Für Value-Investoren ist Nestlé sehr interessant geworden. Nicht, weil ein Investment in den weltgrössten Nahrungsmittelhersteller konkurrenzlos wäre. Der nicht-zyklische Sektor im Swiss Performance Index bietet primär schlicht keine grossartigen Investalternativen. Aber auch ohne die schwache Vergleichsbasis verdient der Nestlé-Titel Beachtung.

Der nicht-zyklische Sektor am Schweizer Markt besteht aus elf Unternehmen. Drei davon sind aufgrund ihrer Grösse und dem geringen Handelsvolumen (der Mühlenbetreiber Groupe Minoteries und des Gasto-Unternehmens Villars) und fehlendem Geschäft ( Milchverarbeiter Hochdorf) als Investment kaum geeignet. Von den übrigen acht Firmen bietet Néstle den besten Mix aus Bewertung, Wachstum, Profitabilität und Dividendenertrag. Der Überblick:

Preise und Bewertungen

Ausser für den Backwarenhersteller Aryzta waren die vergangenen drei Jahre für die Schweizer Nicht-Zykliker hart. Die Kursverluste reichen von etwa 13 Prozent (Fleischverarbeiter Bell) bis über 90 Prozent (Online-Apotheke DocMorris). Aryzta, der einzige Wert mit einem Kursplus in dieser Zeitdauer, avancierte um über 56 Prozent.

Kursverläufe der acht Aktien aus dem Nicht-Zyklischen-SPI-Sektor der vergangenen drei Jahre.

Nestlé erzielte in den letzten drei Jahren die viertschwächste Performance mit einem Kursrückgang von fast 40 Prozent. Mit diesem Kursverlauf normalisierte sich die vormals hohe Bewertung des Nahrungsmittelproduzenten aus Vevey. Von einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 26 im Jahr 2022 fiel die Bewertung auf ein KGV von derzeit 17. Im Gegensatz zu einigen Branchennachbarn handelte es sich bei Nestlé um eine sogenannte Bewertungkontraktion ohne nennenswerten Gewinnrückgang. 

  KGV (2024)
Orior 11.8
Bell Food Group 12.6
Aryzta 27.3
Emmi 20.2
Nestlé 17.2
Barry Callebaut 31.6
Lindt & Sprüngli 33.8
DocMorris -

Quelle: LSEG

Auch Bell, Aryzta, dem Milchverarbeiter Emmi und dem Schokoladekonzern Lindt & Sprüngli befinden sich einer solchen Bewertungskontraktion. Doch aufgrund der Höhe des Kursrückschlags verfügt Nestlé nun über die dritttiefste Bewertung im Branchenvergleich - nur die Nahrungsmittelgruppe Orior und Bell sind noch etwas günstiger.

DocMorris kann wegen anhaltender Verluste nicht mit einem KGV bewertet werden. Doch um DocMorris im Branchenvergleich berücksichtigen zu können, kann die Auswahl anhand des Kurs-Umsatz-Verhältnisses (KUV) verglichen werden. Die Kennzahl wird vielfach bei wachstumsstarken, aber noch nicht gewinnbringenden Unternehmen angewendet - doch sie ist nicht ohne Vorbehalt.

  KUV (2024)
Orior 0.7
Bell Food Group 0.3
Aryzta 0.8
Emmi 0.9
Nestlé 2.4
Barry Callebaut 1
Lindt & Sprüngli 4.1
DocMorris 0.2

Quelle: LSEG

Besonders bei DocMorris und Barry Callebaut kann das KUV für den Aktienkurs zentrale Ereignisse nicht abbilden. Aufgrund des stark steigenden Umsatzes und der hohen Kursverlusten erscheint DocMorris als günstig. Da die Marketingausgaben des Unternehmens aber überproportional zum Umsatzwachstum ansteigen, verringert sich das derzeitige dünne Liquiditätspolster der Online-Apotheke, so die Experten der Zürcher Kantonalbank. Die ZKB sowie die US-Investmentbank Jefferies sehen deshalb eine bevorstehende Kapitalerhöhung als Hauptrisiko für Anleger.

