sanchez erhöhte ihr Ziel für grüne Energie und schlug vor, dass erneuerbare Energien bis 2030 insgesamt 81 Prozent des Stroms erzeugen sollen. Die PP will hingegen die Laufzeit von Kernkraftwerken über den angepeilten Stilllegungszeitrahmen von 2027 bis 2035 hinaus verlängern. Zugleich soll eine Gebühr für Projekte im Bereich erneuerbarer Energien erhoben werden, um damit angesichts hoher Antragszahlen die Verwaltungskosten zu decken.

Bei einem hitzig geführten Fernsehduell hielt Sanchez seinem PP-Kontrahenten Kommentare von Vox-Abgeordneten vor, die chauvinistisch seien oder den Klimawandel und die Gültigkeit von Covid-Impfstoffen infrage stellten. Mit Blick auf ein mögliches Bündnis mit Vox warf der Sozialist dem Oppositionschef einen "schamlosen Tausch von Rechten gegen Stimmen" vor. Feijoo konterte, die PSOE sei im Parlament bei Abstimmungen über Gesetzesvorhaben auf die baskische Separatistenpartei EH Bildu angewiesen gewesen, die mit der inzwischen aufgelösten Extremistengruppe ETA verbunden sei: "Man kann uns nicht über Pakte belehren", sagte Feijoo an Sanchez gerichtet: "Bildu ist Ihr Partner."

Sanchez verwies seinerseits darauf, dass Spanien zu den wenigen europäischen Ländern gehöre, die die Inflation bis 2023 unter das Zwei-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank gebracht hätten. Feijoo entgegnete, es gebe jedoch viele Menschen, die Schwierigkeiten hätten, sich ihre wöchentlichen Einkäufe zu leisten.

In den Umfragen hat Feijoo Oberwasser: Laut Demoskopen kann die PP auf 131 bis 151 Mandate kommen. Eine Reihe von Umfragen zeigt, dass Vox genügend Sitze gewinnen dürfte, um einem rechten Bündnis eine absolute Mehrheit zu sichern. Dafür sind mindestens 176 Mandate erforderlich. Doch könnten PP und Vox laut einigen Demoskopen auch knapp unter dieser Marke bleiben. Die PSOE von Sanchez kommt den Umfragen zufolge nur auf 98 bis 115 Sitze. Vox liegt praktisch Kopf an Kopf mit Sumar, einem neuen Sammelbündnis linker Gruppen. Den Umfragen zufolge würde Sumar 25 bis 39 Sitze erhalten.

Der Urnengang war ursprünglich für Dezember angesetzt, doch Sanchez rief Neuwahlen aus, nachdem die Linke bei den Regionalwahlen im Mai schlecht abgeschnitten hatte. Wenn der seit 2019 regierende Ministerpräsident seine Mehrheit verlieren sollte, dürfte sich dies als schlechter Schachzug erweisen. Zugleich könnte der gebürtige Galicier Feijoo in die Fußstapfen der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni treten. Der Chefin der Partei Fratelli d'Italia war es nach den Wahlen im September gelungen, ein im Ausland zunächst kritisch beäugtes Rechtsbündnis zu schmieden. 

(Reuters)