Die Verdächtigen hätten unter anderem US-Militäreinrichtungen ausgespäht, an denen ukrainische Soldaten trainiert wurden, sagte die Staatsanwältin Alison Morgan am Donnerstag zum Prozessauftakt in London. Die drei Angeklagten - zwei Frauen und ein Mann - hätten zahlreiche Menschenleben gefährdet. Sie seien Teil eines Spionagenetzwerkes, das Marsalek angeführt habe. Die drei Beschuldigten wiesen die Vorwürfe zurück.
Zwei weitere Männer, Orlin Roussev und Bizer Dzhambazov, hätten bereits gestanden, dem Spionagering angehört zu haben, sagte Morgan den Geschworenen vor dem Central Criminal Court in London, der auch Old Bailey genannt wird. Roussev habe die Gruppe angeführt und seinerseits Aufträge von Marsalek erhalten, sagte die Staatsanwältin. Dass der Spionagering existiere, stehe nicht infrage, weil Roussev und Dzhambazov «akzeptiert haben, dass sie an einer Verschwörung beteiligt waren». Die Spione hätten unter anderem falsche Identitäten genutzt, professionelle Ausrüstung eingesetzt und detaillierte Berichte im Gegenzug für grössere Zahlungen angefertigt.
Der Spionagering war nach Angaben der Staatsanwältin mutmasslich an sechs grösseren Operationen beteiligt. Unter anderem sei Ende 2022 der US-Stützpunkt «Patch Barracks» bei Stuttgart ausgekundschaftet worden. Ein weiteres Opfer sei der Journalist Christo Grozev gewesen, der für die investigative Website Bellingcat gearbeitet habe und dort unter anderem über die Vergiftung des russischen Doppelagenten Sergei Skripal 2018 in Salisbury berichtet hatte. Auch Roman Dobrokhotov, Chefredakteur des Investigativmediums The Insider, sowie der ehemalige kasachische Politiker Bergey Ryskaliyew, der inzwischen Asyl in Grossbritannien erhalten hat, und der russische Dissident Kiril Kachur wurden ins Visier genommen.
Die Beschuldigten hätten persönlich hohe Risiken aufgenommen, sagte Morgan. Unter anderem sei darüber gesprochen worden, die beiden Frauen als «Honigfalle» einzusetzen: Dabei hätten sie Sexualkontakte zu den Opfern aufgenommen, um weitere Informationen einzuholen. Die Angeklagten könnten nun zwar anführen, dass sie nicht wussten, was wirklich vor sich ging, oder dass sie in die Irre geführt worden seien, sagte Morgan. «Es ist aber nicht vorstellbar, dass sie nicht wussten, was sie taten und warum sie das taten.»
Marsalek galt als führender Kopf des 2020 kollabierten Finanzdienstleisters Wirecard. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen Betrugsverdachts gegen den gebürtigen Österreicher und hat ihn international zur Fahndung ausgeschrieben. Ihm wird zudem Spionage für Russland vorgeworfen. Seine Spur verlor sich kurz nach dem Zusammenbruch von Wirecard in Belarus, Medienberichten zufolge wurde er später in Russland vermutet.
(Reuters)