Bei BNP Paribas wickelt ein Händler namens Viper weite Teile des Devisenhandels der französischen Bank ab. Devisenhandelsgeschäftes. Viper, Iguana und Chameleon sind alles Codenamen für Algorithmen, die der Kreditgeber entwickelt hat, um den Hunderten von Hedgefondsmanagern und Corporate Treasurers das Leben zu erleichtern. Sie sind tagtäglich auf die Handelssysteme der Grossbank angewiesen. Die drei Algorithmen leben im Rex. Diese Reptilienmotive sind das Handelsinstrument, mit dem sich BNP einen Vorsprung auf dem Devisenmarkt von 7,5 Billionen Dollar pro Tag gegenüber der Konkurrenz zementiert hat. 

Doch BNP ist nicht allein. Auch Konkurrenten wie JPMorgan Chase und Goldman Sachs setzen neuerdings auf Algorithmen. Für die alte Garde der Wall Street ist der technologische Fortschritt entscheidend geworden. Nachdem in den letzten Jahren eine Schar von aufstrebenden Market Makern wie Citadel Securities und XTX Markets in den Devisenmarkt geströmt sind, müssen sie die Kunden bei Laune zu halten. 

"Es ist für einen Händler schwierig zehn verschiedene Bildschirme anzuschauen, um einen Preis zu erhalten", sagt Asif Razaq, Leiter des Bereichs Foreign Exchange Algo Execution Services bei BNP. "Sie können uns einen Korb von Aufträgen geben, die Sie ausführen müssen, und ihn zu Rex hochladen. Der Algorithmus zeigt dem Kunden einen Ausführungsplan an: Ich werde Chameleon für diesen Auftrag und Viper für diesen Auftrag einsetzen.” 

Jahrzehntelang haben die Banken beklagt, dass sie aufgrund mangelnder Daten nicht in der Lage waren, die Devisenmärkte so zu automatisieren, wie sie es bei Aktien getan haben. Doch mit der raschen Einführung von Algorithmen in den letzten Jahren hat sich das geändert - und zwar schnell. Vor der Pandemie nutzten nur 22 Prozent der Hedgefonds die Technologie zur Ausführung ihrer Devisengeschäfte. Jetzt sind es fast die Hälfte. 

Das bedeutet, dass die Zeiten der “Barrow Boys” definitiv vorbei sind. Das waren jene ungestüme Händler, die ihre Tage damit verbrachten, Gebote in einem Jargon zu rufen, der die Bank of England als "The Old Lady" und den Aufkauf von 1 Milliarde Pfund gegen den Dollar als "Yard of Cable" bezeichnete. Da heute mehr als 75 Prozent des Devisenkassageschäfts über Algorithmen abgewickelt wird, ist das übliche Hintergrundgeräusch im Handelssaal das Summen von Computern und das Klacken von Tastaturen. 

"Die Leute, die den Handelsraum betreten, erwarten oft eine Menge Lärm. Sie erwarten Händler, die laut reden und ins Telefon schreien", sagt Alexis Laming, ein algorithmischer Devisenhändler bei Credit Agricole. "Es ist nicht mehr so, wie man es aus dem Kino kennt." 

Doch diese neue Ära ist für die Giganten der Wall Street nicht ohne Schattenseiten. Da Maschinen einen Grossteil der Arbeit übernehmen, verdienen die Handelsabteilungen für jeden Devisenhandel viel weniger als in der Vergangenheit. Und ohne einen Menschen, der eingreift, besteht ein erhöhtes Risiko, dass etwas schief geht. Das gilt insbesondere in Zeiten extremer Volatilität. 

Das Innere des (T-)Rex 

Als Razaq 2010 bei BNP anfing, wurden die meisten Devisengeschäfte der Bank nach telefonischer Auftragsplatzierung durch den Kunden getätigt. In seinem neuen Job hatte Razaq einen wichtigen Auftrag: Er sollte so viele Prozesse der Abteilung automatisieren, wie er konnte. Als Absolvent der Queen Mary University of London kam er nach Stationen bei der UBS und der Citigroup mit einem fortgeschrittenen Abschluss in künstlicher Intelligenz zu BNP. Zunächst konzentrierte er sich auf die Entwicklung von Algorithmen, die die BNP-Händler nutzen konnten, um ihre Positionen besser abzusichern und Risiken zu steuern. 

Bald jedoch beschloss der französische Kreditgeber, diese Algorithmen neu zu verpacken und Kunden die Möglichkeit zu geben, sie zu nutzen. Das war die Geburtsstunde von Viper, Chameleon und Iguana. 

Die Wichtigkeit für die Banken, diese Prozesse im Devisenhandel korrekt umzusetzen, kann nur wiederholt werden. Denn die Devisenmärkte bezeichnen sich selbst als den grössten Finanzmarkt der Welt. Die Handelsabteilungen an der Wall Street verdienen jedes Quartal Milliarden von Dollar in diesem Bereich und ermöglichen ihnen direkte Kontakte und starke Verbindungen zu Hedge-Fonds-Giganten und Finanzchefs von globalen Konzernen. 

