Magdalena Martullo-Blocher, CEO von Ems-Chemie, nahm einmal mehr kein Blatt vor den Mund, als sie am Freitag anlässlich der Bilanzpressekonferenz auf die Konjunktursituation in Europa zu sprechen kam. «Für Europa erwarte ich kaum Wirtschaftswachstum. Europa hat einfach zu hohe Energiekosten, das schlägt sich in einer höheren Inflation nieder. Wenn noch die Regulierungskosten hinzu addiert werden, geht die Wettbewerbsfähigkeit verloren. Entsprechend hat Europa drastisch an Investitions- und Standortattraktivität verloren.»

Besonders schlecht geht es dem europäischen Automobilsektor, die Produktion ging gegenüber 2019 inzwischen um rund 20 Prozent zurück. Dieser Sektor trägt 64 Prozent zum Umsatz von Ems-Chemie bei. In diesem garstigen Umfeld hat sich das Unternehmen aus Domat-Ems aber recht wacker geschlagen. Der Umsatz ging währungsbedingt und wegen tieferen Rohstoffkosten im abgelaufenen Geschäftsjahr im Vergleich zum Vorjahr um «nur» 5,4 Prozent auf 2,07 Milliarden Franken zurück. 

Das Betriebsergebnis - das ist der Gewinn vor Zinsen und Steuern oder kurz Ebit - sieht besser aus. Dieses stieg um 9,5 Prozent auf 539 nach 493 Millionen Franken im Vorjahr. Das Absatzvolumen respektive die Verkaufsmenge konnte dank Neugeschäft gesteigert werden. Die Rohstoffpreise, welche 50 Prozent der Aufwendungen ausmachen, sind leicht gesunken und wurden aufgrund vertraglicher Bestimmungen zum Teil an die Kunden weitergegeben. Die Ems-Chefin kann deshalb in der Summe auf ein ordentliches Geschäftsjahr zurückblicken - vor allem auch, wenn man berücksichtigt, dass der Umsatzanteil in der kriselnden Automobilindustrie im Vergleich zum Vorjahr gleich hoch geblieben ist.

Neuausrichtung auf Innovation zahlt sich aus

Ems hat in den letzten zwei Jahren weiter Geld in den Ausbau des technischen Verkaufs sowie in Forschung, Entwicklung und Anwendungstechnik investiert. Das trägt nun erste Früchte. Das Potenzial der Neugeschäfte liegt nun 19 Prozent höher als vor zwei Jahren. Der Erfolg lässt sich auch an der Anzahl neuer Produkte ablesen. Diese fielen wesentlich umfangreicher aus als im Vorjahr: Angefangen bei einem Thermostatgehäuse für den chinesischen Autobauer BYD, einer Sensorenumklammerung für den US-Automobilkonzern GM, einem Ansaugrohr für Audi, einer Feder für die Fett-weg-Spritze von Ypsomed bis zu einer Pipettiereinheit für die Pharmaindustrie (siehe Bild).

Gemäss Martullo-Blocher ist dies aber erst der Anfang einer Absatzvolumen-Expansion: «Wir sehen das Potenzial, das Absatzvolumen in den nächsten Jahr nahezu verdoppeln zu können.» Dies ist primär auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens kann Ems mit der grösseren Verkaufsmannschaft den Markt breiter bearbeiten und die Kundenbedürfnisse können mit innovativen Produkten schneller und besser abgedeckt werden. Der zweite Vorteil besteht in der verbesserten Skalierbarkeit, da bereits entwickelte Spezialitäten auch an neue Kundengruppen vermarktet werden können. Martullo-Blocher zeigt sich entsprechend zuversichtlich, in Zukunft weltweit als auch im schwierigen europäischen Markt zulegen zu können. 

Rückenwind gibt es hier auch indirekt von der europäischen Konkurrenz. Die deutsche Chemiefirma Evonik fährt wegen generell hoher Kosten die Investitionen in den Bereich Polymer-Forschung und -Entwicklung zurück. Zudem kündigten die beiden Chemiefirmen Solenis und Arkema jüngst Restrukturierungsmassnahmen an und Syensqo, der verselbstständigte Kunststoffbereich von Solvay, fokussiert sich schwergewichtig auf die Bereichewie  Rüstung und Aerospace, wo Ems-Chemie nicht tätig ist. 

Chinas Automobilbranche ist weiter im Aufwind

Martullo-Blocher gab auch einen Einblick in den chinesischen Automarkt, wo der Absatz im abgelaufenen Jahr um 3 Prozent gewachsen ist. Die chinesischen Autobauer seien unter anderem so erfolgreich, weil sie grosse Plattformen integrieren. Entsprechend seien die Kosten 30 bis 50 Prozent tiefer. Dies sei jedoch nicht auf die Subventionen in Form von Investitionshilfen zurückzuführen, denn solche gibt es auch in Europa. «Die chinesischen Autobauer produzieren einfach schneller, effizienter und kostengünstiger», so die Ems-Chefin.

Fazit: Wenn es Ems-Chemie gelingt, mit Innovationen die in Aussicht gestellte Absatzvolumen-Erweiterung zu realisieren, so dürfte sich dies langfristig in einem höheren Betriebsergebnis zeigen - unter der Voraussetzung, dass sich der Franken nicht zu stark gegenüber den anderen Währungen aufwertet und eine globale Wachstumsverlangsamung oder Rezession das Unterfangen ausbremst. Im Erfolgsfall dürfte die Börse das honorieren, nachdem die Aktionärinnen und Aktionäre über die letzten acht Jahre mit einem sich seitwärts entwickelnden Titel nicht gerade verwöhnt wurden.

Die Valoren schlossen am Freitag 2,9 Prozent tiefer bei 628,50 Franken. Ein Händler begründete den Kursverlust mit der tieferen Guidance für das laufende Jahr aufgrund des nach wie vor festen Franken.

Thomas Daniel Marti
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