Ob es soweit kommt, ist derzeit unklar - schliesslich gilt im Moment noch ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und den beiden Nachbarstaaten. Dennoch geben die Drohungen einen ersten Eindruck darauf, was auf die europäische Industrie in den kommenden Jahren zukommt. Sollten die Strafabgaben tatsächlich erhoben werden, könnten sie nach Einschätzung von Analysten und Experten weitreichendere Auswirkungen haben als höhere Zölle auf Importe aus Europa.
In den vergangenen Jahren hat sich Mexiko zu einem wichtigen Standort für die weltweite Autobranche entwickelt. Europäische Hersteller wie Stellantis und Volkswagen, US-Konzerne wie Ford und GM sowie zahlreiche Zulieferer haben sich in dem Land angesiedelt, um von den günstigeren Löhnen bei gutem Zugang zum US-Markt zu profitieren. Sollten nun ab Januar Abgaben fällig werden, würde das dieses Geschäftsmodell ins Wanken bringen. Die Zeit wäre zu kurz, um die Lieferketten umzustellen, schrieben die Analysten von Bernstein. «Die Auswirkungen auf US-Hersteller wären so gross, dass man sich im Moment schwer vorstellen kann, dass es mehr ist als Verhandlungstaktik von Trump.»
80 Prozent der Autos aus Mexiko gehen in die USA
2023 wurden aus Mexiko in etwa so viele Autos in die USA importiert wie aus der Europäischen Union - und für die Fabriken in dem mittelamerikanischen Land sind die USA der mit Abstand wichtigste Abnehmer. Rund 80 Prozent aller Fahrzeuge, die in Mexiko gebaut wurden, gingen in den ersten sieben Monaten des Jahres in das nördliche Nachbarland, wie der mexikanische Branchenverband vorrechnet. Entsprechend gross wären die Auswirkungen, sollte dieser Absatzkanal nicht mehr so gut funktionieren. Die Analysten der Investmentbank Intermonte gehen davon aus, dass etwa beim italienisch-französisch-amerikanischen Hersteller Stellantis, zu dem Marken wie Chrysler, Jeep, Opel, Fiat und Peugeot gehören, jeder Prozentpunkt Zusatzzoll den Vorsteuergewinn um ungefähr 160 Millionen Euro reduzieren könnte. Nach Reuters-Berechnungen könnten damit die von Trump ins Spiel gebrachten Zölle bis zu rund vier Milliarden Euro Gewinn kosten.
Stellantis betreibt derzeit zwei Werke in Mexiko: In Saltillo werden die Pick-up-Trucks und Kleinbusse der Marke Ram gebaut, in Toluca rollen mittelgrosse SUVs des Typs Jeep Compass vom Band. Vergangene Woche sagte der Chef der Marke Ram, das Unternehmen sei offen dafür, eine geplante Produktionsverlagerung in Niedriglohnländer zu überdenken, sollte Trump Zölle erheben.
Auch für VW ist Mexiko ein wichtiger Produktionsstandort, obwohl Europas grösster Autobauer ein grosses Werk in Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee betreibt. So werden die Langversion des Bestsellers Tiguan, der Jetta und der Taos im grössten mexikanischen Werk in Puebla gefertigt, vor allem für den US-Markt. Daniel Schwarz, Analyst bei der Investmentbank Stifel, rechnet vor, dass ungefähr zwei Drittel der Autos, die VW in den USA verkauft, nicht mehr wettbewerbsfähig wären.
Dazu kommt: Die Ingolstädter Premiumtochter Audi verfügt derzeit über keine Produktionskapazitäten in den USA, sondern nutzt ebenfalls ein Werk in Mexiko. Erst im Sommer hatten die Ingolstädter angekündigt, den Nachfolger des grossen elektrischen SUV Q8 e-tron nicht mehr in Brüssel, sondern in Mexiko zu bauen - das Fahrzeug ist vor allem für den US-Markt wichtig.
Produktion in die USA verlagern
Ein Ausweg für die Unternehmen wäre, die Produktion so zu verlagern, dass keine oder geringere Zölle anfallen. In den vergangenen Jahren haben europäische Autobauer und Zulieferer massiv in eigene Werke in den USA investiert, vor allem in den traditionell republikanischen Südstaaten. BMW etwa betreibt in South Carolina sein weltweit grösstes Werk und baut dort jährlich um die 400.000 Autos, von denen etwa die Hälfte exportiert wird. Anfang November sagte BMW-Chef Oliver Zipse vor Analysten, dass die Anlagen verstärkt für den US-Markt genutzt werden könnten. «Es besteht damit eine natürliche Absicherung gegenüber möglichen Zöllen.» Aus Mexiko importiert BMW vor allem den 3er in die USA; sollte sich das wegen höherer Zölle nicht mehr rechnen, könnte der 3er auch aus München in die USA gebracht werden.
Und so bereiten sich die Autobauer auf unterschiedliche Szenarien vor, ohne zu wissen, was wirklich auf sie zukommt. «Wenn wir in Betracht ziehen, was Trump in der Vergangenheit gemacht hat, wird er die Drohung mit Zöllen als Hebel benutzen», sagte Nick Klein, Logistikexperte beim Analysehaus OEC Group. «Aber es ist unmöglich zu sagen, was er als nächstes tun wird.»
(Reuters)