Bei der Finanzierung von Unternehmen durch Kryptowährungen ist die Schweiz top: Von den auf der Welt 15 grössten ICOs im Jahr 2017 stammen vier aus der Schweiz. Allein diese vier Unternehmen – Das (umstrittene) Fintech Tezos, die Trading Plattform Bancor, die Risikokapitalgesellschaft The Dao und der Mitteilungsdienst Status nahmen zusammen 631 Millionen Dollar ein. Auch Daten aus dem laufenden Jahr legen den Schluss nahe, dass der Trend weitergeht und die Schweiz weiter zu den Top-Standorten für ICOs gehört.
Diese Transaktionen werden etwas irreführend "digitale Börsengänge" genannt - irreführend deswegen, weil es bisher keine zentrale Börse im Sinne des Aktien- oder Obligationenmarktes gibt. Beim ICO stellt ein Startup in einem "White Paper" seine Ideen vor und gibt Token oder digitale Münzen heraus. Mit anderen Worten: Es entsteht eine Kryptowährung. Investoren können die Token in andere Kryptowährungen tauschen, beispielsweise Bitcoin. Umgekehrt können sie auch ihre schon vorhandenen Bitcoins dazu verwenden, in einem ICO Token zu erwerben.
Das Problem bei diesem Geschäft ist aktuell: Es tummeln sich seriöse Firmen und Anleger in diesem Bereich genauso wie Scheinunternehmen oder Spekulaten. Hinter manchen ICOs weiss man nicht, was sich dahinter für ein Unternehmen oder Geschäftsmodell verbirgt. Die Regulierung ist weltweit unterschiedlich und oft noch lückenhaft.
Die Szene wandelt sich allerdings rasch: "2018 dürfte für viele ICOs zum make-or-break Jahr werden", sagt Nils Reimelt von der Zürcher Beratungsfirma Capco. Es müsse davon ausgegangen werden, dass viele Firmen verschwinden werden, einige sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen. Andererseits werde sich das Geschäft mit ICOs auch schnell professionalisieren.
Mehr Stabilität
Ein ICO-Prozess wird demzufolge einem Börsengang oder IPO einer Aktiengesellschaft künftig nicht unähnlich sein, damit natürlich für Firmen auch teurer: ICOs werden an Compliance-Anforderungen geknüpft sein. Das White Paper wird vermehrt den Charakter des Börsenprospekts bekommen und damit bestimmte Informationserfordernisse erfüllen müssen. Der abenteuerliche Charakter von ICOs dürfte durch all dies abnehmen, dafür erhält die Finanzierungsform mit mehr Regeln auch mehr Stabilität.
Viele Investoren sind sich nicht darüber im Klaren, dass sie mit einem Token allein heute keinen Anteil an einer Firma besitzen. Manche Token sind reine Zahlungstoken, also eine Kryptowährung, die je nach dem an Wert gewinnt oder nicht. Bei manchen ICOs erlauben die Token auch den Zugang zu bestimmten Dienstleistungen, dann spricht man von Nutzungs-Token.
Im Sinne der Professionalisierung von ICOs werden Investoren wohl weitere Rechte berücksichtigt haben wollen: "Sie werden auch interessiert sein an Stimmrechten, Rechtssicherheit und Gewinnanteilen", sagt Niels Reimelt. Startups wie auch Regulatoren werden diese Aspekte stärker beachten müssen.
Finanzierungsmodelle werden beachtet
Die Regulierung sei jetzt schon ein wichtiger Faktor für ICO-Standorte geworden, sagt Daniel Diemers, Partner und Blockchain-Experte beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen PWC Strategy: "Startups wie auch Investoren sind an Standorten interessiert, die eine solide Regulierung aufweisen. In diesem Zusammenhang etwa haben die USA im Vergleich zu noch vor einem Jahr und auch gegenüber der Schweiz deutlich aufgeholt und an Attraktivität gewonnen."
Die Schweiz gilt wie Hongkong und Singapur zu den progressiven Regulatoren, während die EU, China und bis vor kurzem auch die USA in Sachen ICO als eher restriktiv galten. Investoren werden aber auch genauer wissen wollen, was sie finanzieren: Nicht nur die Geschäftsidee wird von Interesse sein, sondern auch das Finanzierungsmodell.
"Bei der Finanzierung sind hybride Modelle sicherlich ein Pluspunkt, beispielsweise durch eine Mischform aus ICO und der Unterstützung durch klassische Risikokapitalgeber", sagt PWC-Experte Diemers. "Bei Risikokapitalgebern handelt es sich um versierte, anspruchsvolle Investoren, welche die Nähe zu den Teams suchen und ihre Anlagen gründlich durchdenken". Neben Regulierung und Compliance werde bei ICOs verstärkt auf Transparenz, Erfahrung der Teams oder die Governance innerhalb der Firmen geachtet.
Swiss Alps Energy geht an den Start
Wie lebendig die ICO-Szene ist, zeigte sich für vor wenigen Tagen erneut. Da hat das Startup Swiss Alps Mining & Energy (SAE) angekündigt, am 15. Juni sein ICO zu wagen. Diese Firma will überall in den Alpen in Ställen und ähnlichen Gebäuden Container mit Minern aufstellen, also zum Schürfen von Kryptowährungen verwendete Rechner. Swiss Alps Energy will auch Rechenkapazitäten vermieten, an Kunden etwa, die mit der Blockchain-Technologie arbeiten wollen. Die Höhenlage soll die Container kühlen und damit beachtlich Energie einsparen. Zwei dieser Container existieren schon.
Swiss Alps Energy legt mit diesen Angaben im Gegensatz zu anderen Unternehmen ein weitreichendes Konzept und auch ein fertiges Produkt vor und zeigt so auf, wie das erhobene Kapital verwendet werden soll. Der Token, den Swiss Alps Energy im Zuge des ICO gegen Bitcoin ausgibt, gibt Investoren den Zugang zu gewissen Dienstleistungen, ist also nicht nur eine Krypto-Währung, sondern auch ein Nutzungs-Token. Gewisse Fragen zum Geschäftsmodell wie etwa die Sicherstellung der Stromversorgung der dezentral aufgetellten Container sind allerdings noch etwas unklar.
Swiss Alps Energy hat sich bisher über Eigenmittel finanziert und will nun mit dem ICO bis zu 100 Millionen Franken einnehmen. Je mehr das ICO abwirft, desto stärker soll expandiert werden. Kommt tatsächlich diese Menge an Kapital herein, wäre dies eines der grössten ICOs in der Schweiz – in einem Markt, der nach wie vor wild wächst und unübersichtlich ist, aber in relativ kurzer Zeit wesentlich strengere Strukturen erhalten könnte.