Der Schokoladekonzern Barry Callebaut wird vom stark gestiegenen Kakaopreis laut ZKB in doppelter Hinsicht belastet: Zum einen wirkt er sich negativ auf die Nachfrage der Endkonsumenten aus. Zum anderen treibt er das Nettoumlaufvermögen in die Höhe, was sich ungünstig auf den freien Cashflow auswirkt. Gleichzeitig haben diese Preissteigerungen einen positiven Effekt auf den Umsatz und verbergen damit das zugrundeliegende Problem: sinkende Margen und Gewinne. Weder Margenprobleme noch Kapitalerhöhungsrisiko können von dieser Umsatzkennzahl erfasst werden.

Ein wachstumsarmer, aber stabiler Sektor

Nicht-zyklische Sektoren weisen generell ein tiefes Wachstum. Grundsätzlich ist das kein Problem, da diese Aktien aufgrund der Umsatzstabilität und nicht wegen des Umsatzwachstums als Portfoliobestandteile gehalten werden. 

Ausser bei den Ausreissern DocMorris, Lindt & Sprüngli sowie Emmi, bei denen die Umsätze zwischen 12 und 40 Prozent während den nächsten zwei Jahren ansteigen dürften, liegt der Durchschnitt bei etwa 4 Prozent: Nestlé befindet sich leicht über dieser Marke. 

 

Umsatzwachstum bis 2026

Orior 1%
Bell Food Group 5%
Aryzta 6%
Emmi 12%
Nestlé 5%
Barry Callebaut 3%
Lindt & Sprüngli 14%
DocMorris 41%

Quelle: LSEG

Das Wachstum nimmt dennoch in Absenz von zentraleren unternehmensspezifischen Faktoren wie beispielsweise die Liquiditätsprobleme von DocMorris je nach Höhe eine positiven oder negativen Einfluss auf die Bewertung ein. Bei den Unternehmen mit (relativ) geringen Wachstumsraten wie Orior und Bell dürfte es zu einem Bewertungmalus, bei Lindt & Sprüngli sowie Emmi zu einem Bewertungszuschlag führen.

Profitabilität als Gewinnpuffer und Bewertungskomponente

Analog dem Wachstum führt die Profitabilität ebenfalls zu einem Bewertungsauf- oder abschlag. Nestlé, Lindt & Sprüngli und Aryzta weisen insgesamt die vorteilhaftesten Profitabilitätswerte auf. Orior, Bell, Emmi und Barry sind gemessen an der Ebitda-Marge, der Rendite auf das investierte Kapital (ROIC) und Eigenkapitalrendite (ROE) dagegen etwas weniger profitabel.

Je höher beispielsweise die Margen, desto grösser der Puffer, bis ein Unternehmen in die Verlustzone fällt. Beispielsweise ist Barry Callebaut im vergangenen Geschäftsjahr trotz Rekordumsatz fast in die Verlustzone gefallen. Bei Nestlé oder Lindt & Sprüngli ist ein solches Szenario praktisch unmöglich, auch aufgrund deren Grösse und Diversifikation. Ihre Margen sind mehr als doppelt so hoch.

  Ebitda-Marge ROIC ROE
Orior 7% 4.2% 29.7%
Bell Food Group 7% -0.5% 12.2%
Aryzta 14% 13.2% 27.6%
Emmi 10% 12.0% 17.7%
Nestlé 21% 13.6% 33.7%
Barry Callebaut 9% 10.7% 15.0%
Lindt & Sprüngli 21% 17.4% 16.0%
DocMorris -5% -22.3% -23.8%

Quelle: LSEG

Bei Lindt wird das Haar in der Suppe ohnehin (fast) vergeblich gesucht. Ein überdurchschnittlich hohes Wachstum sowie hohe Profitabilitätskriterien zeichnen den Schokoladenhersteller aus. Dies hat jedoch seinen Preis. Die Valoren sind mit einem KGV von über 33 die teuersten im Sektor. Der Wermutstropfen: Der Kursrückschlag seit Ende November hat die Bewertung der Valoren erneut etwas unter den langjährigen Durchschnitt gedrückt.

