Der Kaffeepreis ist letzte Woche in New York auf mehr als 8 Dollar pro Kilo gestiegen. Das ist der höchste Stand seit über fünfzig Jahren. Und auch die Kakaopreise halten sich aufgrund von Versorgungsengpässen hartnäckig auf sehr hohem Niveau. Wurde vor vier Jahren für eine Tonne Kakao noch 2'300 Dollar aufgerufen, kostet diese aktuell knapp 10'000 Dollar. Das Allzeithoch von 12'084 Dollar wurde Mitte Januar erreicht.
Hintergrund für die steigenden Kaffeepreise ist die anhaltende Dürre im grössten Anbauland Brasilien. Starke Exporte zu Beginn der Saison verstärken nun die Versorgungsknappheit, da lokale Landwirte zu diesem Zeitpunkt des Jahres mehr von ihrer Ernte verkauft haben als üblich. Das wirft die Frage auf, wie viel Kaffee in den nächsten Monaten noch exportiert werden kann.
Während der Fokus der Anlegerinnen und Anleger wegen des hohen Kakaopreises in jüngster Zeit hauptsächlich auf Lindt&Sprüngli sowie Barry Callebaut lag, rückt nun Nestlé ins Zentrum des Interesses. Der kriselnde Nahrungsmittelhersteller aus Vevey wird am Donnerstag den Jahresabschluss sowie einen Ausblick für das laufende Jahr vorlegen.
Jean-Philippe Bertschy, Leiter Aktienanalyst bei Vontobel, bestätigt auf Anfrage von cash.ch das, was aufgrund der gestiegenen Rohwarenpreise befürchtet werden muss: «Sowohl der Kaffee- als auch der Kakaopreis werden sich im Jahr 2025 negativ auf Nestlé auswirken. Die Höhe dieses Einflusses wird von den von Nestlé geplanten Preiserhöhungen sowie zusätzlichen Massnahmen, wie etwa Effizienzsteigerungen, abhängen.»
Der UBS-Analyst Guillaume Delmas hat die hohen Kakaopreise genauer unter die Lupe genommen und die Nestlé-Zahlen der jüngsten Vergangenheit mit den Konkurrenten Mondelez und Hershey verglichen. Seit dem ersten Quartal 2020 hat die Süsswarenabteilung von Nestlé ihre Preise um fast 20 Prozent erhöht, was deutlich unter den kumulierten Preismassnahmen von Mondelez von 38 Prozent der letzten fünf Jahre oder den 28 Prozent von Hershey liegt.
«Unseres Erachtens war dieser relativ umsichtige Ansatz bei der Preisgestaltung zu einem grossen Teil für die Schwäche der Bruttomarge des Konzerns und infolgedessen für die deutliche Reduzierung der Ausgaben für Werbung und Marketing verantwortlich. Allerdings zeigt unsere Analyse auch, dass Nestlé-Süsswaren auf Basis des realen internen Wachstum (RIG = Kennzahl Volumen und Produkte-Mix, Anm. der Red.) eine deutliche Outperformance erzielt haben, da das Unternehmen sein Volumen-Mix in den letzten 5 Jahren um 13 Prozent gesteigert hat - im Vergleich zu 8 Prozent beziehungsweise 3 Prozent bei Mondelez und Hershey».
Die Sensitivitätsanalysen der UBS legen bei Nestlé ein reales internes Wachstum (RIG) unter der aktuellen Konsenserwartung nahe, falls die Preiselastizität steigt und die Süsswarenpreise dieses Jahr über einem Plus von 4 Prozent zu stehen kommen. Oder anders formuliert: Die Marge des zugrunde liegenden operativen Gewinns von Nestlé für 2025 könnte unter die Konsensquote von 16,2 Prozent fallen, sollte die operative Gewinnmarge für Süsswaren um mehr als 400 Basispunkte schrumpfen.
«Angesichts einer grösser als üblichen Volatilität aufgrund geopolitischer, handelspolitischer und regulatorischer Unsicherheiten nach Analyse der Ergebnisse von Konkurrent Mondelez gehen wir davon aus, dass Nestlé nächste Woche bei der Veröffentlichung der Ergebnisse für das Geschäftsjahr 2024 auf Nummer sicher gehen und einen operative Gewinnmarge von rund 16,0 Prozent anpeilen wird», so die Einschätzung des UBS-Analysten. Gar noch negativer sieht das die US-Investmentbank Jefferies. Deren Analyst meint, Nestlé könnte gar eine Marge von nur 15,5 Prozent in den Raum stellen.
Verschiedene Implikationen für den Aktienkurs
Sollte Nestlé am nächsten Donnerstag beim Ausblick für 2025 tatsächlich eine operative Gewinnmarge unter den Konsensuserwartungen kommunizieren, so dürfte es zwar nicht zu einer erneuten, grossen Verkaufswelle bei den Aktien kommen. Die Nestlé-Valoren werden gemäss einem Börsenhändler derzeit mit einem Abschlag von etwa 25 Prozent gegenüber der durchschnittlichen Bewertung des letzten Jahrzehnts gehandelt. Der Ausverkauf sei zu weit gegangen. Zudem haben die Anlegerinnen und Anleger, die verkaufen wollten, dies bereits getan.
Entscheidend wird sein, wie CEO Laurent Freixe, der im September von Mark Schneider die Leitung des Konzerns übernahm, das Unternehmen konkret umgestalten will. Kurz nach seinem Amtsantritt reduzierte Freixe das Ziel für das organische Umsatzwachstum in diesem Jahr weiter und sagte, er überprüfe das Produktportfolio von Nestlé. Von Verkäufen von Unternehmensteilen wie dem Wassergeschäft hat der CEO damals Abstand genommen. Der Analystenkonsens für das organische Umsatzwachstum liegt bei etwas über 2 Prozent.
Ein tiefes Margenziel für 2025 könnte aber einer nachhaltigen Kurserholung im Wege stehen - und es würde in dem Fall nicht überraschen, wenn der Nestlé-Kurs in nächster Zeit in einer Spanne von 73 bis 82 Franken vor sich hindümpeln würde. Derzeit handelt die Aktie etwas über 77 Franken, was einem Wertzuwachs von rund 3 Prozent in diesem Jahr entspricht. Vor drei Jahren stand die Aktie bei knapp 130 Franken.
Eine pointierte Einschätzung zur aktuellen Ausgangslage kommt von Olivier Nicolai, Analyst bei Goldman Sachs. Für den Experten befindet sich Nestlé erst «in der frühen Phase einer Trendwende». Es könnte mehr Geduld gefragt sein, bis der Nahrungsmittel-Multi wieder auf Kurs kommt. Dies wird vor allem auch davon abhängen, welchen Kurs Nestlé bei der Dividendenpolitik einschlägt. Erhöht der Konzern die Dividende nicht in dem Ausmass wie erwartet (um 3 Rappen pro Aktie) oder kürzt er sie gar, käme das am Markt kaum gut an.