Europäische Unternehmensführer sind möglicherweise noch besorgter als ihre US-Kollegen über Donald Trumps Versprechen, Zölle auf alle Importe zu erheben, falls er wieder ins Weisse Haus einzieht. In Telefonkonferenzen europäischer Unternehmen wird in den Quartalszahlen das Thema «Zölle» häufiger erwähnt als in den USA – das Verhältnis lag im Oktober bei 5 zu 2, wie Bloomberg-Daten zeigen.
Ein Sieg des republikanischen Kandidaten über die demokratische Kandidatin Kamala Harris könnte zu weitreichende Handelsbarrieren führen, was besonders schlecht für europäische Aktien wäre. «Wenn die Drohungen mit Zöllen hart und schnell kommen und Europa mit eigenen Gegenzöllen zurückschlägt, werden wir uns an den Smoot-Hawley Tariff Act erinnern, der die Grosse Depression verschlimmerte», sagt Rajeev De Mello, Anlagechef bei Gama Asset Management.
Der Smoot-Hawley Tariff Act, ein am 17. Juni 1930 verabschiedetes Bundesgesetz der Vereinigten Staaten, erhöhte die US-Zölle für über 20'000 Produkte auf ein Rekordniveau. Ziel dieses protektionistischen Gesetzes war es, die Wirtschaft der USA vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Das Gesetz trug massgeblich zum Rückgang des Aussenhandels der Vereinigten Staaten bei. Die Importe der USA sanken zwischen 1929 und 1933 um 66 Prozent von 4,4 Milliarden Dollar auf 1,5 Milliarden Dollar. Die Exporte fielen um 61 Prozent von 5,4 Milliarden Dollar auf 2,1 Milliarden Dollar. Das Gesetz verschärfte die protektionistischen Tendenzen im internationalen Handel.
«Handelsrestriktionen sind generell negativ für die Weltwirtschaft und insbesondere für zyklische Geschäftsbereiche und Hersteller von Produkten mit langen Lieferketten», sagt Daniel Kalt, Chefökonom der UBS, gegenüber cash.ch. Die von Donald Trump angedrohten höheren Zölle würden letztlich von den amerikanischen Konsumenten getragen, was Konsumgüterhersteller mit hohem Marktanteil in den USA belasten dürfte.
Laut Kalt muss auch berücksichtigt werden, dass den Zöllen, die Trump 2018 eingeführt hatte, kräftige Steuersenkungen vorausgingen, die den Effekt der Zölle damals ausgleichen konnten. Diesmal würden unter einer Trump-Administration wahrscheinlich lediglich die bereits beschlossenen und bald auslaufenden Steuersenkungen verlängert, während mögliche breit angelegte Importzölle die Konsumenten erheblich stärker treffen könnten.
Ähnlich sieht es auch Anastassios Frangulidis, Chefstratege von Pictet Asset Management: «Die Erhöhung von Importzöllen verursacht Vergeltungsmassnahmen seitens der betroffenen Länder. Wie stark der Schaden für den Handel und die betroffenen Unternehmen ausfällt, hängt wesentlich von der Ausgestaltung der Importzoll- bzw. Vergeltungsmassnahmen ab.» Grundsätzlich könne man sagen, dass solche Massnahmen einen negativen Einfluss auf die Inflation sowie auf die Risikoprämien vieler Finanzanlagen haben. Folglich wären die Finanzmärkte und aus konjunktureller Sicht der Konsum, die Investitionen und damit das Gesamtwachstum negativ betroffen.
In diesem Jahr liegen europäische Aktien weit hinter ihren US-Pendants zurück. Der STOXX Europe 600 liegt nur knapp 6 Prozent höher, während der S&P 500 21 Prozent zugelegt hat.
Die Gewinnsaison hat holprig begonnen, und es bestehen Zweifel, ob Chinas Konjunkturmassnahmen die regionale Wirtschaft ankurbeln können. Die Rückkehr einer Trump-Regierung würde zusätzliche Gegenwinde verursachen. «Im Falle eines Wahlsiegs von Trump sollte man Long-Positionen in US-Small Caps und Short-Positionen in europäischen Unternehmen eingehen, die stark vom Export abhängig sind», sagt Guy Stear, Leiter der Strategie für Industrieländer beim Amundi Investment Institute.