Da immer mehr dieser Kunden algorithmisch handeln wollen, müssen die Banken Teams zusammenstellen, die diese Technologie für sie entwickeln können. "Für die Banken ist das eine Selbstverständlichkeit", sagt Paul Lambert, Geschäftsführer des Datenanbieters New Change FX. "Die Banken stecken ihr Geld in die Technologie, weil sie wissen, dass es ein Wettrüsten ist." 

Bei BNP haben die drei Algorithmen unterschiedliche Eigenschaften. Kunden können Viper nutzen, um schnell zu handeln und riskante Positionen rasch zu schliessen. Chameleon hingegen eignet sich besser für die Ausführung grösserer Transaktionen. Diese werden langsam in den Markt eingeflossen, um damit grössere Verwerfungen am Markt zu vermeiden. 

Iguana war der jüngste von BNP entwickelte Algorithmus. Er wurde für Kunden entwickelt, die wissen, dass sie ein bestimmtes Geschäft über einen bestimmten Zeithorizont ausführen wollen, aber nicht sicher sind, wann innerhalb dieses Zeitfensters der beste Zeitpunkt für die Platzierung des Geschäfts wäre. 

"Iguana sagt: 'Geben Sie mir die Start- und Endzeit und lassen Sie mich den bestmöglichen Weg innerhalb dieses Zeitfensters ausarbeiten'", sagt Razaq, der zu jedem Verkaufsgespräch einen Spielzeug-Rex aus den Toy-Story-Filmen von Walt Disney mitbringt. "Die Algos ändern sich je nach Tageszeit, Liquidität und Währungspaar."

Billigeres Produkt 

Bei Citigroup, die über eine der grössten Devisenhandelsabteilungen verfügt, ist das Volumen der algorithmischen Devisengeschäfte, die das Unternehmen mit regionalen Banken abwickelt, im Januar im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 200 Prozent gestiegen. Zwar konzentrierte sich die Bank ursprünglich auf die Bereitstellung dieser Algorithmen für Vermögensverwalter und Firmenkunden. Jetzt verlangen vermehrt auch Hedgefondsmanager die Zurverfügungstellung der Algorithmen. "Sie schätzen die Kosteneffizienz des Produkts", sagte Mark Meredith, Leiter des E-Trading für lokale Devisenmärkte bei der Citigroup

Die Deutsche Bank, ein weiterer wichtiger Marktteilnehmer im Devisenhandel, baut ebenfalls ihr algorithmisches Angebot für Hedgefonds aus. Dies nachdem das Gesamtvolumen des automatisierten Handels im letzten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 40 Prozent gestiegen ist. "Wir sehen immer mehr Kunden, die die Gesamtkosten betrachten und sagen: 'Es ist viel einfacher für mich, einen Algo an eine Bank zu schicken'", so Vittorio Nuti, globaler Leiter Derivatehandel und FX-Algos der Deutschen Bank

Diese neue Ära des Devisenhandels hat in der Tat ihren Preis. Vor einem Jahrzehnt, als sich der elektronische Devisenhandel gerade erst durchzusetzen begann, zahlten die Kunden den Banken für jede 1 Million Dollar, die sie mit dieser Technologie handelten, etwa 50 Dollar. Da Algorithmen einen Grossteil dieser Arbeit übernehmen, hat sich dieser Betrag inzwischen halbiert und liegt in manchen Fällen bei nur noch 25 Dollar. Das mag gut für die Rendite der Kunden sein. Aber es bedeutet, dass die Wall Street-Giganten weniger Geld haben, um zu investieren und sich auf künftige Technologien vorzubereiten, die den Markt aufrütteln werden, sagt Ralf Donner von Goldman Sachs

"Die sinkenden Gebührenerträge sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem die Gefahr besteht, dass sie weitere Produktinnovationen und Investitionen in Analysetools für Kunden ersticken", sagte Donner in einem Interview. "Wir haben volles Verständnis dafür, dass Kunden die beste Ausführung demonstrieren wollen, aber wir wollen und erwarten, dass sie sich bei ihrer Bewertung auf die langfristige Gesamtperformance konzentrieren."

Riskantes Geschäft 

Die Branche hat schnell gelernt, dass die Verbreitung des algorithmischen Handels an den Währungsmärkten nicht ohne Gefahren ist. Eine erhöhte Zahl von Vermögensverwaltern hat davor gewarnt, dass die Programme einer Flut von makroökonomischen Ereignissen nicht gewachsen waren. "Wir haben gesehen, wie Händler Algorithmen abgeschaltet haben, nachdem sie bemerkt hatten, dass sie vermutlich nicht genügend Daten oder Schlüsselsignale verfügen um mit dem Tempo und Volatilität der Märkte Schritt zu halten", sagte Nafisa Yusuf, Direktorin für Marktstruktur bei BlackRock auf einer Branchenkonferenz Anfang des Jahres über den Einsatz von Algorithmen. 

