Am Donnerstagabend gab der Nahrungsmittelkonzern überraschend einen Chefwechsel bekannt. Der seit 2017 amtierende Mark Schneider wird das Unternehmen nahezu sofort verlassen. Laurent Freixe übernimmt die Führung in einem Moment, in dem dem Konzern an der Börse unter Druck ist. Die Aktie hat seit Jahresbeginn 8 Prozent verloren.
Freixe ist ein langjähriger Nestlé-Veteran, der seine Karriere 1986 als Vertriebs- und Marketingleiter begann. Er leitete mehrere Märkte, bevor er die Verantwortung für die Zone Europa (2008-2014) und anschliessend für die Zone Nord- und Südamerika (2014-2022) übernahm. In den letzten zwei Jahren war er CEO der Zone Lateinamerika. Zudem arbeitet er seit vielen Jahren eng mit Präsident Paul Bulcke zusammen.
Analysten sind sich noch uneinig darüber, was der Wechsel an der Spitze für Nestlé bedeutet. "Für Laurent Freixe wird die Aufgabe nicht einfach“, schreibt die Zürcher Kantonalbank (ZKB) in einer ersten Reaktion. Allerdings habe er die Chance, das Vertrauen zurückzugewinnen. Freixe könne auf grosse interne Unterstützung bauen und bringe umfassendes Branchen-Knowhow mit. Die ZKB geht davon aus, dass Freixe Marktanteile ausbauen und sich auf das Kerngeschäft konzentrieren wolle. Es wäre daher nicht überraschend, wenn Nestlé Health Science (mit einem Umsatz von 6,5 Milliarden Franken) mittelfristig verkauft würde, was von den Investoren mehrheitlich begrüsst würde.
Kommende Monate entscheidend
JPMorgan zeigt sich deutlich skeptischer, wenn auch nicht hinsichtlich der Auswahl des neuen CEOs. Denn Laurent Freixe bringe durch fast vier Jahrzehnte im Konzern ein tiefes Verständnis der einzelnen Bereiche und Geschäfte von Nestlé mit. Daher werde seine Ernennung grundsätzlich begrüsst, so die Analysten. Aber auch wenn die Investoren zuletzt von der operativen Entwicklung bei Nestlé enttäuscht gewesen seien, werfe ein solch unerwarteter und schneller Chefwechsel Fragen auf – beispielsweise hinsichtlich der Auswirkungen auf das laufende Geschäft.
Für JPMorgan ist zudem unklar, ob ein neuer Firmenchef tatsächlich das sei, was das derzeit schwächelnde Unternehmen brauche. Nach der Umsatzwarnung im Halbjahresbericht trage der Wechsel nun eher zu einer noch höheren Unsicherheit bezüglich der Entwicklung im Gesamtjahr 2024 und darüber hinaus bei. Bis das neue Management Klarheit über den weiteren Kurs bringe, dürfte der Aktienkurs unter Druck bleiben.
Mit dem Titel "Big Bang“ und "Back to the Roots“ fasst Vontobel-Experte Jean-Philippe Bertschy die Situation zusammen. Er schliesst sich insgesamt seinen Analystenkollegen an. Auch wenn die jüngste Entwicklung bei Nestlé unterdurchschnittlich gewesen sei, liege es eigentlich nicht in der Tradition des Unternehmens, so abrupte Wechsel vorzunehmen. Jedenfalls seien die Herausforderungen für den neuen CEO umfangreich. Radikale Änderungen erwartet Bertschy allerdings nicht. Vielmehr rechnet er mit einer gewissen Kontinuität bei gleichzeitiger Re-Fokussierung auf die Marken und Konsumenten. "Das Unternehmen muss dringend wieder Stabilität finden, um das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen. Die kommenden Monate (9-Monatszahlen im Oktober, Investorentage im November) werden entscheidend sein“, so Bertschy.