Europäische Aktien schnitten während Trumps Präsidentschaft in lokaler Währung schlechter ab als ihre US-Pendants. Besonders der Bergbausektor wurde 2018 hart getroffen, als Trump Zölle auf europäische Stahl- und Aluminiumimporte verhängte.
Belastung für Gewinnwachstum
«In einem Worst-Case-Szenario eines ausgewachsenen Zollkriegs mit Vergeltungsmassnahmen schätzen wir das Potenzial für eine mittlere bis hohe einstellige Belastung des europäischen Gewinnwachstums pro Aktie», so die Barclays-Strategen um Emmanuel Cau. Die Konsensprognosen von über 10 Prozent Gewinnwachstum im nächsten Jahr könnten durch einen Handelszollstreit grösstenteils zunichte gemacht werden. Besonders gefährdet wären Deutschland, Italien sowie die Branchen Investitionsgüter, Automobile, Getränke, Technologie und Chemikalien.
Die EU erzielte 2023 einen Handelsüberschuss von über 150 Milliarden Euro mit den USA. «Besonders stark würde es die bereits angeschlagene Wirtschaft in Deutschland treffen. Eine lückenlose Umsetzung der Strafzölle könnte das BIP in Europa um bis zu 1 Prozent senken und 2025 nahe an die Nullgrenze bringen», warnt Matthias Geissbühler, Anlagechef von Raiffeisen, gegenüber cash.ch. Unternehmensgewinne würden in diesem Szenario ebenfalls deutlich sinken.
Ems-Chemie, Clariant, Autoneum oder Bossard betroffen
Wie stark wäre die Schweiz betroffen? Im Jahr 2023 sanken die Exporte um 1,2 Prozent auf rund 274 Milliarden Franken. Der Handel zwischen den USA und der Schweiz hingegen boomt: In den letzten 20 Jahren haben sich die Exporte aus der Schweiz in die USA von 14 Milliarden auf 49 Milliarden Franken mehr als verdreifacht. Die USA sind inzwischen noch vor Deutschland der wichtigste Exportmarkt für Schweizer Unternehmen.
«Die Schweiz als kleines, offenes Land mit einem sehr kleinen Binnenmarkt ist zudem stärker von Importen und Exporten abhängig als grosse Wirtschaftsräume», fügt Kalt hinzu. Ein Zollkrieg würde zwar fast alle Sektoren treffen, einige jedoch stärker als andere. Weniger betroffen wären Dienstleistungsunternehmen und Firmen mit einem Fokus auf ihren Heimmarkt.
Ein solches Unternehmen ist beispielsweise die Cembra Money Bank. Die Aktien des Kreditinstituts haben in diesem Jahr um 21 Prozent zugelegt. Die Konsumkreditbank Cembra Money Bank hat im ersten Halbjahr 2024 sowohl den Ertrag als auch den Gewinn gesteigert.
«Um die Frage zu beantworten, welche Unternehmen besonders darunter leiden würden, müssten wir wissen, ob Schweizer Unternehmen von den Zollmassnahmen direkt betroffen sind und in welchem Ausmass. Ich denke aber, dass global und besonders aussereuropäisch orientierte Exportunternehmen die negativen Auswirkungen stärker spüren würden», urteilt Frangulidis.
«Auch Schweizer Unternehmen wären von einer Eskalation im Handelskonflikt und zusätzlichen Zöllen betroffen», ist auch Geissbühler überzeugt. Insbesondere Zulieferer für die Maschinenbau- und Automobilindustrie würden stark beeinträchtigt werden. Dies trifft vor allem Firmen, die europäische und chinesische Unternehmen beliefern, wie Ems-Chemie, Clariant, Autoneum und Bossard.
Auch einige Medtech-Firmen könnten Gegenwind spüren. «Wenig betroffen sind Unternehmen, die über Produktionsstandorte in den USA verfügen und den lokalen Markt direkt bedienen, oder solche, die kein direktes Exposure zu den USA haben, wie Swisscom, Geberit, SPS, PSP, Allreal, BKW und die Kantonalbanken.»