Die Energiekrise riss tiefe Furchen in die gasintensive Industrie. Chinesische Konkurrenten sind nicht mehr auf deutsches Knowhow angewiesen und die Verbraucher im Reich der Mitte bevorzugen zunehmend lokale Marken. Der zu erwartende protektionistische Kurs der USA unter dem designierten Präsidenten Donald Trump bedroht die für Deutschland existenziellen Exporte.
Regierungskritiker sagen, Berlin habe zu viel Zeit mit Streitigkeiten über die Schuldenbremse verschwendet, anstatt strukturelle Probleme wie die ausufernde Bürokratie und die marode Infrastruktur anzugehen. Mit dem Bruch der Koalition im November und geplanten Neuwahlen im Februar gibt es wenig Hoffnung auf schnelles politisches Handeln.
Was ist passiert?
Die deutsche Wirtschaft stagniert seit zwei Jahren. Anzeichen für eine Besserung? Fehlanzeige. Heimische Unternehmen erwarten auch mit Blick auf die kommenden zwölf Monate kein Wachstum. Die Produktionsleistung sinkt seit 2017 in zunehmenden Tempo. Die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen zwei Jahren stetig gestiegen und erreichte im November 6,1 Prozent. Einer Studie von Creditreform zufolge stiegen die Unternehmensinsolvenzen 2024 um 24 Prozent auf 22'400 – der höchste Stand seit 2015.
Und das, obwohl Deutschland in der Fertigung eigentlich immer noch einen hohen Stellenwert hat. Zum Vergleich: Deutschland hat zwar nur ein Viertel so viele Einwohner wie die USA, doch seine Exporte liegen bei 80 Prozent der amerikanischen. Dank des hohen Ansehens der technischen Ausbildung hierzulande streben viele kluge Köpfe eine Karriere in der Industrie an. Der Pool an kleinen, agilen Herstellern ist immer noch gross — von Deindustrialisierung kann noch keine Rede sein.
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist allerdings ein entscheidender Bestandteil der Erfolgsgeschichte der deutschen Industrie weggebrochen: billiges russisches Gas. Die folgenden Sanktionen beendeten diese Gasversorgung grösstenteils, und sorgten für einen Energiepreisschock. Das traf insbesondere die Chemie- und Stahlindustrie, die hohe Mengen Gas benötigen.
Die laufende Umstellung des Landes auf erneuerbare Energien verspricht reichlich billigen Strom, aber es wird Jahre dauern, bis sie Früchte trägt.
Welche Rolle spielt China?
China war lange Zeit ein unersättlicher Abnehmer von «Made in Germany»-Produkten, von Adidas-Schuhen über Maschinenzubehör bis hin zu Automarken wie BMW oder Porsche. Um den Zugang zum grössten Markt der Welt zu erleichtern, gründeten deutsche Unternehmen chinesische Töchter und boten im Gegenzug ihr Fachwissen an. Doch mittlerweile hat sich China weiterentwickelt. Das Wirtschaftsmodell Pekings verschiebt sich immer mehr von einer Niedrigpreisproduktion hin zu hochwertigen Gütern, die traditionell Deutschlands Stärke waren.
Das wird vor allem bei Elektrofahrzeugen deutlich: Während deutsche Autobauer den Übergang zur E-Mobilität verschlafen haben, punkten chinesische Hersteller wie BYD und Nio mit besser ausgestatteten Modellen.
Wo liegen die Ursachen der Krise?
Ökonomen zufolge sind die Probleme Deutschlands zum Teil hausgemacht: Bürokratie bremst Investitionen und Innovationen. Die öffentliche Infrastruktur dürstet nach Finanzspritzen. Die Einführung digitaler Technologien, die die Produktivität steigern könnten, verläuft zäh.
Der Blick zurück in die frühen 2000er Jahre erklärt, warum diese Probleme lange Zeit ignoriert wurden. Eine von Altkanzler Gerhard Schröder initiierte Reform des Sozialsystems und des Arbeitsmarktes mündete in einem wirtschaftlichen Aufschwung. Die Arbeitskosten sanken, was die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie beflügelte — gerade zu dem Zeitpunkt, als in China die Nachfrage nach Kapital und Konsumgütern stark anstieg.
So boomten die deutschen Exporte — und notwendige Massnahmen wie die Modernisierung der Infrastruktur wurden ignoriert.
Dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge reichen die öffentlichen Investitionen seit den 1990er Jahren kaum aus, um Abschreibungen auszugleichen. Der Bund ist unter den Industrieländern beim Thema öffentliche Investitionen eines der Schlusslichter. «Die für Investitionen vorgesehenen Mittel werden regelmässig nicht ausgeschöpft, oft aufgrund von Personalmangel in den Kommunen«, so ein IWF-Bericht vom März.
Seit der Einführung der Schuldenbremse 2009 unter der damaligen Kanzlerin Angela Merkel, gibt es einen strengen Rahmen für Staatsausgaben: Es gilt eine jährliche Obergrenze der Neuverschuldung von 0,35 Prozent des Bruttoinlandprodukts.
Und dann wäre da noch das Problem des demografischen Wandels. Laut IWF wird sich das Wachstum der Erwerbsbevölkerung in Deutschland in den kommenden fünf Jahren verglichen mit den G7-Ländern am stärksten verlangsamen. Eine alternde Bevölkerung wird mehr Pflege benötigen und Arbeitskräfte aus anderen Branchen abziehen. Und der Arbeitskräftemangel geichzeitig Investitionen erschweren.
Was unternimmt die Regierung?
Mit 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt Deutschlands Verschuldung weit unter den 110 Prozent Frankreichs und den 140 Prozent Italiens. Theoretisch gibt es also vergleichsweise mehr Spielraum für Kredite und Konjunkturspritzen.