Tatsächlich stellte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich fest, dass die neu entdeckte Automatisierung im Devisenhandel den Markt anfälliger auf Volatilitätsschübe gemacht hat. "Das Problem mit Algorithmen liegt darin, dass bei einem katalytischen Ereignis die Liquidität innerhalb eines Herzschlags versiegt", sagte Joseph Pach, Geschäftsleiter von Corcovado Investment Advisors. "Wenn es Institutionen gibt, die nur sehr wenig Risikobereitschaft haben und deren Algorithmen sehr empfindlich auf Nachrichten reagieren, kann es zu solchen Flash Crashs kommen.“

Die Vorschriften verlangen, dass Vermögensverwalter und Banken ihre Geschäfte bestmöglich ausführen. Dieser Nachweis muss auf Papier geliefert werden. Während die Automatisierung bei der Aufzeichnung hilft, kann der Einsatz von Algorithmen den Nachweis erschweren. Da die Bedingungen des Handels und die verfügbaren Handelsoptionen fast unmöglich zu replizieren sind, ist es schwierig zu Beweisen, dass das bestmögliche Ergebnis erzielt wurde.

Für Hedgefonds, Vermögensverwalter und sogar Zentralbanken ist die Verlockung nach kostengünstigen Transaktionen kaum zu übersehen. Diesen Anlegern gefällt auch die Tatsache, dass Algorithmen ihnen mehr Anonymität beim Abschluss grösserer Geschäfte bieten. 

RBC Bluebay Asset Management beispielsweise schätzt es, grosse Geschäfte vor anderen Akteuren zu verbergen. Mit dem Einsatz von Algorithmen kann die Ausführung in Scheiben geschnitten und gewürfelt werden. Grundsätzlich nutzt der Vermögensverwalter die Technologie, um grössere Aufträge über einen bestimmten Zeitraum in kleineren Stücken in den Markt einzuspeisen. Beim Versuch, grössere Positionen durch den Kontakt mit einer Bank zu veräussern, könnten künftige Handelspläne verraten werden. 

"Es ist besser für das Risiko - ich möchte, dass alles weniger berührt wird - weniger Tastaturanschläge", sagte Stuart Campbell, der bei dem Vermögensverwalter den Handel mit festverzinslichen Wertpapieren leitet. "In der Welt der Devisen kann man so ziemlich jede Grösse über Algos handeln. Damit muss ich immer seltener zum Telefon greifen, um einen grossen Blockhandel zu tätigen". 

Härterer Wettbewerb 

Da immer mehr Kunden ihren Devisenhandel elektronisch abwickeln wollen, sehen sich die Banken einem immer stärkeren Wettbewerb durch neu gegründete Market Maker ausgesetzt. Laut ION Markets gibt es im Devisenmarkt inzwischen rund 90 verschiedene Handelsplätze - 2012 waren es nur 20. 

Ein Beispiel ist der alternative Marktmacher XTX, der keine menschlichen Händler, sondern nur Programmierer beschäftigt. Das Unternehmen ist in den letzten Jahren zu einem der drei grössten Anbieter von Spot-Liquidität auf dem Währungsmarkt aufgestiegen und hat dabei einige der grössten Banken hinter sich gelassen. Der Erfolg des Unternehmens hat seinen Gründer Alex Gerko zu einem der reichsten Menschen Grossbritanniens gemacht, der nach Berechnungen des Bloomberg Billionaires Index ein Vermögen von 11,4 Milliarden Dollar besitzt. 

Citadel Securities, das erst vor zehn Jahren mit dem Devisenhandel begonnen hat, ist nach eigenen Angaben zu einem der fünf grössten Liquiditätsanbieter auf den meisten grossen Devisenhandelsplattformen geworden. Auch Bloomberg LP, die Muttergesellschaft von Bloomberg News, betreibt ebenfalls eine Plattform für den Devisenhandel. 

Während die Gesellschaften versuchen, mitzuhalten, hat sich die Art der Talente, auf die sich die Banken bei der Besetzung ihrer Handelsabteilungen verlassen, stark verändert. Bei der NatWest zum Beispiel ist die Zahl der Händler, die sich auf Group-of-10-FX konzentrieren, in den letzten zwei Jahrzehnten um 70 Prozent gesunken. Stattdessen hat die Bank ein breites Team von Entwicklern und quantitativen Analysten aufgebaut. 

"Die Automatisierung hat nicht zu einem massiven Stellenabbau geführt, sondern nur zu einer Veränderung der Rollen", so John Quayle, Leiter der Kunden-Algorithmus-Ausführung bei der britischen Bank. "Man braucht immer noch Menschen, die das Risiko managen - man muss immer noch verantwortlich sein und, wenn möglich, eingreifen - wie ein Flugzeugpilot.”

(Bloomberg)