Den USA droht an den Kapitalmärkten ein schmerzlicher Wendepunkt. Ein weltweiter Handelskrieg historischen Ausmasses und gigantische Investitionspakete Europas führen dazu, dass immer mehr Investoren ihre Gelder aus den USA abziehen und Europa bevorzugen. Dass sich die im November nach dem Wahlsieg von Donald Trump entfachte euphorische «America First»-Stimmung gedreht hat, wird vor allem am Aktienmarkt deutlich: Während der Aktienindex S&P 500 in diesem Jahr um 1,8 Prozent nachgab, legten europäische Titel kräftig zu. Der Dax sticht mit einem Zuwachs von mehr als 16 Prozent und Rekordständen von zuletzt oberhalb der 23'400 Punkte dabei besonders heraus.

Die Umkehr der Geldströme zeigt sich auch am Euro-Dollar-Verhältnis. Die Devisenstrategen müssen ihre noch vor kurzem verfassten Prognosen einer drohenden Parität zur US-Devise überarbeiten. Die europäische Gemeinschaftswährung steht mit rund 1,08 Dollar auf einem Vier-Monats-Hoch, während der Dollar-Index abtaucht. Dabei braucht Präsident Trump einen starken Dollar, um sein Versprechen einer blühenden US-Wirtschaft einzulösen. Doch mit seiner erratischen Zollpolitik schneidet sich Trump Experten zufolge zunehmend ins eigene Fleisch. «Das Verhalten von Trump hat die Attraktivität von US-Vermögenswerten im Allgemeinen verringert», sagt Mark Dowding, Investmentexperte bei RBC.

Experte: Trump spielt mit dem Feuer

Seit Trump am 20. Januar ins Weisse Haus zurückgekehrt ist, haben seine rasanten Zollmassnahmen die Risikomärkte erschüttert, das Vertrauen von Verbrauchern und Unternehmen beeinträchtigt und die Befürchtung geweckt, dass seine zweite Amtszeit nicht so marktfreundlich sein könnte wie erwartet. Mittlerweile werden Importzölle von jeweils 25 Prozent auf Waren aus den Nachbarländern Kanada und Mexiko fällig. Bestehende Zölle auf chinesische Waren wurden von zehn auf 20 Prozent verdoppelt. Die drei betroffenen Länder reagierten umgehend mit Vergeltung und kündigten ihrerseits neue Zölle auf US-Waren an.

Die Investoren reagieren verschnupft. Der Index der US-Banken hat im vergangenen Monat acht Prozent verloren, während sein europäisches Pendant um 15 Prozent gestiegen ist. Um ihre Portfolios breiter abzusichern, pumpen die Anleger Geld nach Europa. «Als Regierung spielt man hier gewissermassen mit dem Feuer», sagt George Cipolloni, Portfoliomanager bei Penn Mutual Asset Management. In den vergangenen drei Jahren hatten sie auf die USA gewettet, da das Land in den Bereichen Wirtschaftswachstum, Aktienkurse, künstliche Intelligenz und anderen die Nase vorn hatte. Zwar will Trump letztlich mittels der Zoll-Daumenschrauben die Produktion wiederbeleben und das Wachstum ankurbeln. Investoren befürchten jedoch, dass sie angesichts des schwächelnden Verbrauchervertrauens die Wirtschaft letztlich belasten könnten.

Konjunktur-Booster treibt Rally - keine Überhitzung in Sicht

Trumps aussenpolitisches Gebaren zwingt die europäischen Staats- und Regierungschefs zudem, die Finanzierung ihrer eigenen Sicherheit grundlegend zu überdenken. Deutschland vollzieht mit einem angekündigten Konjunkturpaket eine Wende in der Fiskalpolitik und schaltete damit den Turbo am Aktienmarkt ein. Die angestrebte Reform der Schuldenbremse und die geplanten höheren Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur der neuen Bundesregierung unter einem designierten Kanzler Friedrich Merz dürften Ökonomen zufolge der deutschen Wirtschaft und letztlich auch der Euro-Zone Schub verleihen. «Was hier wirklich passiert ist, ist, dass diese Androhung von Zöllen und die Aggressivität Trumps andere Länder dazu zwingt, mehr auszugeben», sagt Dario Perkins, vom Wirtschaftsberatungsunternehmen TS Lombard.

Die Party am europäischen Aktienmarkt könnte Experten zufolge daher noch anhalten. Denn obwohl neue Höchststände erreicht wurden, erscheint die Rally nach Einschätzung von eToro-Marktanalyst Lake Akoner insgesamt gemässigt. «Derzeit handeln 74 Prozent der Indexwerte über ihrem 200-Tage-Durchschnitt – ein deutlich niedrigerer Wert als die 96 Prozent bei vergangenen Markthochs», fasst Akoner zusammen. «Dies deutet darauf hin, dass der positive Trend zwar anhält, aber nicht überhitzt ist.» Hingegen bleibe die hohe Bewertung für den US-Aktienmarkt die Achillesferse. «Ein künftig erwartetes Kurs-Gewinn-Verhältnis von 21,2 macht den S&P 500 anfällig – die Bewertung liegt klar über dem Zehn-Jahres-Durchschnitt.» 

(Reuters)