Aus den Wahlen im Februar dürfte vermutlich CDU-Chef Friedrich Merz als Sieger hervorgehen, der für weniger Regulierung sowie Steuersenkungen steht. Er hat zudem Offenheit bekundet, die Schuldenbremse zu reformieren und öffentliche Investitionen zu erhöhen. Merz sieht die Zeit für »eine grundlegende Kurskorrektur» gekommen.
«Es führt kein Weg daran vorbei, zu investieren», sagte Siemens-CEO Roland Busch gegenüber Bloomberg TV.
Eine schrumpfende Bevölkerung bedeutet, dass mehr Einwanderer integriert und ausgebildet werden müssen. Die rechtspopulistische AfD – inzwischen die zweitgrösste politische Kraft in Deutschland – wird alles daransetzen, dies zu verhindern.
Wie kommt die deutsche Industrie zurecht?
Am stärksten von der Krise betroffen sind energieintensive Branchen wie die Metall- und Chemieindustrie.
Stahlproduzenten wie Thyssenkrupp und Salzgitter bauen Stellen ab. Laut einer EY-Studie plant jeder dritte deutsche Industriekonzern, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Hersteller von Solarmodulen stecken angesichts der staatlich unterstützten China-Rivalen tief in der Krise.
Einige Hersteller haben deshalb auf die Produktion hochwertiger Güter in geringeren Stückzahlen umgestellt. Besonders stark betroffen sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die über deutlich geringere finanzielle Puffer verfügen. Sie machen mehr als 90 Prozent der deutschen Unternehmenslandschaft aus.
Aber auch industrielle Schwergewichte bekommen die Auswirkungen zu spüren. Europas grösster Autobauer, Volkswagen, erwägt zum ersten Mal in seiner 87-jährigen Geschichte die Schliessung von Fabriken. Der Wert von Elon Musks Elektroautohersteller Tesla ist inzwischen mehr als viermal so hoch wie der Wert der gesamten deutschen Autoindustrie.
(Bloomberg)
5 Kommentare
Der Autor ist offensichtlich sehr grün. Deshalb hat er die Hauptherausforderung der D Wirtschaft auch nicht verstanden, oder benannt.
"Die laufende Umstellung des Landes auf erneuerbare Energien verspricht reichlich billigen Strom, aber es wird Jahre dauern, bis sie Früchte trägt." ist eine Parodie. Wenn man abgeschriebene Kernkraftwerke und Braunkohlekraftwerke still legt und im Gegenzug lediglich dreckige Solarpanels und umweltschädliche Windmühlen installiert die wertlosen Strom entsprechend der Zufälle des Wetters, Tages- und Jahreszeit produzieren dann ist das Ergebnis das Gegenteil von billigem Strom.
Die ideologische Verteuerung der Energie ist die Hauptherausforderung der deutschen Industrie.
Deutschland hat zu lange an veralteten Strukturen festgehalten und sich industriell nicht erneuert. Dadurch ist Innovation blockiert worden. Parallel dazu ist die Infrastruktur Deutschlands nicht erneuert worden, was zu abnehmender Leistungsfähigkeit führt. Es gibt in Deutschland also einen Innovations- und Erneurungsstau, der dringend abgebaut werden muss.
In der Schweiz haben wir diese Fehler nicht gemacht, dafür haben wir unsere Industrie fast vollständig verloren. Während Deutschland sich auf alten Strukturen erneuern kann, fehlt uns schon die Basis, um den industriellen Sektor wieder aufbauen zu können. Dieser ist aber eine Voraussetzung für eine autarke Versorgung bis zu einem gewissen Grad. Dazu gehört übrigens auch die Rüstungsindustrie. Stattdessen verlochen wir lieber Milliarden in der Landwirtschaft und in Gehältern von sogenannten Top Management.
Was Deutschland und die Schweiz gemein haben: Parlament und Regierung machen keine Wirtschaftspolitik, es fehlt eine strategische Positionierung der Schweizer Volkswirtschaft. Man beschäftigt sich lieber mit so zentralen Fragen wie "ob der Autobahnanschluss Hinterkotzingen mit einer links- oder rechtsdrehenend Auffahrt zu realisieren ist" .... Das disktutieren wir dann gerne mal 10 Jahre und geben dafür dann 1.5 Mia aus...
Was bei diesem Beitrag auffällt, ja auffallen muss: warum wird hier nicht auf die erheblichen Folgen der unnötigen Abschaltung der perfekt laufenden Atomkraftwerke hingewiesen ?
Steht vielleicht die eigene Ablehnung dieser Energieform, gestützt durch die anscheinend nicht wegzudiskutierende Einstellung dazu seitens Verlagshauses, dahinter…
Man bezieht demgegenüber zum Ausgleich den Atomstrom aus Frankreich, zu den entsprechenden Konditionen!
Es ist wohl ein ganzes Bündel an Sachen die falsch eingeschätzt worden sind.
Die Statisik sagt: Deutschland war seit 2002 bis auf 2023 und 2024 ein Nettostromexporteur. Gerade in den Jahren nachdem die Kernkraftwerke abgeschaltet wurden, ist die Exportrate sogar noch deutlich gestiegen. Im 2023 und 2024 hat einzig und alleine der unplanmässige Gasimportstop dazu geführt, dass Deutschland einen negativen Stromsaldo hatte. Dieser externe Effekt wird innert Kürze kompensiert sein und Deutschland wieder zum Nettostromexporteur werden.
Es ist also nicht der Fall, dass Deutschland wegen des Atomausstiegs Strom einkaufen muss.