Die Frage von Waffenlieferungen an Israel gehört zu den heikelsten Themen der deutschen Aussenpolitik. Jede neue Eskalation des Krieges im Nahen Osten heizt die Debatte an: Was ist zulässig in Deutschland mit seiner besonderen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Staat nach dem Holocaust und was nicht?
Nach dem Hamas-Massaker auf Israel vom 7. Oktober 2023 wurden nach Angaben der Behörden im Gazastreifen mehr als 40.000 Palästinenser von israelischen Streitkräften getötet. Im Libanon sterben täglich Menschen, und sogar die Unifil-Schutztruppen sind nach UN-Angaben unter israelischen Beschuss geraten. Gleichzeitig wird Israel von der radikal-islamischen Hamas und Hisbollah regelmässig angegriffen und auch schon direkt vom Iran.
Die Entscheidungen über deutsche Waffenexporte trifft der Bundessicherheitsrat. Der tagt geheim, deshalb wuchern Spekulationen, welche Entscheidungen die Ampel-Regierung in den vergangenen Monaten wohl getroffen hat.
Gibt es einen Export-Stopp?
Mitte September war bekannt geworden, dass die deutsche Regierung in diesem Jahr bis Mitte August Waffenexporte nach Israel über lediglich 14,5 Millionen Euro genehmigt hat. Im Jahr 2023, dem Jahr des Hamas-Überfalls auf Israel, waren es dagegen 326,5 Millionen Euro. Im Jahr 2022 allerdings auch nur 32,6 Millionen Euro.
Die Bundesregierung sagt, es gebe keinen Exportstopp. «Wir haben nicht entschieden, keine Waffen zu liefern. Wir haben Waffen geliefert, und wir werden Waffen liefern», wies Bundeskanzler Olaf Scholz vor etwa einer Woche im Bundestag einen Vorwurf von Friedrich Merz (CDU) zurück. Der Oppositionsführer hatte der Regierung mit Blick auf Zahlen und Hinweise von Waffenfirmen vorgehalten, Exportgenehmigungen für Munition oder für Panzerersatzteile nach Israel zu verweigern.
Nach der Ansage von Scholz, dass es demnächst neue Waffenlieferungen geben werde, sollten auch bald offiziell neue Zahlen zum Umfang bekannt werden.
Warum liefert Deutschland Waffen an Israel?
Die Sicherheit Israels sei «Staatsräson» erklärte schon die frühere Kanzlerin Angela Merkel mit Blick auf die besondere Verantwortung Deutschlands nach der Ermordung von sechs Millionen Juden im Holocaust. Seit dem Angriff vom 7. Oktober 2023, bei dem nach israelischen Angaben mehr als 1200 Menschen umkamen und mehr als 250 Menschen als Geiseln verschleppt wurden und den seither folgenden Attacken auf Israel verweisen Mitglieder der Ampel-Regierung immer wieder auf das Recht des jüdischen Staates zur Selbstverteidigung. Das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) und die AFD fordern dagegen einen Stopp der Waffenlieferungen.
Völkermord und humanitäres Völkerrecht
Die Bundesregierung weist den unter anderem von Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof gegen Israel vorgebrachten Vorwurf des Völkermords an den Palästinensern zurück. Entsprechend verwehrt sich Berlin auch gegen die Klage Nicaraguas gegen die Bundesrepublik vor demselben Gerichtshof.
Die Bundesregierung fordert gleichzeitig, dass Israel bei seinen Einsätzen im Gazastreifen und bei Angriffen auf Hisbollah-Stellungen im Libanon humanitäres Völkerrecht einhalten müsse. Mit Hinweis etwa auf eingeleitete interne Untersuchungen der israelischen Seite betonen deutsche Regierungssprecher immer wieder, dass es keinen Anlass gebe, an der Darstellung Israels zu zweifeln, dass es dies auch tue - trotz der vielen zivilen Opfer.
Berlin hatte dafür extra eine schriftliche Zusage Israels verlangt. Ein entsprechendes Schreiben der Regierung Benjamin Netanyahus ging Reuters-Informationen zufolge am vergangenen Donnerstag ein. Darin versichere die israelische Regierung beim Einsatz von aus Deutschland geliefertem Militärmaterial humanitäres Völkerrecht einzuhalten. Berlin argumentiert, das Schreiben sei juristisch wichtig, auch um mögliche Klagen vor deutschen Verwaltungsgerichten gegen Waffenlieferungen besser abschmettern zu können.
Aber es gibt auch Kritik: «Da die Bundesregierung stets vorgibt, keinerlei Kenntnis darüber zu haben, ob deutsche Waffen in Gaza oder beispielsweise im Libanon beim Beschuss von UN-Blauhelmsoldaten durch Israel zum Einsatz kommen, ist die Erklärung aus Tel Aviv nicht das Papier wert, auf dem sie steht», sagt Sevim Dagdelen, aussenpolitischer Sprecher des BSW.
Was sagt die Union?
In der Union gibt es unterschiedliche Haltungen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, kritisierte, dass die Regierung überhaupt an Israel zweifele und plädiert für Waffenlieferungen. Der Unions-Kanzlerkandidat Merz äusserte sich vorsichtiger. Neben seinen Vorwürfen an Scholz kritisiert er einen Schlingerkurs der Bundesregierung, fügte aber am Dienstag hinzu: «Die Bundesaussenministerin (Annalena Baerbock) hat nicht zu Unrecht auf die Wahrung von völkerrechtlichen Grundsätzen im Krieg hingewiesen... Man kann durchaus aus verschiedenen Gründen zu dem Ergebnis kommen, dass man Rüstungsgüter und Ersatzteile nach Israel nicht liefern will.»
Zusammenarbeit bei Sicherheit
Deutschland arbeitet mit Israel zudem schon viele Jahre bei der Terrorismus-Bekämpfung zusammen, die Geheimdienste beider Staaten tauschen Daten aus. Und die Bundeswehr kauft etwa israelische Drohnen. «Es wäre deshalb widersinnig, wenn wir einen Exportbann auf Rüstungsgüter nach Israel hätten», sagt ein Regierungsvertreter.
Was passierte in den vergangenen Monaten?
Da der Bundessicherheitsrat geheim tagt, lässt sich das nicht genau beantworten. Je nachdem, mit wem man im Hintergrund spricht, gibt es zwei verschiedene Darstellungen: Nach der einen habe es in den vergangenen Monaten durchaus Genehmigungen für Waffenexporte gegeben. Diese seien aber an den Vorbehalt der israelischen Zusicherung geknüpft gewesen. Erst nach dem Eintreffen des israelischen Schreibens sei also der Weg frei.
Der anderen Darstellung zufolge haben vor allem die Grünen-Politiker Baerbock und Robert Habeck Exportgenehmigungen verhindert. Denn diese Entscheidungen müssen einstimmig fallen. Mitglieder des Gremiums, mit denen Reuters gesprochen hat, deuteten zumindest an, dass die Vertreter von SPD und FDP weniger Bedenken gehabt hätten.
Dies muss aber nicht bedeuten, dass in Einzelfall-Entscheidungen ein «Nein» unbedingt von Baerbock oder Habeck gekommen sein muss. Denn es gibt auch andere Abwägungen: Es kann Anträge auf Exporte geben, bei denen die Regierung der Meinung ist, dass bestimmte Produkte von der Bundeswehr oder der Ukraine dringender gebraucht werden.
(Reuters/cash)