Auch Trump selbst sagte nach der Entscheidung der Geschworenen rund um Schweigegeld-Zahlungen und Wahlbeeinflussung: «Das wirkliche Urteil wird das Volk am 5. November fällen.» Klar ist: Selbst wenn das Gericht die Strafe im Juli verkündet und ihn ins Gefängnis schickt, hat er das Recht, bei der Wahl anzutreten. Der Ausgang ist mit dem Urteil keineswegs zugunsten von Amtsinhaber Joe Biden entschieden. Wie stark aber selbst eine Gefängnisstrafe die Wähler beeinflusst, ist unklar. Das sagen Wahlkampfstrategen beider Lager, und darauf deuten Umfragen hin.
Vor dem Prozess hatten Befragungen von Reuters und dem Meinungsforschungsinstitut Ipso ergeben, dass zumindest einige Republikaner und unabhängige Wähler Trump - selbst Republikaner - die Unterstützung verweigern könnten. In einem Papier der Trump-Strategen heisst es dagegen, dass weder Verurteilung noch Freispruch Einfluss auf die Wahl haben werde.
Gerade in einer Wahl, deren Ausgang knapp werden dürfte, könnten wenige Stimmen den Ausschlag geben. «Selbst wenn es nur ein Prozent der Wähler in besonders knappen Wahlkreisen sind, ist das nicht nichts», sagt Lindsay Chervinsky von der Southern Methodist University in Dallas. Bei der vergangenen Wahl entschieden in einigen Bundesstaaten wenige Tausend Stimmen darüber, ob der Staat an die Demokraten oder Republikaner ging. Diese sogenannten Swing States gaben den Ausschlag für den Sieg Bidens.
Sein Sprecher Michael Tyler blieb nach dem Urteil vorsichtig: «Das heutige Urteil ändert nichts daran, dass das amerikanische Volk vor einer simplen Realität steht: Es gibt nur einen Weg, Donald Trump aus dem Weissen Haus herauszuhalten - und das ist der Weg über die Wahlurne.» Dennoch sei Trump nun ein «verurteilter Verbrecher».
Trump wiederum versucht, seine Basis erst recht zu mobilisieren, nachdem er schon bisher von einem politischen Prozess gesprochen hatte. Auf seiner Wahlkampfseite wird zu Spenden aufgerufen, und er wird als «politischer Gefangener» bezeichnet, obwohl das Strafmass noch gar nicht verkündet und Trump nicht in Haft ist. Während Trump bisher viel Zeit im Gerichtssaal und zur Vorbereitung der Verhandlungen verbringen musste, hat er nun Zeit, voll in den Wahlkampf einzugreifen.
Schwenken Trump-Kritiker wieder um?
Bei der Ipsos-Umfrage unter Trump-Unterstützern Anfang des Jahres hatte etwas mehr als die Hälfte gesagt, dass sie trotz einer Verurteilung für ihn stimmen würden. Knapp ein Drittel war unsicher. 13 Prozent sagten, sie würden ihn in dem Fall nicht wählen.
Der republikanische Meinungsforscher Bill McInturff zeigt sich von der Entscheidung der Jury unbeeindruckt. Diejenigen, die Trump jetzt angeblich nicht mehr wählen wollten, seien eigentlich die Kernklientel der Republikaner. Dies sei ganz besonders kritisch gegen Biden eingestellt. «Ich glaube, bis November sind die alle wieder zurück in den Reihen von Trump.»
Der Ipsos-Umfrage zufolge droht Trump die grösste Gefahr von weiblichen, gebildeten Wählern. Nur 50 Prozent der Frauen sagten, dass sie Trump dennoch wählen würden, während es bei den Männern 62 Prozent waren.
Jetzt, wo das Urteil gesprochen ist und weitere Verfahren gegen Trump wohl nicht vor der Wahl beginnen werden, könnte sich der Wahlkampf wieder auf andere Themen konzentrieren. Dies waren zuletzt das Abtreibungsrecht, die Einwanderung und Grenzsicherung sowie die Wirtschaft. Bidens Umfragewerte lagen zuletzt auf einem Rekordtief. Viele Amerikaner beklagen vor allem die gestiegenen Lebenshaltungskosten.
Rodell Mollineau, ein langjähriger Mitarbeiter der Demokraten, rät Biden daher, sich auf diese Themen zu konzentrieren. Nur über das Urteil zu sprechen und den moralischen Zeigefinger zu heben, käme zumindest bei unentschlossenen Wählern nicht gut an.
Dagegen sagt Ben Tulchin, der für den linken Demokraten Bernie Sanders Wahlkampf gemacht hat, Biden müsse aus dem normalen Wahlkampfmodus ändern und Trump als verurteilten Verbrecher angreifen: «Das Ziel wäre, den Charakter Trumps herauszustellen, seine negativen Seiten zu zeigen und Zweifel an seiner Eignung zu wecken.»
(Reuters)