Der hohe Preis hat aber auch einen Effekt auf die Rendite. Ausser den Unternehmen, die keine Dividenden ausschütten, weisen die Lindt-Valoren die tiefste Dividendenrendite mit 1,6 Prozent auf.

Dividenden und ihre Stabilität

Orior und Nestlé weisen dagegen die höchste Dividendenrendite des Sektors auf. Bei beiden Unternehmen handelt es sich zudem um stabile Dividendenzahler. Während Orior ein etwas konservativeres Verhältnis zwischen freiem Cashflow und Dividende vorweist, sind die Schwankungen im freien Cashflow höher als bei Nestlé.

Orior schüttet seit dem Börsengang im Jahr 2010 ununterbrochen eine Dividende aus, Nestlé seit mindestens 1960. Sowohl Nestlé wie auch Orior haben in den vergangenen 14 Jahren die Ausschüttungen kontinuierlich erhöht. Emmi kann sich ebenfalls zu den konservativen und verlässlichen Dividendenzahlern zählen. Seit 2005 wurden die Ausschüttungen abermals erhöht. Die Rendite von 2,4 Prozent ist jedoch deutlich tiefer als die von Nestlé und Orior von 4,1 respektive 6,4 Prozent .

Die freien Cashflows von Barry Callebaut und Bell unterliegen höheren Schwankungen als die der vorgängig erwähnten Unternehmen. Damit sind auch Dividendenerhöhungen weniger prognostizierbar. Barry Callebaut kürzte die Dividenden in den vergangenen 14 Jahren zweimal, Bell einmal. Zudem haben beide Unternehmen die Ausschüttungen seit 2021 nur unwesentlich erhöht.

Nestlé - der Allrounder

Die Summe der genannten Faktoren macht die Aktien von Nestlé aus – keine einzelne Komponente allein. Zwar beeindruckt der Nahrungsmittelriese mit seiner Profitabilität, doch gibt es hinsichtlich Marge, Eigenkapitalrendite, Rendite auf das investierte Kapital oder Umsatzwachstum durchaus Alternativen, die in einzelnen Kennzahlen besser abschneiden. Besonders Lindt & Sprüngli stellt eine mindestens gleichwertige Investmentalternative dar.

Wenn jedoch diese Faktoren der Rendite und der Bewertung gegenübergestellt werden, überzeugt Nestlé. Durch die jüngste Bewertungskontraktion ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) unter den langjährigen Durchschnitt von knapp 19 gefallen und liegt nun auf dem Niveau von 2012. Lediglich während der Finanzkrise war Nestlé mit einem KGV von 11 bis 15 noch günstiger bewertet.

Bemerkenswert ist dabei der Auslöser dieser Entwicklung: Es handelt sich nicht um eine fundamentale Veränderung. So wie bei der Amtsübernahme von CEO Mark Schneider ein Anstieg der Wachstumserwartungen zu einer Bewertungsexpansion führte, war es die Ernüchterung über das Ausbleiben dieser hohen Erwartungen, die zur aktuellen Bewertungskontraktion beitrug. Auch künftig dürften die Kursbewegungen von Nestlé von einer Veränderung der Wachstumserwartungen dominiert werden. Mit nun brachliegenden Erwartungen dreht sich das Pendel erneut in Richtung attraktiver Einstiegschancen. 

Denn Nestlé ist wie ein Supertanker: Das Wachstum wird sich weder signifikant beschleunigen noch verlangsamen. Während dies bei Überbewertungen problematisch ist, wird es bei Unterbewertungen zum Vorteil.

Luca_Niederkofler
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