Rücktritt wenig überraschend
Der Rücktritt von Konzernchef Mark Schneider kommt für den zuständigen Analysten von Jefferies angesichts eines zunehmend schwierigen Jahres nicht ganz überraschend. Aufgrund steigender Rohstoffkosten, bevorstehender Preisanpassungen und des CEO-Wechsels könnte Nestlé beim Kapitalmarkttag am 19. November sogar von seiner aktuellen Margenzielspanne für 2025 abweichen, schreibt der Analyst.
Auch die UBS weist darauf hin, dass man angesichts der Entwicklungen des Nahrungsmittelgiganten in den letzten zweieinhalb Jahren mit zahlreichen Negativschlagzeilen über einen Wechsel an der Spitze nicht überrascht sein dürfe. Freixe sei den Investoren gut bekannt und wurde bereits 2016 als potenzieller Nachfolger von Paul Bulcke gehandelt. Insgesamt sei seine Ernennung nun als beruhigend und als Signal zu werten, dass Nestlé zu seinen Wurzeln zurückkehre.
Dennoch gibt es offene Fragen, deren Beantwortung sich die UBS zumindest teilweise von der Telefonkonferenz erhofft. Beispielsweise, wie lange der 62-jährige Freixe den CEO-Posten ausfüllen werde. Auch die Margenziele stünden wohl auf dem Prüfstand, ebenso strategische Punkte wie die Expansion ins Vitamingeschäft. Möglich sei auch ein umfassendes Restrukturierungsprogramm.
4 Kommentare
Werde den Verdacht nicht los, dass Schneider gehen musste damit Bulcke
seinen eigenen Kopf retten konnte. Der gegenwärtige VRP war für mich schon als CEO mehr ein " shopkeeper " als ein Visionär. Die Veränderung die Schneider vorgenommen hat, machten durchaus Sinn. Jetzt einen 62 jährigen als neuen CEO zu präsentieren kann wohl nur eine Notlösung sein. Auch hier überzeugt der VR nicht mit einer Zukunftsvision.
Sehr richtig. Bulkes Ernennung war schon ein egoistischer Fehlgriff Brabecks. Jederman erwartete Paul Poulson, welcher dann umgehend Unilever übernahm ... Brabecks 'Globe'-Projekt verschlang Milliarden und wurde letztlich anch Barcelona ausgelagert. Dann fing er mit den massiven Rückkäufen von Nestle-Aktien an - bis heute ca. 1.5 Milliarden, finanziert durch Verkauf von Alcon, Givaudan, etc. sowie von 10%(!)
l'Oréal, welche 3mal besser läuft als Nestlé - ein Witz, zig Milliarden weg. P. Bulke ernannte er damals wegen dessen 40jährigen Nestlé-Erfahrung ... dann 10 Jahre später U. Schneider aus dem Nichts ohne auch nur einen Tag Erfahrung. Und jetzt Freixe wiederum mit 40jahriger Erfahrung.
Ich sehe die Aktien bei 60, kein Witz leider. Und Alle verdienten 10 Mio pro Jahr.
Wie bereits mehrfach kommentiert hat Nestlé seit vielen Jahren auf Druck institutioneller Investoren häufig mehr Geld in Form von Aktienrückkäufen und Dividenden ausgeschüttet als als Free Cash Flow eingenommen. Dadurch ist die Verschuldung stark gestiegen, ein Teil des Tafelsilbers (L Oreal) wurde verkauft.
Die Margenerwartung war für die Lebensmittelbranche zu hoch. Es wurde zu wenig in Marken und Produktionsanlagen investiert.
Es stellt sich die Frage ob der neue CEO den institutionellen Investoren kommunizieren kann das es einiger Jahre bedarf um Nestlé auf einen Wachstumspfad zurück zu führen.
Mit Verlaub, sehr geehrte Analysten und auch nicht selten Journalisten: die leider (zu) häufig allzu rasch hingeworfenen Meinungen zu Geschehnissen im Unternehmensbereich werden in ihrer Tragweite masslos überschätzt. In der Regel kommen sie zu einem wesentlichen Teil von (selbsternannten) Fachleuten, die noch nie in einer verantwortungsvollen Führungsfunktion einer Unternehmung tätig waren, schon gar nicht in einer Weltfirma wie Nestlé !