Die EZB beschloss am Donnerstag auf einer auswärtigen Ratssitzung in Slowenien, den am Finanzmarkt massgeblichen Einlagensatz um einen Viertelpunkt auf 3,25 Prozent nach unten zu setzen. Der eigentliche Leitzins wurde im selben Umfang gekappt - auf das neue Niveau von 3,40 Prozent. Die Währungshüter hatten im Juni die Zinswende eingeleitet und im September nachgelegt.

Finanzexperten sagte dazu in ersten Reaktionen:

Jan Viebig, Chief Investment Officer von ODDO BHF SE: «Die Zinssenkung der EZB um 0,25 Prozentpunkte ist gerechtfertigt, auch in dieser Höhe. Der Zins für die Einlagefazilität, mit dem die EZB die Geldpolitik steuert, liegt nun bei 3,25 Prozent. Trotz dieser weiteren Rücknahme der Leitzinsen ist die Geldpolitik der EZB auch weiterhin restriktiv. Der Satz für die Einlagefazilität liegt weiterhin über dem neutralen Zinssatz, zu dem die Geldpolitik weder expansiv noch restriktiv auf die Wirtschaft wirkt. Deshalb werden diesem Zinsschritt voraussichtlich weitere folgen.

Diese Zinssenkung ist besonders durch den Rückgang der Inflation gerechtfertigt. Im September lag die jährliche Inflationsrate im Euroraum bei 1,8 Prozent, nach 2,2 Prozent im August und 4,3 Prozent im September 2023. Eine grössere Zinssenkung hätte Risiken mit sich gebracht, da die Kerninflation im Euroraum weiterhin bei 2,7 Prozent und damit über dem mittelfristigen Inflationsziel der EZB von 2,0 Prozent liegt.

Die Inflationsrisiken, die weiterhin auf der Wirtschaft lasten, sollten nicht unterschätzt werden. Besonders die Energiepreise sind schwer zu prognostizieren und bergen angesichts der zahlreichen geopolitischen Risiken Unwägbarkeiten für die Geldpolitik. Aus diesen Gründen halte ich den datengetriebenen Kurs der EZB für richtig. Mit dieser Zinssenkung ist die EZB nun schon zum zweiten Mal in diesem Zinszyklus der amerikanischen Notenbank Fed zuvorgekommen. Auch in Zukunft sollte die EZB schneller agieren als die Fed, da die Wirtschaftsdynamik in den USA höher bleibt als im Euroraum.»

Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank: «Die EZB sitzt die Angst um die wirtschaftliche Entwicklung im Nacken. Ursprünglich waren aus der EZB-Wortwahl quartalsweise Zinssenkungen zu entnehmen, doch mit der letzten Runde an schwachen Konjunkturmeldungen, warfen die europäischen Währungshüter ihren Plan über den Haufen. So signalisierten die Einkaufsmanagerindizes vom September eine weitere wirtschaftliche Schwäche, die vor allem auf Nöte im verarbeitenden Gewerbe zurückzuführen sind. Zu befürchten ist, dass nun auch der bislang noch gutlaufende Arbeitsmarkt dabei Schaden nimmt.

Der wunde Punkt bleibt jedoch der lediglich zähe Rückgang der Kerninflationsrate. Dahinter verbirgt sich ein noch immer starker Preisanstieg im Dienstleistungssektor, der von hohen Lohnabschlüssen gespeist wird.

Die EZB wird auf ihrer nächsten Sitzung im Dezember nochmals mit einer Zinssenkung im Umfang von 25 Basispunkte nachlegen. Und auch im kommenden Jahr dürften noch weitere Zinssenkungen folgen. Wie stark der Leitzins zurückgeht, wird von Lohnentwicklung abhängen. Die Arbeitnehmerforderungen lassen darauf schließen, dass die Leitzinsen im Vergleich zur Vor-Corona-Ära auf erhöhtem Niveau zum Liegen kommen werden.»

Sebastian Dullien, gewerkschaftsnahes IMK-Institut: «Angesichts der Verzögerung, mit der die Geldpolitik wirkt, und der anhaltenden Wirtschaftsschwäche ist es höchste Zeit, die geldpolitische Restriktion zu beenden. Davon ist die EZB aber noch weit entfernt und die Zinsen werden selbst nach der für Dezember zu erwartenden Leitzinssenkung auf drei Prozent die Wirtschaftsentwicklung weiter bremsen. Damit verhindert die Geldpolitik dringend erforderliche Investitionen in die Dekarbonisierung sowie Produkt- und Prozessinnovationen, die die Unternehmen benötigen, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Ausserdem riskiert sie ein hartnäckiges Unterschiessen des Inflationsziels. Die EZB sollte daher im Dezember einen grösseren Zinsschritt um einen halben Prozentpunkt wagen und bereits in den kommenden Wochen den zeitnahen Ausstieg aus der Restriktion signalisieren.»

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV): «Die heutige Entscheidung der EZB, den Leitzins um 25 Basispunkte zu senken, ist folgerichtig angesichts einer Inflationsrate unter zwei Prozent und schwacher Konjunkturaussichten. Dennoch ist der Schritt nicht ganz ohne Risiko, denn zuletzt wurde der Desinflationsprozess durch starke Rückgänge der Energiepreise getrieben. Angesichts der Eskalation im Nahen Osten könnte es damit nun vorbei sein. Gleichzeitig ist die Dienstleistungsinflation weiter zu hoch. Die EZB muss nun genau beobachten, ob sich insbesondere der Anstieg der Löhne wie erwartet abschwächt oder nicht.»

(Reuters/cash)